4 Called

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Ich hatte noch genau fünf Minuten Unterricht, aber der Sekundenzeiger kroch so langsam wie der Stundenzeiger über das Ziffernblatt. Meine Finger trommelten nervös auf dem Podium vor mir.
Ich wollte hier einfach nur raus.
Ich wollte Nico endlich anrufen, jetzt wo er mir schon mal seinen Namen verraten und seine Handynummer gegeben hatte.
Als unser Dozent uns netter Weise zwei Minuten eher gehen ließ, sprang ich auf und stürmte quasi aus dem Gebäude. Dass ich unterwegs an keinem Gegenstand, wie beispielsweise Türen und Wänden, hängen blieb, grenzte an ein Wunder. Im Gehen zog ich schon meine Handy hervor und wählte Nicos Nummer.
Nach wenigen Sekunden ertönte das Zeichen dafür, dass die Leitung bereits belegt war.
Enttäuscht legte ich auf und kickte missmutig einzelne Steine durch die Gegend.
Was hatte ich denn erwartet?
Wahrscheinlich war es etwas Berufliches und er musste das Gespräch annehmen.
Ich fragte mich sowieso, was er eigentlich von mir wollte.

Erst kurz vor unserer Haustür versuchte ich es erneut.
Nach dem zweiten Klingeln nahm er ab.
"Hallo, William", erklang eine unglaublich angenehm tiefe Stimme.
Wie hypnotisiert öffnete ich die Tür.
"William?", fragte er.
"Ich... ähm... Hi", gab ich von mir.
Eine Zeit lang war es still zwischen uns. Ich ging in mein Zimmer und schmiss mich auf mein Bett. Durch den Hörer drang ein Kratzen zu mir, wie das eines Stifts auf Papier.
"Arbeitest du? Stör ich dabei?", wollte ich daraufhin wissen.
"Nein, selbst wenn hätte ich nichts dagegen."
"Was wird es denn?"
"Ehrliche Antwort?", hakte er nach.
"Immer doch."
"Ich hab keine Ahnung", gab er zu und brachte mich damit zum Lachen.
"Hab gehört, du modelst für uns", meinte er, als ich mich beruhigt hatte.
"Ja, aber Reyna meinte, es soll eine Überraschung für dich werden."
"Sie hat deinen Namen auch nicht explizit genannt. Aber auch ich kann eins und eins zusammen zählen, wenn ich euch mit ihr reden sehe und sie mir gut zwanzig mal erzählt, dass mir das männliche Model, das sie auftreiben konnte, wohl sehr gut gefallen würde", erklärte er.
"Und... ist es okay, dass ich das mache?", mich über kamen gerade Zweifel.
"William, ... ich könnte mir niemanden besseren vorstellen, es ist nur..."
"Nur was?", hinter fragte ich seinen unvollständigen Satz.
"Bist du dir sicher, dass du das machen möchtest? Ich meine, es ist ja nicht nur ein Fotoshooting. Es geht ja auch um diesen Fashion Contest in ein paar Wochen..."
"Das mit dem Contest ist mir neu", murmelte ich.
Er seufzte leise am anderen Ende der Leitung.
"Das konnte ich mir schon fast denken. Bell hat es mir auch vorhin erst eröffnet. Nach Jahren will sie wieder an so etwas teilnehmen. Reyna wusste das sicher noch nicht."
"Und wenn wir es trotzdem machen würden, was müssten wir machen?", fragte ich dann.
Unterdessen hatte ich meinen Laptop geangelt, aufgeklappt und gestartet.
"Reyna wird euch dann noch diese Woche zu einem unserer Schneider bringen, um euch zu vermessen. In einer Woche oder so, wenn eure Klamotten fertig sind, werden wir das Shooting machen. Und zu guter Letzt am Anfang des übernächsten Monats werdet ihr auf dem Contest für uns laufen."
"Wir haben das doch noch nie gemacht. Wie denkst du dir das?"
