Kapitel 18

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„Komm mich doch bald wieder besuchen. Meine Mutter freut sich bestimmt darüber", verabschiede ich mich von Colin, der das Verhör von meiner Mum nun abgeschlossen hat. Ich muss sagen, er hat sich besser geschlagen, als ich erwartet habe.

Colins Gesicht nimmt einen gequälten Ausdruck an. „Danke übrigens für deine heldenhafte, nichtvorhandene Rettung."

„Habe ich doch gern gemacht", antworte ich mit einem diabolischen Grinsen.

„Ich freue mich schon wahnsinnig darauf, meinen baldigen Schwiegervater ebenfalls kennenzulernen", meint er lachend. „Wird das denn genauso amüsant?"

„Noch viel amüsanter", sage ich und hoffe, ihm wenigstens ein bisschen Angst einjagen zu können.

„Inwiefern?", will er wissen. „Ich muss mich schließlich darauf vorbereiten."

„Schätzchen, wenn du glaubst, dass ich dir das verrate, dann hast du dich gewaltig getäuscht."

„Ein Versuch war es doch wert." Dann kommt er plötzlich einen Schritt auf mich zu und zieht mich in eine Umarmung. Überrascht versuche ich mich dagegen zu wehren, doch sein Griff ist zu stark.

„Was soll das?", beschwere ich mich lautstark.

„Ich muss mich doch angemessen von meiner Freundin verabschieden. Deine Mum beobachtet uns." Seine Stimme ist unglaublich nahe an meinem Ohr. Unweigerlich bildet sich eine Gänsehaut an meinem Körper.

Bevor ich mich weiter darüber wundern kann, lässt er auch schon wieder los und verschwindet dann winkend aus meinem Haus.

Ich drehe mich um und erkenne gerade noch so meine Mum, die sich wieder in die Küche zurückzieht. Kopfschüttelnd gehe ich hoch in mein Zimmer und lasse die letzte Stunde noch einmal Revue passieren.

Ich muss Colin also helfen, seine nervige Ex loszuwerden und Mum denkt nun, dass er mein Freund sei. Das nenne ich doch mal einen erfolgreichen Nachmittag. Aber soll meine Mutter doch glauben, was sie will, der Anblick von einem gequälten Colin ist es eindeutig wert.

Seufzend lasse ich mich auf mein Bett fallen und schreibe Lilly in gefühlt hundert einzelnen Nachrichten, was sich gerade bei mir abgespielt hat. Irgendwie muss ich das Geschehene ja verarbeiten.

Es dauert nicht lange, da antwortet sie mir bereits und so diskutieren wir den restlichen Tag darüber, was meine Mutter nun von Colin hält. Leider finde ich das früh genug raus. Nämlich ein paar Stunden später, als ich gemeinsam mit meinen Eltern am Tisch sitze, um das Abendessen zu genießen.

„Vivien, willst du deinem Vater nicht etwas sagen?", beginnt meine Mutter das Gespräch und sieht mich auffordernd. Na toll. Hätte sie damit nicht noch warten können? Das war's wohl mit dem Genießen.

„Will ich das?", erwidere ich provokant und liefere mir ein Blickduell mit meiner Mutter. Zwar könnte ich sagen, dass das alles nur Fake ist und Colin die letzte Person sein wird, mit der ich mich auf einer Beziehung einlassen würde, aber ich bin mir sicher, dass meine Mutter mir das nicht abkaufen würde. Nicht nachdem sich Colin so verhalten hat.

„Was ist denn los?", will mein Vater wissen, der uns beide prüfend mustert. „Muss ich mir Sorgen machen?"

Genervt stöhne ich auf. „Ich will die Schule abbrechen."

Der eben noch besorgte Blick meines Vaters ist verschwunden. Stattdessen steht ihm der Schock nun ins Gesicht geschrieben. „Was? Nein! Auf keinen Fall! Du bist in deinem Abschlussjahr! Wie kommst du bloß auf diese dumme Idee?"

„Schatz, beruhige dich. Ich denke nicht, dass es das ist, was Vivien dir sagen wollte", unterbricht meine Mutter ihn und wirft mir einen bösen Blick zu. Sie kennt meine Masche inzwischen. Wenn ich etwas zu beichten habe, lüge ich ihnen irgendeine schlimme Sache vor, sodass sie im Endeffekt erleichtert sind, dass es nur Spaß war und ich in Wahrheit etwas anderes, harmloseres angestellt habe. Früher hat das bei meiner Mutter auch noch funktioniert.

Als ich 14 Jahre alt war, habe ich unabsichtlich Mums Lieblingsvase zerbrochen. Bevor sie es gesehen hat, habe ich ihr erzählt, dass ich die Küche abgefackelt habe. Ich kann mich bis heute noch ganz genau daran erinnern, wie froh sie war, dass es „bloß irgendeine" Vase war, und nicht die ganze Küche.

