Gedankenbesetzer

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|•JORDAN•|

Ich kann Caleb einfach nicht mehr ansehen, seine Stimme nicht mehr hören, seine Präsenz im gleichen Raum spüren.

Wir haben uns geküsst?!
Und er verheimlicht mir das?!

Was war es für ein Kuss? Ein scheuer Kuss? Ein wilder? Erotisch? Mit Zunge oder ohne?

Oh Gott, warum denke ich überhaupt daran?

Wieso hat Caleb es mir nicht erzählt?

Wollte er mich gar nicht küssen und bereut es jetzt?
Das muss es sein. Er will nicht, dass ich mich daran erinnere, weil er den Kuss scheiße fand.

Aber es war trotzdem mein recht es zu erfahren. Ich meine, es war mein erster Kuss mit einem Jungen. Mit Caleb!

Ich bin so oft darauf angesprochen worden, dass ich aufgehört habe zu zählen und ehrlich gesagt bin ich froh, dass endlich Wochenende ist und ich mich im Zimmer verkriechen kann.

Aber wie immer habe ich nur die gleichen Gedanken.
Gedanken an Caleb.
Seine Haare, seine Stimme, seine Augen, sein Geruch, seine Lippen.
Wie sie sich wohl anfühlen? Angefühlt haben? Fand er den Kuss wirklich so schlecht?

Ich schäme mich so. Ich kann nicht glauben, dass ich ihn geküsst haben soll.
Und danach? Was war nach dem Kuss?

Ich könnte mich mal wieder schlagen für meine Gedanken, weil es immer nur um Caleb geht.
Er macht mich verrückt!

Er hat mich total verändert. Aber ich finde es irgendwie gar nicht schlimm. Mir geht es gut, wenn er bei mir ist, aber irgendwie auch schlecht, weil die Sache mit dem Kuss zwischen uns steht.

Mittlerweile bin ich gar nicht mehr sauer wegen der Tatsache, dass wir uns überhaupt geküsst haben, sondern, weil ich es vergessen habe.
Ich meine, hallo?! Ich könnte schreien!

Es stellt sich mir ebenfalls wieder die Frage, was in der Nacht von Freitag auf Samstag genau passiert ist.
Wie habe ich dieses Schädel-Hirn-Trauma erlitten?
Bin ich ausgerutscht? Hat mich jemand umgeschlagen? Wer hätte einen Grund so etwas zu tun? Vielleicht Saschas Leute? Aber, wenn sie sich schon trauen, mir etwas zu tun, dann wäre es schlauer gewesen, mir den Fuß oder die Hand zu verletzen statt den Kopf, denn somit könnte ich nicht mehr tanzen. Also denke ich, ich kann sie ausschließen.
Vielleicht ein Mädchen? Nein, es gibt zwar viele kranke Bitches, aber ganz ehrlich, niemand ist so verrückt und schlägt einen Typen um, nur, weil er einen sitzen gelassen hat.

Es gibt also niemanden, der einen Grund hätte, mich zu verletzen und trotzdem habe ich durch ein einziges Ereignis meine Erinnerung verloren. Meine Erinnerung an einen Kuss mit einem Jungen. Caleb.

Der Gedanke ihn geküsst zu haben, fühlt sich nicht mehr falsch an. Ich habe mich daran gewöhnt.
Ich habe es mir tausendmal vorgestellt, bin verschiedene Variationen durchgegangen, aber nichts davon ist real.
Das enttäuscht mich und genau das ist mein Problem.

Ich bin enttäuscht, weil ich mich nicht an den Kuss mit Caleb erinnern kann. Weil ich ihn nicht küssen kann. Das ist alles so konfus und... Ich weiß nicht.
Ich bin verwirrt, aber bei all meinen verqueren Gedanken, gibt es eine Gemeinsamkeit. Sie hängen alle mit Caleb zusammen.

In Wahrheit geht es doch immer nur um Caleb.

Er ist das erste, was ich morgens sehe, das erste, woran ich denke, die Person, der ich am meisten vertraue, bei der ich mich immer sicher und geborgen fühle, fast, als wäre er mein Zuhause und nicht das Haus, in dem ich aufgewachsen bin.

Es ist irgendwie so, als bräuchte ich nur Caleb, um egal wo immer und überall glücklich zu sein.
Aber das hilft bei meiner Verwirrung auch nicht gerade.

Ich meine, ich denke den ganzen Tag an meinen Stiefbruder. Wenn ich ihn sehe, breitet sich ein komisches Gefühl in mir aus. Wenn ich seine Stimme höre, würde ich am liebsten die Augen schließen und jeden seiner Töne in mir aufsaugen. Wenn ich weiß, dass er im selben Raum ist, versuche ich mich immer von meiner besten Seite zu zeigen und trotzdem bin ich in seiner Nähe mehr ich selbst als sonst irgendwo.

