fünfunddreißig

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Wehmütig betrachtete ich Noah, als er sich von mir löste und durch die Kontrolle lief. Er winkte mir nochmals und formte ein 'Ich liebe dich' mit seinen Lippen. Die Lippen nach denen ich jetzt schon wie eine Verrückte süchtig war. Ich war so überwältigt von all den Emotionen in mir drinnen, dass ich anfing schwerer zu atmen und mich an meinem Bruder abstützen musste. "Wow wow wow. Rosalie, alles okay bei dir?" Ich blinzelte ein paar mal, damit die schwarzen Punkte vor mir verschwanden und nickte dann zögerlich. "Wir sollten wirklich zum Arzt gehen." krächzte ich. Er nickte besorgt und legte einen Arm um mich. Er setzte mich in sein Auto, schloss die Türe und stieg auf der Fahrerseite ein. Beruhigend schloss ich meine Augen und lehnte mich an dem Sitz an. Ich bekam immer noch kaum Luft. Ich öffnete einen Spalt des Fensters und versuchte die frische Luft in meinen Körper aufzunehmen. Emmett schaute immer wieder beunruhigt zu mir. "Weißt du wieso ich mir so Sorgen um dich mache?" fragte er mich vorsichtig. Ich nickte und versuchte mein vor mir verschwimmendes Blickfeld wieder scharf zu stellen. "Ich will dir keine Angst machen, aber es ist inzwischen genau wie..." Ich schnappte nach Luft und unterbrach den Vortrag meines Bruders. "Genau wie bei Mum. Ich.." Ich rang nach Luft. "Ich weiß.." beendete ich mein Gestammel. 

Ich wollte schauen, wie mein Bruder das alles aufnahm, doch als ich zu ihm blickte wurde langsam alles schwarz vor mir.
Als ich aufwachte hörte ich ein gleichmäßiges Piepsen an meinem rechten Ohr und atmete den nach Desinfektionsmittel riechenden Sauerstoff ein. So gut es nun mal ging. Ich öffnete meine schweren Augenlider und schaute in das Gesicht einer Ärztin. "Hallo Rosalie. Weißt du wo du bist?" fragte sie mich. Ich nickte. "Wo ist Emmett?" fragte ich, doch man hörte es kaum. Meine Kehle fühlte sich schmerzhaft trocken an. "Ich habe deinen Bruder und deinen Vater für einen Moment raus geschickt, weil wir jetzt ein paar Tests an dir durchführen wollen." Ich nickte erneut. "Wie fühlst du dich?" Sie schrieb irgendetwas auf. Ich zuckte mit den Schultern. "Kannst du den Schmerz von 0 bis 10 einstufen?" fragte sie mich und fasste mir kurz an die Stirn. Ihre Hand war unangenehm warm oder ich war unnatürlich kalt. "5?" Meine Antwort hätte auch als Frage gelten können, da ich nicht wirklich wusste wie genau ich das denn einschätzen könnte, da ich wahrscheinlich noch nie eine 9 oder 10 an Schmerzen hatte.

Oder vielleicht hatte ich das, aber woher hätte ich das auch wissen sollen. Ich habe noch nie jemanden sagen hören 'Oh, heute habe ich aber Schmerzen von der Stärke 4!', weshalb ich die Frage ziemlich dumm fand. Diesmal nickte sie. Sie schaute sich gerade meine Krankenakte an. "Du bist 17, heißt das du machst gerade deinen Abschluss?" fragte sie mich. Ich nickte zögernd. "Nächstes Jahr." Sie seufzte. "Kannst du mir bitte mal sagen, was dir alles weh tut?" Ich berührte meinen Hals und meinen Brustkorb. "Meine Lungen, mein Brustkorb, alles in diesem Bereich eigentlich." Sie biss sich nachdenklich auf ihre Unterlippe. "Hör mal, wir machen jetzt mal eine Laboruntersuchung und eine Röntgenaufnahme und dann wissen wir mehr." Mir lief eine Träne die Wange runter. "Was ist los? Tut dir etwas jetzt mehr weh?" Ich schüttelte meinen Kopf. "Ich hab Lungenkrebs nicht wahr?" Überrascht betrachtete sie mich einen Moment. "Meine Mutter ist vor ungefähr einem Jahr daran verstorben." erzählte ich weiter. Sie lächelte mich sanft an. "Bis jetzt wissen wir noch gar nichts sicher. Wir müssen auf die Ergebnisse der Tests warten und dann kannst du dir noch lange genug Sorgen drüber machen okay?"

