Prolog

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Lillians Sicht

Laufen, du musst einfach nur weiterlaufen, immer wieder wiederholte ich diese Worte in meinem Kopf, doch ich spürte, wie mir mehr und mehr die Kraft ausging. Ich konnte nicht mehr, ich war schon so lange unterwegs, ohne ein richtiges Ziel, außer dem einen; ihm zu entkommen. Mein Atem war schwer, ich hatte Durst und mit jedem weiteren Schritt spürte ich es deutlicher. Ich blieb stehen und sah mich um, der Wald war noch dichter geworden, ich hatte keine Ahnung wo ich mich befand, ich wusste nur, dass ich nicht lange halten konnte, zu hoch war das Risiko, dass er schon näher war, als es mir lieb war. Ich ließ mich mit dem Rücken an einem Baum hinuntergleiten und schloss für einen Moment die Augen, wobei mich Erinnerungen an längst vergangene Tage überkamen.

"Lillian räum bitte dein Zimmer auf, Taylor wird gleich da sein und du willst doch mit ihm spielen können. Meinst du, er fühlt sich hier wohl, wenn überall etwas herum liegt?", fragte mich meine Mutter Asha mit liebevoller Strenge in der Stimme. "Mir doch egal, ich wollte nicht, dass er her kommt!", rief ich trotzig zurück und starrte meine Mutter wütend an. Sie legte die Stirn nachdenklich in Falten und beugte sich zu mir herunter, wobei ihre langen schwarzen Haare meine Schultern streiften. Sie legte ihre Stirn an meine und sah mir tief in die Augen. "Du magst ihn, deshalb hab ich ihn und seine Mutter eingeladen, also räum jetzt bitte etwas auf mein Schatz, okey?", lächelte sie sanft und mir stieg die Röte in die Wangen, dennoch erwiderte ich nichts außer einem kurzen Nicken, wobei ich die Augen verdrehte. Sie gab mir einen Kuss auf die Stirn und verließ mein Zimmer, danach begann ich gelangweilt meine Sachen vom Fußboden in den Schrank zu räumen, nicht mal ordentlich, ich quetschte sie einfach hinein, ohne darauf zu achten, was dreckig war oder überhaupt in den Schrank gehörte. Ich war bei der Hälfte als es klingelte. Ich hörte wie meine Mutter die Tür öffnete.

Ich riss die Augen auf und verzog schmerzerfüllt das Gesicht, als mich ein weiterer Stromschlag ergriff. Es war nicht der Erste und ganz sicher nicht der Letzte, solange ich dieses verdammte Halsband nicht loswürde. Er hatte es mir umgemacht um zu verhindern, dass ich ihm entkam und als Strafe für meinen letzten Ausbruchsversuch. Ich wusste, dass er mich damit ganz sicher finden würde, deshalb musste ich in Bewegung bleiben, versuchen, die nächste Stadt zu erreichen, damit mir jemand helfen konnte, doch das gestaltete sich deutlich schwieriger als erhofft, ich hatte keine Ahnung, wo seine Fabrik, mein Gefängnis, lag, noch in welcher Richtung sich irgendeine Art von Zivilisation befand, also konnte ich nur mein Glück herausfordern, doch davon hatte ich die letzten Jahre nicht wirklich viel gehabt. Der Schmerz ließ nach und die Anspannung verließ meinen Körper, weshalb ich noch weiter zusammensackte, eigentlich hatte ich keine Kraft mehr, weiter zu gehen, doch ich wollte einfach noch nicht aufgeben. Ich wollte diese Strapazen nicht umsonst auf mich genommen haben. Ich dachte daran, wie ich entkommen war, es war purer Zufall, ein Hauch von Glück, ich war gerannt, geflohen vor ihm, ich sah es immer noch bildlich vor mir, wie er nackt versuchte, mir hinterher zu rennen, doch ich war zu schnell und er nicht vorbereitet, das Tor stand offen, die anderen seines Teams waren kurz davor auf dem Gelände einzutreffen, es war die perfekte Chance und ich hatte sie genutzt. Seine Wachen hatten gar nicht so schnell reagieren können, wie ich durch das Tor und hinaus in den Wald verschwunden war. Und seitdem lief ich, vermutlich der dritte Tag, zumindest war die Sonne schon zweimal auf- und wieder untergegangen, die genaue Uhrzeit wusste ich allerdings nicht. Die Augen fielen mir erneut zu und diesmal traf ich auf eher unschöne Erinnerungen.

