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P.o.v. Nico
Ich nahm erneut meine Position am Zuschauerende des Stegs ein. Meine Aufgabe war simpel: Reyna informieren, sobald etwas schief lief.

Drew wandte sich zum Ausgang und Will trat hervor. Sein Lächeln wirkte aufgesetzt, das Blinzeln krampfhaft, der Gang wackelig. Als er dann auch noch immer wieder mit seinen Füßen an nicht vorhandenen Bodenunebenheiten hängen blieb, schwante mir Übles. Am Ende des Stegs begann der Blonde zu schwanken, ehe er die Augen verdrehte und zusammen sackte. Ein erschrockenes Raunen ging durch den Saal. Mit schnellen Schritten eilte ich auf das Podest zu, statt eine der Treppen zu benutzen, stämmte ich mich nach oben zu dem Jüngeren. Ohne weiter auf unsere Umgebung zu achten, schob ich ihm einen Arm unter den oberen Rücken und die Kniekehlen, um ihn hoch zu heben. Mit meiner rechten Hand, welche ich unter seinen Knien hatte, langte ich nach dem Knopf in meinem Ohr.
"Reyna, schick Piper raus", wies ich sie an und nahm die nächstgelegene Treppe von der Bühne.
"Was ist los?", funkte sie zurück.
Piper stolperte etwas überfordert auf den Steg.
"William ist zusammen geklappt", beantwortete ich.
Piper fing sich wieder und setzte ihren Weg elegant fort. Als sie uns passierte, warf sie mir einen besorgten, wie auch fragenden Blick zu. Ich schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln, welches das braunhaarige Mädchen sofort erwiderte.
"Wieso? Was ist passiert?", meldete sich Reyna während dessen.
"So wie ich vermute, war es ein Kreislaufzusammenbruch", antwortete ich.
Der Blonde in meinen Armen regte sich seufzend, ehe er die Augen flatternd öffnete.
"Hm? Nico? Was machst du...? Wo?", begann er zu stammeln.
"Ich habe dich vom Steg geholt, William. Du bist ohnmächtig geworden", fasste ich für ihn zusammen.
"Warum?", hakte er noch etwas benommen nach.
"Du hast wahrscheinlich zu wenig gegessen und/oder getrunken", teilte ich ihm meine Vermutung mit.
Ich schob uns durch die Meute aus Modeln und Designern, die sich hinter den Kulissen versammelt hatten, in unsere Kabine. Den Jüngeren setzte ich auf einen Stuhl und drückte ihm eine Flasche Wasser in die Hand. Er sah mich etwas verdattert an.
"Trink, piccolo. Nicht, dass ich dich doch noch in die Notaufnahme bringen muss", verlangte ich.
In meinen Rucksack wühlte ich nach dem Süßkram, den wir gestern noch gekauft hatten. Vorsorglich packte ich bereits einen der Schokoriegel aus, welchen er mit einem schwachen Lächeln entgegen nahm. Ich nahm mir selbst auch einen. Zucker war an solchen Tagen lebensnotwendig.
"Tut mir leid, Nico", ertönte die Stimme vom Blonden zaghaft.
Ich hob meinen Blick, den ich zuvor zu Boden gerichtet hatte.
"Wofür entschuldigst du dich? Das hätte jedem passieren können."
"Ist es dir schon mal passiert?", hakte er nach.
"Ich bin nicht das Maß aller Dinge."
"Also nein", beantwortete er selbst die Frage.
"William...", ich ließ es im Raum stehen, da die Tür aufgestoßen wurde.
Johanna stürmte auf den Jüngeren zu.
"Geht's dir gut, mein Baby?"
Sie schloss ihn ohne Umschweife in ihre Arme.
"Mum, alles gut", versicherte er ihr und versuchte ihren Griff zu lösen.
"Das kann ich mir nicht vorstellen, wenn Nico dich sogar von der Bühne holen musste", widersprach sie und drückte ihn noch einmal näher an sich, bevor sie schweren Herzens von ihm abließ.
"Schon, aber es geht mir jetzt wieder gut", um das zu unterstreichen hob er die Flasche erneut an die Lippen.
"Du hast das unter Kontrolle?", wandte sich Jo an mich.
Mit einem Nicken bestätigte ich.
"Na dann. Ich muss zurück zu Kayla", und damit verließ sie etwas beruhigt den Backstage-Bereich, wobei ich noch rätselte, wie sie es überhaupt zu uns geschafft hatte. Aber dieser Frau traute ich auch zu, dass sie den Wachmann notfalls gewaltsam überwältigt hatte, um zu ihrem Sohn zu gelangen.