Ich habe keine Ahnung, was mit mir los ist.
Sowas ist mir noch nie passiert.

Aber es macht mich auch unglaublich wütend, ihn zu sehen.
Er erinnert sich noch an den Kuss mit mir.
Er weiß es.
Er hatte die Entscheidung, mir davon erzählen und er wollte es nicht.
Er wollte, dass ich es nicht weiß.
Er will, dass es niemals passiert ist.
Und das verletzt mich mehr als ich zugeben will.

Irgendwann höre ich wie die Türe gegenüber, also die zum Bad, zugeschlagen wird und schrecke hoch.
Verdammt, was muss der auch immer so einen Lärm machen?!
Verwundert stelle ich fest, dass ich den ganzen Tag im Bett verbracht und meinen Gedanken nachgehangen habe. Ich seufze.
Was macht Caleb bloß mit mir? Was macht er aus mir?

Vielleicht sollte ich einfach mal mit ihm reden.
Ich kann ihm ja nicht ewig aus dem Weg gehen und eigentlich will ich das auch gar nicht. Ich habe einfach keine Ahnung, wie ich ihm gegenübertreten soll.

Als die Türe wieder auf und zu geht, springe ich aus dem Bett und will zur Türe rennen, doch beim Weg dorthin wird es mir plötzlich so schwindelig, sodass ich mich an der Wand festhalten muss, um nach vorne zu kommen.
Mir ist schwarz vor Augen, meine Atmung geht flach.
Das ist öfter so, seit meinem geheimnisvollen Unfall, daher müsste es gleich wieder besser gehen.

An der Tür angekommen, greife ich blind nach der Türklinke und drücke sie runter, nur, um Calebs nacktem Rücken dabei zuzusehen, wie er in seinem Zimmer verschwindet.
Ich kann nicht mehr weiterlaufen, also lasse ich mich an der Wand entlang auf den Boden sinken und lehne meinen Kopf nach hinten. Nur einen Moment ausruhen.

Aus diesem einen Moment muss ein langer Schlaf geworden sein, denn als ich eine Stimme höre, zwinge ich mich die Augen zu öffnen. „Jesus Gott, Jordan, was machst du denn da auf dem Boden?“ Calebs Mum kommt von der Treppe aus auf mich zu und kniet sich vor mich, um mich besorgt zu mustern.
Müde blinzele ich ein paar Mal. „Ich bin wohl eingeschlafen“, murmele ich und richte mich langsam wieder auf.
Ich höre Schritte auf der Treppe und hoffe schon, dass es Caleb ist, aber stattdessen kommt nur mein Vater auf mich zu.
Sind die drei Wochen, die die beiden weg wollten echt schon vorbei?

Als mein Vater mich sieht, verfinstert sich seine Miene. „War ja klar, dass du den ganzen Samstag im Bett verbracht hast. Weißt du, du könntest wirklich auch mal etwas Produktives machen oder wenigstens Sport, aber nein, du liegst immer nur faul herum.“
„Georg, er hat gerade im Flur geschlafen“ Clarissa sieht zu meinem Vater hoch und er zu ihr herunter.
„Ist ja noch schlimmer, bist du jetzt auch noch ein Penner oder was?“
„Dad...“, murmele ich, um mich zu erklären, doch da kommt schon die nächste Person dazu.
„Jordan, was ist los? Bist du wieder umgekippt?“ Caleb geht ohne auf unsere Eltern zu achten auf mich zu und nimmt mein Gesicht in die Hände, um mich besorgt zu mustern.

Er ist mir so nah.

Ich reiße die Augen auf und sehe ihn an, während er mich mustert.
„Sag schon“, fordert er.

„Was war noch gleich die Frage?“, will ich verwirrt wissen.

„Jordan, was ist schon wieder los mit dir? Hast du wieder Drogen genommen? Ich dachte, das hätten wir hinter uns.“ Mein Vater verschränkt genervt die Arme vor der Brust, ich zucke mit den Schultern. „Nein, ich habe keine Drogen genommen. Ich wollte mich nur kurz ausruhen, weil mir schwindelig war und dann bin ich halt auf dem Flur eingepennt. Jetzt macht mal kein Drama und lasst mich alle in Ruhe“
Beleidigt löse ich mich aus Calebs Griff und schreite trotzig zurück in mein Zimmer.

Wow, mein Vater war drei Wochen nicht zuhause, hat kein einziges Mal angerufen und sobald er zurückkommt, scheißt er mich nur an.
Danke, Dad, womit habe ich dich nur verdient?

(Keine) Liebe auf den ersten Blick  (BxB)Where stories live. Discover now