Mein Computer hatte es nun auch in einen arbeitsbereiten Zustand geschafft, weshalb ich mich einloggte.
"Wir haben sowieso noch ein viertes professionelles Model, also würden wir euch das einfach mit ihm zusammen, so gut wie es geht, beibringen", sagte er als wäre es absolut logisch.
"Okay, ich frag die beiden gleich mal", ehrlich gesagt, war ich gerade dabei, ihnen über Instagram zuschrieben.
"Und?", begann er in einem lockeren Ton, der mich erahnen ließ, dass es jetzt nicht mehr um seine Arbeit ging, "Wie geht es dir?"
"Gut, sehr gut und dir?", grinste ich.
"Hab schon schlimmeres erlebt."
Diese Aussage ließ mich eine Sekunde lang stutzen.
"Dir ist hoffentlich bewusst, dass ich jetzt nach fragen werde, was das zu bedeuten hat."
"Mir geht's gut, William, wirklich. Dank dir kann ich meinen Job behalten und habe in dir eine wundervolle Persönlichkeit entdeckt", meinte er.
"Was habe ich denn mit deinem momentanen Arbeitsplatz zu tun?"
"Nun, ich hatte meine Inspiration verloren, piccolo, und hätte deswegen fast meinen Job verloren. Aber dann kamst du."
"I-ich... ähm, ich verstehe immer noch nicht so ganz", stotterte ich.
Kurz hörte ich ein heiseres Lachen.
"Du inspirierst mich, William. Bell hat mich, für die Ideen, die ich wegen dir hatte, über den Klee gelobt. Ich habe so unendlich viele Ideen, wenn ich nur an dich denke. Danke jedenfalls."
Ich konnte mir ein entzücktes Quieken nicht verkneifen. Ob es ihm nun bewusst war oder nicht, es war total süß zu hören, dass ich ihn inspirierte.
"Habt ihr Meerschweinchen?"
"Nein", piepte ich.
"Ach, du bist das", lachte der Ältere.
"Tut mir leid."
"Passt schon, piccolo."
Schmunzelnd richtete ich meine Augen wieder auf den Computerbildschirm.
"Oh, Piper hat mir geantwortet", teilte ich ihm mit und öffnete die Nachricht.
"Piper ist welche der Beiden?"
"Die etwas kleinere mit den braunen Haaren.", beschrieb ich.
"Okay. Und die mit den schwarzen Haaren heißt wie?"
"Drew."
"Ist notiert, danke."
"Also Piper meint, sie wollen es trotzdem machen", erzählte ich.
"Und Drew?"
"Piper meint schon alle beide. Sie sind schließlich Schwestern."
"Sie... Okay?", kam es ungläubig von ihm.
"Ja, kaum zu glauben, oder? Aber sie sind auch nur Halbgeschwister. Selbe Mutter, anderer Vater."
"Gut zu wissen... glaube ich.", sagte er.
"Will,", meine Mutter riss meine Zimmertür auf, "denkst du bitte an... Mit wem telefonierst du?"
"Mit Nico."
"Wem?", hakte sie nach.
Ich zeigte auf die Zeichnung von mir, die er angefertigt hatte.
"Oh, richte ihm liebe Grüße aus", grinste sie.
"Ist angekommen, von mir auch", erwiderte er.
"Dir auch liebe Grüße, Mum."
"Er hat das gehört?"
"Jap", meinte Nico knapp.
"So wie's aussieht."
"Na ja, was ich sagen wollte: Denkst du bitte an Kayla."
"Natürlich, Mum", beteuerte ich, wusste aber, dass es ein 'jetzt sofort' war.
"Gut, ich gehe einkaufen."
Ich nickte ihr noch zu, bevor sie mein Zimmer verließ.
"Heißt soviel wie, ich muss auflegen."
"Versteh schon. Hol deine Schwester ab und wenn du willst, kannst du dann nochmal anrufen", bot er an.
"Mache ich, verlass dich darauf."
Ich hörte noch wie er lachte und dann aber auch schon auflegte.

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6. Juli 2017

Design it ~ SolangeloWhere stories live. Discover now