Der Rest unserer Gruppe sah nicht minder besorgt aus, sobald sie bei uns eintrafen.
"Alles gut?", hakte Reyna ein, als ihr Blick von mir zu Will huschte.
Drew verfolgte eine andere Taktik.
"Was tust du nur, Darling? Du kannst uns doch nicht so einen Schrecken einjagen!", brabbelte sie drauflos, zog Williams Augen mit Daumen und Zeigefinger auf und versuchte auch einen Blick in seinen Mund werfen.
Es fehlte nur noch, dass sie eines dieser Holzstäbchen hervor holte und seine Zunge nach unten drückte. Sachte schob der Blonde das Mädchen von sich.
"Es tut mir wirklich leid, dass ich euch den Contest versaut habe", entschuldigte er sich dann nochmals.
"Das...", setzte Reyna an, wurde aber von ihrer Mutter, die überglücklich die Tür auf riss, unterbrochen.
"Will, kannst du nochmal auftreten oder bist du dazu körperlich nicht in der Verfassung?"
"Jetzt sofort?", artikulierte sich der Blonde etwas perplex.
"Na ja, in fünf bis zehn Minuten, dann schon so fast gleich", gab sie uns nähere Informationen, "Fühlst du sich dazu im Stande?"
Auf seinen fragenden Blick an mich, hob ich abwehrend die Hände.
"Sieh mich nicht so an. Du bist der unter uns, der Arzt wird. Also wenn das jemand beurteilen kann, dann ja wohl du."
"Du müsstes auch nicht allein da hoch", schob Reynas Mutter noch hinterher.
"Wie meinst du das?", hakte ich nun argwöhnisch nach.
"Du wirst natürlich mit ihm laufen", warf sie in den Raum.
"Bitte?", ich glaubte mich verhört zu haben.
Der Ausdruck, der sich in ihre Miene legte, belehrte mich meines guten Gehörs und ließ keinerlei Widerspruch zu. Ich unterdrückte einen weiteren Klagelaut meiner Entrüstung.
"Sie wollen den Mann im grauen Anzug sehen oder nur den Anzug, das weiß ich nicht genau, aber du sollst mit", erklärte sie noch, ehe sie schon wieder davon wuselte und mich meinem Schicksal überließ.
"Na dann", gab ich missmutig von mir.
Kalypso lächelte mich mitleidig an, als sie auf einen der Stühle vor dem Spiegel deutete. Ergeben kam ich dieser Aufforderung nach und hatte nur Sekunden später einen Pinsel voll Puder im Gesicht. Auch an Will wurde kurz nach gebessert und schon standen wir am Bühnenaufgang. In der Zwischenzeit hatte ich mich mit der Situation gezwungenermaßen abgefunden.
"Nico!", Leo rannte auf uns zu, "Was soll ich spielen?"
"Wir haben doch noch das dritte Lied auf dem Stick, oder?"
"Geht klar", schon war er fort.
"Welches Lied?", wollte der Jüngere wissen.
"Das wirst du gleich erfahren. Lass dich einfach von mir leiten."
"Aber..."
"Vertrau mir", unterbrach ich ihn, führte seine Finger an meine Lippen, "Wir treffen uns oben."
"Aber... Nico!"
"Geh einfach auf die Fläche, wenn die Musik beginnt."
"Von welchem Lied denn?"
"Sie werden uns ansagen und dann die Musik", nach diesen Worten ließ ich ihn los und begab mich zum anderen Aufgang der Bühne.

Bell und Freya sprachen schon eine gefühlte Ewigkeit auf dem Steg, vor und für das Publikum miteinander. Es waren vielleicht drei Minuten. Man konnte es ihnen nicht verübeln, doch so langsam kroch die Nervosität auch in meine Knochen. Meine Finger trommelten schon unruhig auf dem nicht sehr vertrauenserweckend stabil aussehenden Geländer herum. William, auf der anderen Seite, zupfte unentspannt am Saum seines Oberteils.
"Na dann, spannen wir Sie und die beiden Jungen hinter den Vorhängen nicht länger auf die Folter", ließ Freya verlauten, holte sich noch ihren Applaus ab und verließ dann mit Bell an ihrer Seite die Bühne, über den mir am nächsten gelegenen Abgang.
Bell sah mich noch einmal an, richtete meinen Kragen und strich mein Jackett unnötigerweise glatt. Meine linke Augenbraue wanderte von ganz allein in die Höhe, sowie meine Mundwinkel.
"Schau mich nicht so an, junger Mann", ermahnte sie mich, hinter ihr setzte die Musik ein, "Ich bin deine Chefin und im Herzen deine Mutter, also lass mich an meinem Jungen herum zupfen bis er perfekt für seinen Auftritt aussieht."
