Kapitel 33

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Seufzend vergrabe ich mein Gesicht in den Polster. „Was zum Teufel mache ich hier?", murre ich unverständlich, doch Mr. Sunnyboy scheint mich trotzdem zu verstehen.

„Ausnüchtern. Kannst du dich denn nicht mehr erinnern?", fragt er amüsiert.

Angestrengt versuche ich den gestrigen Abend zu rekonstruieren. Ich weiß noch, wie ich nach dem Gespräch mit Colin wieder rein zur Bar bin und jede Menge bestellt habe. Und dann? Habe ich mit Lilly ein paar Shots getrunken? Kann das sein? Normalerweise trinkt Lilly doch nichts. Oder war das schon später? Oder mit jemandem anderen? Waren wir nicht auch irgendwann wieder auf der Tanzfläche? Ach, keine Ahnung, ich habe auf jeden Fall viel zu viel getrunken. Daran erinnert mich auch die Übelkeit, die sich wie auf Kommando von einem Moment auf den anderen in mir ausbreitet. Auch das noch. Hoffentlich muss ich mich nicht in ein fremdes Bett übergeben. Das wäre mehr als nur peinlich und ekelhaft.

„Ich habe absolut keine Ahnung, wie ich hierhergekommen bin", gestehe ich. Gleich darauf setzt sich ein nächster Gedanke in mir fest und ich kann die leichte Panik in meinem Körper nicht unterdrücken. Ich hebe meinen Kopf wieder und schaue den Jungen vor mir an. „Hatten wir Sex?"

Kurz sieht er mich perplex an, dann lacht er laut auf. Gut, das nehme ich mal als ein gutes Zeichen.

„Keine Sorge, es ist nichts passiert, außer dass du irgendwann versucht hast, mich zu küssen. Ich wusste doch, dass mir keiner widerstehen kann." Selbstgefällig grinst er mich an.

Gut, immerhin muss ich keine Angst haben, plötzlich schwanger zu sein, ohne zu wissen, warum. Aber Moment, wie war das mit dem Kuss? „Versucht? Warum? Bitte erzähl mir doch einfach alles von gestern." Ich möchte endlich wissen, wie ich hier gelandet bin.

Langsam betritt der Sunnyboy den Raum und lässt sich auf das Ende des Bettes nieder. Anscheinend wird das hier länger dauern. Na toll.

„Naja", überlegt er kurz. „Irgendwann bist du wieder bei mir  an der Bar aufgetaucht und hast ziemlich viel mit deiner Freundin getrunken." Ich nicke zustimmend. Daran kann ich mich auch noch halbwegs erinnern, auch wenn es mich wundert, dass Lilly anscheinend wirklich mitgetrunken hat. Aber sie hatte sich wenigstens unter Kontrolle. „Zwischendurch habe ich euch aus den Augen verloren, aber bald ist deine Freundin mit einem Typen heimgefahren. Ich denke, sie wollte dich eigentlich mitnehmen, aber du hast dich ziemlich dagegen gewehrt und wolltest nicht heim." Ein Schmunzeln ziert sein Gesicht. „Dann hatte ich Dienstschluss und wir haben noch ein wenig geplaudert. Bis du angefangen hast von einem gewissen... Colin? Kann das sein? Auf jeden Fall hast du von ihm erzählt."

Ein ungutes Gefühl überkommt mich. Habe ich gestern noch mit Colin geredet? Irgendwas, das ich nicht mehr weiß und bereuen sollte? „Colin? Was habe ich denn so über ihn gesagt?" Eigentlich bin ich mir nicht sicher, ob ich die Antwort wirklich hören möchte.

„Ach, zuerst hast du darüber geschwärmt, wie heiß du ihn doch findest. Ich muss sagen, das hat mich schon ein wenig gekränkt. Du hast doch mich vor deiner Nase und redest von einem anderen", sagt er kopfschüttelnd, doch ich merke, dass er dies nicht ernst meint.

„Tut mir leid, wenn du nicht so ein Prachtstück bist", ziehe ich ihn grinsend auf. „Und was habe ich sonst noch so für einen Unsinn von mir gegeben?"

„Dann hast du angefangen über deine Gefühle zu reden."

„Wie bitte?" Entsetzt reiße ich meine Augen auf. „Na toll, das wird ja immer besser."

„Ja, das war wirklich nicht schön mitanzusehen, wie du fast zu heulen begonnen hast."

„Verarsch mich nicht." Als ob ich deswegen geheult hätte.

„Okay okay, du hast mich erwischt." Abwehrend hebt er seine Hände. „Aber trotzdem hast du gemeint, dass du eigentlich was von ihm willst aber irgendwie auch nicht. Ich hatte da selbst keinen Durchblick mehr. Und im nächsten Moment wolltest du mich plötzlich küssen."