Ich nickte. "Okay." Dann fingen sie und noch ein paar andere an mich zu untersuchen. Es ging nicht so lange wie ich es mir vorgestellt hatte, aber auf die Antwort zu warten fühlte sich an wie eine Ewigkeit. Emmett und mein Vater saßen beide auf Stühlen in meinem Zimmer. Mein Vater wippte nervös mit seinem Bein und drehte sich jedes mal um, wenn jemand an unserem Zimmer vorbei lief. Emmett kaute an seinem Daumen rum und beobachtete mich stumm. Sein Blick sah so leer aus, dass es mir mehr weh tat ihn so leiden zu sehen, als meine eigentlichen Schmerzen ertragen zu müssen. Ich wollte nicht, dass er und Dad das alles nochmal durchmachen müssen. Ich wollte das nicht mehr durchmachen. Wie würde es sein, zu wissen, dass man bald sterben würde? Was würde ich Noah sagen? Wir waren doch eben erst zusammen gekommen. Es war schon schwer genug, wenn er so weit weg sein würde, aber wenn ich ihm jetzt sagen würde dass ich krank bin, dann würde er sofort hier her fahren und hier bleiben. Ich wollte ihm das nicht antun. Er sollte seinen Traum nicht aufgeben. Nicht für mich.

Die Doktorin kam mit den Ergebnissen in das Zimmer und schaute mich müde an. Sie war bestimmt schon seit heute morgen hier und inzwischen war es spät abends. Sie betrachtete erst mich, dann meinen Bruder und meinen Vater mitleidig. "Es tut mir leid Rosalie. Ich habe leider keine guten Neuigkeiten für euch. Du hast Lungenkrebs. Außerdem müssen wir jetzt noch weitere Tests durchführen." Ihre Worte quetschten auch den übrigen Rest Luft in mir raus. Sofort fiel mein Blick auf meine Familie. Emmett schaute mich hoffnungslos an, während Tränen über sein Gesicht liefen, mein Vater starrte einfach nur geradeaus auf den Boden und sagte kein Wort. Sie betrachtete uns mitleidig. "Es wäre besser, wenn sie beide einfach mal nach Hause gehen, etwas essen, vielleicht ein wenig schlafen und Kleidung für Rosalie holen." Mein Vater reagierte nicht. "Sir?" fragte sie vorsichtig und legte ihre Hand auf seine Schulter. Er erschreckte sich leicht und schaute sie mit Tränen in den Augen an. Dann nickte er zögerlich. "Ja.. Ja, ja klar. Wir... wir gehen nach Hause und holen alles. Passen Sie solange gut auf meine Kleine auf!" sagte er durcheinander. Er nahm meinen Bruder zu sich und kam nochmal zu mir.

"Alles wir gut mein Schatz. Alles wird.. " seine Stimme zitterte. Ich nickte und konnte meine Tränen nicht unterdrücken. "Ich hab dich lieb Dad!" schluchzte ich. "Ich dich auch mein Schatz." "Wir haben dich alle so unendlich lieb!" erklang Emmetts kratzige Stimme. Sie umarmten mich beide fest und verließen dann das Zimmer. Und nachdem auch die ganzen anderen Tests und Untersuchungen fertig waren war ich alleine.

The Boy Next DoorKde žijí příběhy. Začni objevovat