Ich hörte wie meine Mutter panisch anfing zu schreien, kurz darauf verstummte sie und ich hörte schwere und etwas leichtere Schritte die Treppe hinauf kommen. Ich kauerte mich schutzsuchend neben dem Bett zusammen und hörte kurz darauf wie meine Zimmertür aufgerissen wurde. Ein Mann im schwarzen Anzug betrat mein Sichtfeld, vor ihm lief meine Mutter, er hielt ihr eine Pistole an den Kopf und sie sah mich geschockt an. Außer ihm betraten noch drei weitere Männer meinen Raum und es war fast schon ein Wunder, dass sie alle darin Platz fanden. Ich saß immer noch wie gelähmt an der Wand und sah ängstlich zu meiner Mutter. "Wenn du sie uns freiwillig überlässt, bleibst du am Leben.", raunte der Mann mit der Waffe meiner Mutter zu während er seinen Blick starr auf mich gerichtet hatte, noch nie in meinem Leben hatte ich einen Menschen so grinsen sehen. "Ihr werdet sie nur über meine Leiche mitnehmen.", zischte meine Mutter, doch ich konnte ihre Angst hören. "Bist du dir deiner Entscheidung ganz sicher?", fragte der Mann erneut und ich sah etwas in seinen Augen aufleuchten. Etwas von dem ich sagen konnte, dass es nichts Gutes war. Meine Mutter presste ein kaltes Ja hervor und ich hörte nur noch den Schuss. Ich sah wie meine Mutter kampflos zu Boden ging, das Blut spritzte an die Wand und die Scheibe, kurz darauf lag sie bewegungslos auf dem Boden und der Teppich labte sich an ihrem Blut. Ich konnte nicht reagieren, nicht begreifen, was gerade geschehen war. Der Mann kam zu mir, zog mich am Arm nach oben und kurz darauf befand ich mich in einem schwarzen Van. Ich hatte keinen Widerstand geleistet, ich war viel zu schockiert um überhaupt reagieren zu können.

Einzelne Tränen liefen mir bei der Erinnerung an meine Mutter über die Wangen, ich war damals gerade mal 8 Jahre alt und bald schon würde ich 17 werden. Sie hatte das nicht verdient und ich hatte dieses Leben genau so wenig verdient. Ich wusste nicht, warum er da anderer Meinung war, er hatte es mir in den letzten neun Jahren nie gesagt und er würde es auch nicht, oft genug hatte er es mir deutlich gemacht. Alles was er dazu sagte war, dass ich es verdient hätte oder es mich nichts anginge. Aber was war so schlimm daran, es mir einfach zu sagen? Ich hatte nicht wirklich viel Zeit darüber nachzudenken, denn ich hörte Zweige brechen und etwas entfernt vernahm ich Stimmen. In wenigen Sekunden stand ich wieder kerzengerade, die Angst hatte mich fest im Griff, ich sah in die Richtung aus der die Geräusche kamen und die Panik machte sich in mir breit. Gar nicht so weit von mir entfernt, sah ich ihn stehen und ich wusste, ich musste laufen, so schnell ich nur konnte. Ich machte auf dem Absatz kehrt und rannte mit der letzten mir verbliebenen Kraft so schnell ich nur konnte, ich hörte, dass sie mir folgten. Ich wusste, dass weglaufen noch nie die Beste Option war, mir würde eine heftige Strafe dafür blühen, sobald er mich wieder in seinem Griff hatte und darauf hatte ich beim besten Willen keine Lust. Meine Lunge brannte wie Feuer und ich sah schwarze Punkte vor meinen Augen tanzen, ich konnte mich nicht mehr konzentrieren und ich stolperte, als wäre das hier ein schlechter Film. Ich fing mich gerade so noch ab, ohne mir größeren Schaden zuzuziehen und wollte mich wieder aufrappeln, doch da war es schon zu spät.

At the End of FallWo Geschichten leben. Entdecke jetzt