„Cemre?" frage ich vorsichtig nach. Verdammt! Wieso redet sie nicht? Was ist mit Cesur? „Rede verdammt!" Sie bricht in Tränen aus. „Er dreht durch." schluchzt sie.

Ohne noch weiterhin Cemre zuzuhören, läuft Yaman schon los. Mit großen Augen schaue ich Yaman hinterher und mein Herzschlag wird immer heftiger. Mit zitternden Beinen stehe ich schwer vor Cemre.

„Verdammt!" ruft sie und läuft auch wieder zurück. „Cemre!" rufe ich verzweifelt nach ihr, aber vergeblich. Sie bleibt nicht stehen und verschwindet auch hinter der Türe.

Auch ich mache es ihnen gleich und laufe mit zitternden Beinen ins Haus. Ich habe keine Ahnung was mich dort drinnen erwarten wird, aber ich muss jetzt bei Cesur sein.

Ich betrete das Haus und sehe alle im Wohnzimmer. Erschrocken blicke ich auf den Boden, wo eine kaputte Vase, zertrümmert in Tausend Teile liegt. Mit großen Augen starre ich Cesur an, der sich immer wieder durch den Bart geht. Meine Augen folgen seinen Schritten.

„Wie konntest du mir das verschweigen?" brüllt er und geht gefährlich auf Cemre zu, welche sich sofort klein macht und immer lauter schluchzt. Heilige Scheiße, was geht hier vor? „Was ist passiert?" packt Yaman Cesur an der Schulter. Cesur entzieht seine Schulter aus Yamans Griff und schaut ihn voller Leere an.

Seine Augen feucht und keine einzige Emotion ist zu erkennen. Außer dieser kleine Funken an Enttäuschung. „Wusstest du es?" brüllt er dieses Mal Yaman an. Mit einem fetten Fragezeichen im Gesicht schaut er ahnungslos zu Cemre.

„Cemre?" schaut er mit strengen Zügen zu seiner kleinen Schwester. „Verdammt!" ruft sie verzweifelt und rauft sich an den Haaren. „Ich habe heimlich Kontakt zu Alara." schluchzt sie noch lauter. „Du hast was?" brüllt auch er sie an.

Alara? Ein fetter Kloß hat sich in meinem Hals gebildet und hindert mich daran richtig schlucken zu können. Cüneyts und Cesurs Schwester, Alara? „Warum hast du nichts gesagt?" Sie wischt sich die Tränen weg. „Das ist doch jetzt nicht wichtig!" ruft sie verzweifelt. „Du erzählst jetzt auf der Stelle, was Sache ist!"

„Sie wollte nicht, dass es Cesur erfährt." flüstert sie vollkommen außer sich. „Scheiße!" schaut sie wie vom Blitz getroffen zu Cesur, welcher immer wieder schreiend gegen die Wand boxt. „Wir müssen zu ihr!" Sie greift hastig nach den Schultern ihres Bruders.

„Sie hat mich vorhin weinend angerufen. Wir müssen zu ihr." Mit schnellen Schritten geht Cesur auf sie zu und schaut ihr eindringlich in die Augen. „Was ist mit ihr?" Cemre schüttelt ihren Kopf. „Ich weiß es nicht."

Cesur packt sie vollgeladen an den Schultern und schaut sie mit feuerspuckenden Augen an. Sein Körper am zittern, das Gesicht rot vor Wut und die Knöchel stechen weiß hervor. „Lüg mich nicht an!" faucht er sie voller Zorn an.

„Ich weiß es wirklich nicht. Wir müssen sofort zu ihr!" sie gerät immer mehr in Panik und ist schon am ganzem Körper am zittern. Ich halte sie am Oberarm fest, damit sie so einen Halt an mir findet und nicht zu Boden kippt.
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Ich sitze im Auto hinter Yaman, der angespannt und konzentriert zugleich das Auto fährt. Bevor wir überhaupt einsteigen konnten, haben Cesur und Yaman noch laut diskutiert wer das Auto fahren wird.

Natürlich sind wir alle gegen Cesur gewesen, da er in so einem Zustand nicht fahren sollte. Jetzt sitzt er stillschweigend am Beifahrersitz und schaut nur kalt nach vorne.