Irgendwann hat sie mich dann doch durchschaut. Da ist sie meinem Vater einen Schritt voraus.

„Ich verstehe nicht. Was jetzt?" Fast tut mir mein Vater leid, wie er da so sitzt und vollkommen verwirrt über unsere Aussagen ist.

„Spaß. Ich habe einen Freund", sage ich und muss dem Zwang widerstehen, meine Augen zu verdrehen. Pah. Freund. Als ob. Aber nach dem dritten Mal kommt mir diese Lüge erstaunlich leicht über die Lippen. Übung macht eben den Meister.

Das ist ein Zeichen! Lilly Stimme wandert durch meinen Kopf.

Sein Mund klappt auf, doch er bleibt still und schaut mich einfach verwundert an.

„Ich habe ihn heute kennenglernt. Er scheint ganz... nett zu sein", redet meine Mutter in die Stille hinein. Ich kann ihren Gesichtsausdruck nicht deuten. Was denkt sie wirklich über ihn?

Mein Vater schweigt weiterhin. Als könnte er nicht glauben, dass seine 17-jährige Tochter sich mit Jungs abgibt. Ich will gar nicht wissen, in welchem Alter er seine erste Freundin hatte.

„Vielleicht kommt er mal zum Abendessen vorbei, Vivien? Dann könnten wir ihn richtig kennenlernen", schlägt meine Mutter vor.

Innerlich lache ich auf. Als ob eine halbe Stunde Verhör nicht für sie ausreichen würde. Sie weiß doch schon alles über ihn. Über einige Sachen habe ich mich selbst gewundert. Zum Beispiel, dass Colins Vater Bibliothekar ist, oder dass er gerne mal nach Brasilien reisen würde. Ich denke, meine Mutter kennt ihn nun besser als ich, obwohl ich die ganze Zeit daneben gesessen bin und zugehört habe. Manchmal habe ich den Verdacht, dass sie einem in die Seele blicken kann. Gruselige Vorstellung.

„Ich werde ihn fragen, versprochen", antworte ich.

„Was isst er denn gerne?"

„Wow, also dass du ihn das nicht gefragt hast. Das grenzt doch an einem Wunder", antworte ich schockiert.

Nun ist es an meiner Mutter, die Augen zu verdrehen. „Was ist denn falsch daran, mich etwas mit dem Freund meiner Tochter zu unterhalten? Ich möchte doch auch wissen, auf wen du dich einlässt", verteidigt sie sich.

„Das war keine Unterhaltung, sondern eine Prüfung. Hat er denn bestanden?"

„Mach dich doch nicht lächerlich", winkt meine Mutter ab, doch sie kann die Röte nicht verbergen, die sich in ihrem Gesicht ausbreitet.

„Spinat isst er ganz gern", sage ich und denke daran zurück, wie es einmal in der Schule Spinat gegeben hat und Colin sich so laut darüber beschwert hat, dass es die ganze Schule mitbekommen hat. Er hasst Spinat.

„Ja, das könnte ich tatsächlich wieder mal kochen. Sag mir Bescheid, wenn du weißt, wann er kommt."

Solche Momente erinnern mich daran, dass es sich eindeutig auszahlt, meinen Eltern eine Beziehung vorzuspielen. Ich sehe Colin schon vor mir, wie er den Spinat gezwungenermaßen hinunterwürgt und dabei so tun muss, als wäre es das Beste, was er jemals in den Magen bekommen hat. Am besten frage ich ihn gleich morgen, wann er Zeit hat. Ich kann diesen Moment jetzt schon kaum abwarten.

„Mach ich."

Plötzlich räuspert sich mein Vater. „Also brichst du die Schule nicht ab?" Anscheinend hat er seine Stimme wieder gefunden.

„Nein, natürlich nicht", antworte ich.

„Gut, das wäre wirklich keine gute Entscheidung gewesen", sagt er erleichtert. Daraufhin widmet er sich seinem Essen. Ich lache auf. Meine Taktik funktioniert einwandfrei.

„Willst du denn gar nichts zu der anderen Sache sagen?", fragt meine Mutter empört. Wieso muss sie das sagen? Mein Vater hat es doch so gut aufgenommen.

„Was soll ich denn dazu sagen? Ich denke, sie ist intelligent genug, um zu wissen, dass sie nicht schwanger werden sollte" erwidert mein Vater und schiebt sich dann einen Löffel Suppe in den Mund. „Du lernst doch in der Schule, wie man mit Verhütung umgeht, oder?"

Ich klatsche mir mit der Hand gegen meine Stirn. Colin kann sich darauf freuen, ihn kennenzulernen.

Beziehung für eine NachtWhere stories live. Discover now