"Für den Auftritt, der schon seit einigen Sekunden läuft?", hakte ich spöttisch nach.
Sie lächelte ertappt, klopfte mir dann verhalten auf die Schulter, ehe ich an ihr vorbei an Wills Seite eilte. Ich legte einen Arm um seine Hüfte und wir setzten uns, als der Beat einsetzte, in Bewegung.
"Ich dachte schon, du lässt mich im Stich", murmelte er.
Ich griff nach seiner Hand, wirbelte ihn einmal im Kreis, zog ihn dann zu mir und vollführte mit ihm einige Discofox-Schritte über den Steg nach vorn.
"Ich musste mich von Bell zurecht zupfen lassen", entschuldigte ich mich, beendete dies mit einer lateinamerikanischen Pose.
"Wieso? Du siehst immer noch genauso aus wie vorher", stellte er fest.
Mit weiteren diversen Tanzschritten, die der Jüngere ohne zu fragen mitmachte, brachte ich unseren Weg an das Ende der Bühne.
"Du weißt doch, sie ist quasi meine Mutter und... Nun, wie würde sich wohl deine Mum verhalten, wenn sie mit an die Bühne dürfte?", startete ich den Versuch einer Erklärung.
Durch eine schwungvolle Drehung entfernte ich uns von einander, behielt aber seine Hand in meiner und zog ihn während des ruhigen Teils in der Musik wieder zu mir heran. Der Blonde legte seine Arme um meinen Hals und seine Stirn an meine.
"Ja, ich denke, ich weiß genau, was du meinst", lachte er zurückhaltend.
Ich bewegte uns sacht im Takt, bis zwei Schläge einsetzten, auf die vier weitere schnelle folgten, die so typisch für dieses Lied waren. Auf diesen Schlägen löste ich mich von ihm, setzte bei jedem Schlag die jeweils andere Fußspitze auf und entfernte mich damit etwas von Will, bewegte mich ein kurzes Stück zurück zum Anfang des Stegs. Nun verstand auch der Blonde, was wir hier eigentlich taten und spielte mit. Der Jüngere sah mich abschätzend an, als ich meine Arme erneut einladend für ihn aufhielt und überholte mich dann mit herablassender Miene. Verwundert drehte ich mich zu ihm. Dieser griff beherzt in den Stoff meines Jacketts.
"Wow!", stieß ich hervor, sobald wir durch seinen Schwung an der Brust zusammen stießen.
"Was?", ein verschmitztes Grinsen zierte seine Lippen, "Nicht damit gerechnet, dass ich dich so anpacken könnte?"
Bei seinen Worten fand seine Hand ihren Weg in meine Haare. Ich konnte mir vorstellen, dass sie jetzt nicht mehr wie gedacht lagen, weshalb ich mich zu seinem Ohr hinunter beugte.
"Nein, ich traue dir so ziemlich alles zu, wenn du schon riskierst von Kalypso und Bell den Kopf abgerissen zu bekommen, weil du meine Frisur zerstören musstest."
Seine Antwort bekam ich in Form eines zum Lachen in den Nacken gelegten Kopfes, ehe er sich von mir los riss und einige Schritte vor mir weg rannte. Ich setzte ihm sofort nach. Am Ende des Laufstegs kreiselten wir zwei Runden umeinander, bis die Musik wieder ruhiger wurde. Ich fasste ihn erneut an seiner Hüfte, seine Arme hatten ihren Platz locker über meinen Schultern. Auf die vier akzentuierten Schläge drehte ich abwechselnd Ferse und Ballen meines linken Füßes aus, um meine Standfestigkeit und damit den Erhalt der Pose, in die ich uns nur Sekunden später befördern wollte, zu sichern. Meine rechte Hand hielt des Blonden linke Kniekehle, während mein linker Arme seinen Rücken stüzte. Unsere Gesichter hingen nur Zentimeter von einander entfernt. Für diesen Moment war es egal wo wir waren, doch nur einen Augenblick später schlich sich Enttäuschung in seine Augen.
"Du wirst mich nicht küssen, richtig?", erwiderte er auf meinen fragend schief gelegten Kopf.
Schweigend schüttelte ich den Kopf.
Ich durfte nicht, nicht hier, nicht jetzt.
"Lass mich runter", verlangte er.
Ohne Weiteres richtete ich uns wieder auf. Will schenkte mir ein verkniffenes und trauriges Lächeln, bevor er schon fast von der Bühne flüchtete.
Und das war der Moment in dem mir aufging, dass ich Mist gebaut hatte.

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3. Januar 2019
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