Meine Blicke haften die ganze Zeit schon- seit dem wir eingestiegen sind- an Cesur. Keine Sekunde habe ich weggeschaut. Es ist so, als würden sie an ihm kleben. Aber so wirklich kleben, denn ich kann meine Blicke nicht von ihm nehmen. Egal, wie sehr ich mich dazu zwinge, es geht einfach nicht.

Seine Haltung ist ziemlich angespannt. Durch seine Hände, die er schon die ganze Fahrt über zu Fäusten geballt hat, stechen seine Muskeln am Arm so richtig hervor. Meine ganze Aufmerksamkeit liegt nur an diesen schönen Muskeln die jedesmal, wenn er sich durch die Haare geht oder sich über den Bart streicht, tanzen.

Als er leicht hustet wandern meine Blicke langsam bis nach oben, dabei entlasse ich keine Stelle und schaue mir alles genau an, bis ich an seinem Hals angekommen bin. Sein Hals welcher durch dicke Adern, die heftig hervorstechen, geschmückt ist.

Erst als das Auto zum Stehen bleibt und Yaman den Motor ausschaltet, schalte ich wieder in das hier und jetzt um und schaue geschockt raus. Ich habe ihn nicht wirklich fast acht Stunden lang angestarrt, oder? Beschämend beiße ich mir auf die Unterlippe und steige mit den anderen aus.

Als ich mich umschaue fängt mein Herz an wie wild zu schlagen. Nur einige Meter, nur einige Häuser weiter steht unser Haus. Unser Haus und unser kleines Restaurant, wo ich nie helfen wollte. Lange schaue ich in die Richtung, die zu mein Zuhause führt und mir wird ganz warm.

Meine Augen füllen sich mit Tränen und am liebsten würde ich jetzt dahin rennen. Dahin rennen und meine Familie in den Arm nehmen, ihnen sagen, wie sehr es mir doch leid tut. Ich wollte es nie. Und sie kennen mich zu gut, um mir zu glauben.

Durch ein lautes Geschrei und Geschluchze werde ich von meinen Gedanken gerissen. Mein Kopf bewegt sich in die Richtung und erst jetzt fallen mir die ganzen Polizisten auf. Mit großen Augen starre ich dahin. Mein Herzschlag verdreifacht sich und ohne überhaupt richtig nachzudenken renne ich Richtung Türe.

Geschockt erstarre ich im Wohnzimmer, als ich einen leeren Rollstuhl voller Blut entdecke. Ethem Amcas Rollstuhl. Schwer schlucke ich und schaue zu den anderen, die wie verrückt vor sich hin weinen. Außer Cesur. Leer schaut er, ohne einmal mit der Wimper zu zucken, den Rollstuhl an.

Was zur Hölle ist hier passiert? Wo ist Ethem Amca? Bitte ihm ist nichts passiert, bitte!

Laut schreiend tretet Cesur gegen den Rollstuhl, dreht sich zu der Wand hinter sich um und boxt immer wieder dagegen. Seine ganze Wut, seine ganze Trauer, die sich erst jetzt in seinen Augen wieder spiegeln, lässt er an der grauen Wand raus.

„Cesur!" versucht ihn Yaman zu beruhigen, dieser aber schubst ihn nur weg und schmeißt alles um sich herum um. Auch zwei Polizisten schaffen es ihn nicht ruhig zu stellen.

Wie von alleine bewegen sich meine Füße in seine Richtung. Ich greife nach seinem Handgelenk. „Cesur." schluchze ich. Und erst dann wird mir bewusst, dass ich alles leise weinend beobachtet habe.

Mit diesen dunklen Augen schaut er mich voller Hass an und entzieht seine Hand aus meinem Griff. Voller Hass. Hass, welcher nicht an mich geht. Hass, welcher er nur allein für sich verspürt.

Ich geh einen weiteren Schritt auf ihn zu und packe ihn dieses mal an der Hand. Feste drücke ich zu und schaue zu ihm rauf. „Beruhig dich." flüstere ich. Er schüttelt seinen Kopf und will seine Hand erneut entziehen, aber dieses mal bin ich stärker und lasse es nicht zu.

Ich kann nicht zu lassen, dass er sich selber hasst.

C E S U R - IWhere stories live. Discover now