dreißig

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Unzufrieden betrachtete ich mich im Spiegel. Das silberne Kleid schmiegte sich an meine zierliche Figur und betonte somit meine weiblichen Rundungen perfekt. Meine Augen hatte ich mit bräunlich-weißen Tönen umrundet, wodurch meine grünen Augen nur noch mehr hervor stachen. Unschlüssig steckte ich meine Haare hoch, ließ sie jedoch wieder einige Sekunden später fallen. Erneut betrachtete ich mich nachdenklich. Irgendetwas gefiel mir nicht. Vielleicht die kleinen Baby-Härchen, die vermutlich nur für mich sichtbar waren und wild von meinem Kopf abstanden oder meine Unschlüssigkeit über meine Frisur. Es könnte jedoch auch daran liegen, dass ich meiner Mutter sehr ähnlich sah. Ja, ich sah ihr so verblüffend ähnlich und doch konnte ich an ihre Schönheit niemals ran kommen, denn sie hatte das wundervollste Lachen auf der Welt. Es war so herzlich und ehrlich, dass es einen immer dazu animierte darin einzusteigen. Und ihr Charakter war Gold wert. Sie war einfach wunderschön und zwar von innen nach außen. Und genau diese Perfektion würde ich niemals erreichen. Plötzlich kam ich mir vor wie eine billige Kopie meiner Mutter, obwohl ich wusste dass das nicht stimmte. 


Doch je näher ihr erster "Todes-Jahrestag" kam desto öfter hatte ich solche Gedanken, die dann von Schwindelanfällen und Atemnot gefolgt auftraten. Wild mit den Händen fuchtelnd versuchte ich mir verzweifelt Luft zu zu fächern, damit mein 30 minütiger Aufwand, mein Gesicht einigermaßen akzeptabel hinzubekommen nicht umsonst war. Langsam schlenderte ich zu meinem Fenster und öffnete es etwas. Am anderen Fenster stand Noah. Er schaute nicht zu mir, sondern in seinen Spiegel und knöpfte gerade sein Hemd zu. Wehmütig lehnte ich meinen Kopf an den Fensterrahmen und beobachtete ihn eine Weile bei dem Versuch, vergebens eine Krawatte zu binden. Lächelnd griff ich zu meinem Block und schrieb meine Nachricht drauf.

Kann ich dir helfen, bevor du dich damit noch strangulierst? :)

Dann warf ich einen kleinen Softball gegen sein Fenster, damit seine Aufmerksamkeit endlich, von dem was er Krawattenknoten nannte, aber mehr aussah wie ein aufgespindeltes Chromosom, auf mich gelenkt wurde. Grinsend las er meine Nachricht und kritzelte ebenfalls etwas auf seinen Block.

Oh trauriges Blümchen, du bist meine Heldin! Ich komme gleich rüber! :)

Dann verschwand er aus meinem Sehspektrum, nur damit er 10 Sekunden später wieder vor unserer Haustüre auftauchen konnte. Grinsend setzte ich mich auf mein Bett und wartete geduldig bis Noah durch meine Türe hereingestolpert kam. "Solche Dinger sollten echt verboten werden. Das grenzt wirklich an Selbstmord! Ich meine, schau dir das doch mal an!" Seine Stirn war in Falten gelegt, als er sich neben mich auf mein Bett setzte und den Softball in irgendeine Ecke warf. Kopfschüttelnd versuchte ich den Knoten zu lösen. "Man sollte doch meinen so ein anständiger junger angehender Musikstar, wie du sollte so etwas drauf haben!" Erwartend hob ich eine Augenbraue. "Wieso sollte ich das, wenn ich doch dich habe, die das für mich machen kann?" Abwartend musterte er mich. "Aber Noah, ich kann dir doch nicht durch die ganze Weltgeschichte folgen, nur weil du deine Krawatte nicht richtig binden kannst!" Ich lachte spöttisch, denn bei dem Gedanken mit Noah durch die Welt zu reisen kribbelte es in meiner Magengrube. "Wieso nicht? Du hast doch gesagt du möchtest reisen!" Verwirrt musterte er mich und versuchte mich zu durchschauen. "Natürlich möchte ich das, aber da wo du hingehen würdest um deine Musik zu spielen sind nicht gerade immer die Orte, die ich bereisen möchte.." Erschrocken darüber, dass ich unsere unvermeidliche 'Trennung' angesprochen hatte verwandelte sich das wohlwollende Kribbeln in einen unangenehmen Druck.


Nachdenklich blickte Noah auf meine Hände, die gefaltet in meinem Schoß lagen. Langsam glitten seine Hände meine Oberschenkel hoch in meine und übten leichten Druck auf sie aus. "Wenn man etwas unbedingt will, dann findet man einen Weg. Durch Kompromisse zum Beispiel." Intensiv blickte er in meine Augen und zog mich somit in seinen Bann. "Re-" Ich räusperte mich. "Reden wir immer noch über deine Krawatte?" Meine Kehle wurde ganz trocken bei seinem ernsten Anblick. Wollte er etwa, dass wir unsere Zukunft zusammen verbringen? Aber wie konnte er sich dabei so sicher sein? Vielleicht würde es keine gemeinsame Zukunft für uns geben. Vielleicht war es so vorgesehen, dass ich nur ein weiterer Abschnitt in seinem Leben war, aus dem er etwas lernte. Langsam schüttelte Noah seinen Kopf, während seine Hände sich von meinen lösten und zögerlich zu meinen Wangen glitten. Seine weichen Finger umschlossen meine Kieferknochen und jagten einen wohligen Schauer durch meinen Körper. Seine Berührungen waren nur ganz leicht, kaum zu spüren und doch waren sie so intensiv und aussagekräftig wie noch nie zuvor. Ein Grinsen schlich sich auf seine Lippen. "Was ist?" fragte ich ihn mit rauer Stimme, da sich mein Speichel in Luft auszulösen schien. "Du bist so wunderschön, Rose. So wunderschön und so einzigartig." Verlegen senkte ich meinen Blick.


"Ich muss ehrlich zu dir sein." Sein Daumen strich meinen Mundwinkel, der sich gerade zu einem Lächeln zog. "Ich weiß, dass das eigentlich nicht richtig ist, aber du bedeutest mir etwas. Und ich weiß nicht, wie lange ich es noch aushalten kann ohne meine Kontrolle zu verlieren." Ich hielt meinen Atem an, um keines seiner geflüsterten Worte zu verpassen. "Wieso lässt du nicht einfach los?" Mein Blick wich zu seinen halb geöffneten Lippen, durch die sein Atem nur stoßweise kam. Zwiegespalten biss er sich auf seine Unterlippe. "Du weiß, dass ich bald 21 bin und du 17. Das ist nicht richtig." wiederholte er. Verwirrt zog ich meine Augenbrauen zusammen. "Wie kann etwas, dass so falsch ist, sich dann so richtig anfühlen?" wisperte ich. Es klang schon fast wie ein flehendes Wimmern. Abwechselnd wanderte sein Blick von meinen Lippen zu meinen Augen und wieder zurück. Nachdenklich seufzte er kurz. Doch ich lächelte ihm nur aufmunternd zu. Egal was er jetzt tat, ob er mich nun küsste oder nicht:

Dieser Moment war einfach zu perfekt, als dass man ihn ruinieren konnte. Dann überwand er endlich den kleinen Abstand zwischen unseren Lippen und küsste mich.







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