(1/3) Moccatorte

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Mrs. Chapman und die Kinder brachten sie zur Tür.

Draußen begrüßte sie die kühle Herbstluft, die Emma erleichtert einsog. Was immer nun davon kommen mochte, es war geschafft. Die Familie begleitete sie in Hausschuhen die lange Auffahrt hinunter und bis auf den Fußweg, dann blieben sie stehen.

"Ich brauche noch deine Nummer", erinnerte Mrs. Chapman sie und zwinkerte ihr verheißungsvoll zu.

"Oh ... mein Handy liegt im Wagen. Zusammen mit dem Mantel." Die heiße Welle, die ihr Gesicht flutete, war Emma noch peinlicher als der Fakt, dass sie wohl der einzige Mensch auf der Welt war, der seine Handynummer in so wichtigen Situationen nicht auswendig parat hatte. Wie würde es aussehen, wenn sie jetzt eine ihrer aus Jux entworfenen Visitenkarten zückte, auf denen ihre private Facebook-Page neben ihrem Spitznamen prangte! Holly bemerkte Emmas Erröten offenbar; fasziniert starrte sie ihr ins Gesicht - gerade so, als würde sie jeden Moment erwarten, dass in dem Rot auch noch grüne Punkte aufblühten.

Geistesgegenwärtig rettete Ms. Potts die Situation. "Ach, das ist kein Problem! Ich habe Ihre Nummer, Mrs. Chapman, und Sie haben meine. Rufen Sie mich gleich an, wenn Sie sich besprochen haben! Wir gehen jetzt erst mal in Ruhe frühstücken, ich hatte heute Morgen noch keinen Kaffee." Sie streckte den Arm aus und rieb Emma aufmunternd den Rücken. "Und Emma kann ganz sicher ebenfalls ein Frühstück gebrauchen. Ihre Nummer sende ich Ihnen dann gleich von meinem Handy, ich habe sie ja gespeichert." Sie reichte Mrs. Chapman die Hand. "Wir lassen Sie jetzt allein, damit Sie Ihre Entscheidung treffen können."

"So machen wir das." Mrs. Chapman nahm die Hand der Betreuerin und schüttelte sie. "Kinder, sagt auf Wiedersehen", forderte sie Holly und Jasper auf.

Als Holly sich Emma näherte, wirkte sie ein wenig schüchtern. "Ich hoffe, dass Mama sich für dich entscheidet." Ihr Lächeln entblößte ihre Zahnlücke. "Ich finde dich nämlich nett."

Emma musste ebenfalls lächeln. "Ich finde dich auch sehr nett, Holly! Und deinen kleinen Bruder auch!" Sie sah an dem blonden Mädchen vorbei und zu dem kleinen Jasper hinüber. Er stand bei seiner Mutter, die lachend noch einige Worte mit Ms. Potts wechselte. Als er sah, dass seine Schwester mit Emma sprach, kam er heran. Mit seinen runden blauen Augen schaute er prüfend zu ihr hinauf. Man konnte sehen, dass er nachdachte. "Kannst du Fußball spielen?", fragte er schließlich mit seiner hellen Stimme.

"Ich denke, das bekomme ich hin! Wenn ich nicht ins Tor muss!"

Jasper grinste über das ganze runde Gesicht. Er strich sich eine vorwitzige Haarsträhne von den Augen weg. "Und Ritter? Kannst du gut Ritter spielen?"

"Oh, Ritter kann ich gut. Ich kann Luftpferd reiten. Und kämpfen ... und den König schützen!" Sie überlegte. "Ich habe nur kein Schwert. Aber ich kann welche aus Pappe machen. Oder aus Stöcken."

Der Junge strahlte jetzt so sehr, dass sie beinahe glaubte, er müsse im Dunkeln leuchten. "Mensch, du kannst aber viele Sachen", rief er. Mrs. Chapman unterbrach ihr Gespräch mit Ms. Potts und sah zu ihren Kindern herüber.

Hoffentlich bemerkt sie, wie interessiert die beiden sind, dachte Emma, als sie den wohlwollenden Blick auffing, den Mrs. Chapman ihr zuwarf. Holly und Jasper waren so perfekt auf Emmas Wellenlänge, dass es einfach klappen musste! Als sie sich herunter beugte, weil der Kleine sie in seiner Begeisterung spontan umarmen wollte, durchflutete sie eine warme Welle der Freude. Alles würde nun besser werden. Diese Familie war so freundlich und offen, dass sie sich vorstellen konnte, hier ihre Unsicherheiten im Nu zu überwinden. Ihre schlechten Erfahrungen mit Mrs. Saunders würde sie bald vergessen haben. Mr. Chapman hatte Emma an diesem Morgen leider nicht kennengelernt und die Großmutter der Kinder hatte eher still dabei gesessen und ihre Unterhaltung aufmerksam verfolgt; aber insgesamt war alles ganz wunderbar verlaufen. Sie hatte guten Kontakt zu den Kindern gewonnen und war sehr schnell aufgetaut. Holly und Jasper hatten es ihr leicht gemacht.

SHADOW HALL - Eine Geistergeschichte aus Irland #ThebestwriterAward2019Where stories live. Discover now