„Gott, ich werde nicht mehr so viel trinken. Tut mir leid." Die Gedanken schwirren nur so in meinem Kopf umher. Wieso wollte ich ihn küssen? Gut, ich war richtig betrunken, aber das war trotzdem nicht richtig. Und war Colin bereits zu Hause? Ich muss dringend mit ihm reden. Wissen, ob ich ihm wohl auch so viel Unsinn erzählt habe. Oder Unsinn aufgeführt habe.

„Du musst dich doch nicht entschuldigen. Es freut mich doch, von so einem hübschen Mädchen geküsst werden zu wollen. Naja, wenn du noch gewusst hättest, was du tust. Und fünf Sekunden zuvor nicht von Gefühlen zu einem anderen Typen geredet hättest." Dann bricht er in Gelächter aus. Diese ganze Situation ist so absurd, dass auch ich mir ein Lachen nicht verkneifen kann.

„Auf jeden Fall wollte ich dich nach Hause fahren, aber auf der Fahrt bist du mir eingeschlafen und du wolltest einfach nicht aufwachen, um mir deine Adresse zu sagen, also habe ich dich zu mir gebracht. Und voilà, hier sind wir", beendet er seine Erzählung.

Ich schließe meine Augen und lasse seine Worte auf mich wirken. Wie hatte der Abend nur so eskalieren können?

Ich spüre, wie sich der Sunnyboy erhebt und öffne meine Augen wieder.

„Hast du Hunger? Kaffee? Aspirin?"

„Ein bisschen von allem wäre nett", antworte ich müde. Mein Körper fühlt sich plötzlich so unglaublich schlapp an. Am liebsten würde ich einfach wieder einschlafen und den ganzen gestrigen Abend vergessen. Gut, bei der Hälfte davon habe ich das schon geschafft.

Gerade will er dein Raum verlassen, als ich ihn noch aufhalte. „Hey Sunnyboy. Danke."

Er dreht sich zu mir um du sieht mich belustigt an. „Sunnyboy?"

„Ja, schließlich weiß ich deinen Namen nicht."

„Eigentlich sollte es mich nicht wundern, dass du ihn wieder vergessen hast, aber es tut trotzdem ein wenig weh, Vivien." Gespielt greift er sich mit der Hand ans Herz.

„Sunnyboy reicht mir vollkommen. Sag mal, wo warst du im Urlaub? Das habe ich mich schon gefragt, als ich dich damals das erste Mal auf dieser Party gesehen habe."

Nun lächelt er wieder und seine Augen beginnen förmlich zu strahlen. „Griechenland." Dann verlässt er den Raum.

Nach einem wirklich ausgiebigen Frühstück, das aus drei Bissen leerem Toast und einer halben Tasse Kaffee bestand, weil ich mich bei jedem weiteren Bissen übergeben hätte, bedanke ich mich noch einmal bei dem Sunnyboy, dass er mich nicht irgendwo im Straßengraben geschmissen hat. Das hätte Ryan sicherlich nicht gefallen.

„Keine Ursache, du bist hier immer gerne willkommen, wenn du mal wieder jemandem zu saufen brauchst, um deinen Gefühlen zu entfliehen. Komm gut nach Hause", verabschiedet er sich von mir und schon bin ich aus diesem fremden Haus draußen.

Wie ich festgestellt habe, ist es bis zu mir glücklicherweise nicht zu weit, um zu Fuß zu gehen. Während ich also übertrieben langsam heimspaziere, da mir unglaublich schlecht ist, checke ich zum ersten Mal heute mein Handy.

Zuerst springen mir die Nachrichten von Mum ins Auge, die sich darüber aufregt, nicht zu wissen, wo ich bin. Ups. Danach lese ich mir etliche Nachrichten von Lilly durch, dir mir in kurzen Sätzen beschrieben hat, wie toll der Abend mit Nathan doch war und wie sie sich Sorgen um mich macht. Auch Ryan hat mir geschrieben, der sich aber nur genervt bei mir aufregt, weil Mum sich bei ihm beschwert hat, dass ich die ganze Nacht weg war. Ich schaue, ob ich noch weitere Nachrichten habe, doch ich muss feststellen, dass dies alle waren. Ich spüre die Enttäuschung in mir aufkeimen. Wieso hat Colin mir nicht geschrieben? Wann habe ich ihn gestern überhaupt das letzte Mal gesehen? Soll ich ihm schreiben?

Seufzend lasse ich mein Handy wieder zurück in meine Tasche gleiten, ohne ihm eine Nachricht zu senden. Mit einem wirklich unguten Gefühl drehe ich mich um und steuere auf die Bushaltestelle zu. Ich muss mit Lilly reden. 

Beziehung für eine NachtWhere stories live. Discover now