22. Ostsee und Lucas

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Am nächsten Morgen werde ich vom Meeresrauschen geweckt, welches mich auch in den Schlaf begleitet hatte. Es ist noch sehr früh. Ich gehe auf die Terrasse und stütze mich auf dem Geländer ab. Die salzige Luft umhüllt mich und verspricht, dass es ein schönes Tag wird. Die aufgehende Sonne spiegelt sich in der Wasseroberfläche. Es ist hier genauso schön, wie ich es in Erinnerung hatte, nur, dass meine Mutter an meiner Seite fehlt. Der Trip hierher war der letzte, den wir als Mutter und Tochter gemacht haben.

Ich beobachte noch eine ganze Weile, wie die Wellen brechen und die Sonne höher steigt, bis sich jemand zu mir gesellt. "Wunderschön am Morgen, nicht wahr?" Ich nicke. Tom stützt sich ebenfalls auf dem Geländer ab. "Du hast wirklich sehr viel von deiner Mutter. Auch sie war so fasziniert vom Meer." "Aber noch mehr vom Mond!" füge ich hinzu. Tom nickt kräftig. "Schon als Kind. Wir waren mal zelten und nachts hat sie sich rausgeschlichen, um stundenlang den Mond anzustarren." Ich bemerke, dass auch ich das manchmal mache, aber einfach nur, um allein zu sein und meine Gedanken zu sortieren. Hat Mama das früher deswegen gemacht?

Nach dem Frühstück gehe ich allein am Strand spazieren. Ich lasse meine Füße vom warmen Wasser umspülen und beobachte weit entfernte Schiffe. Der Strand füllt sich währenddessen mit immer mehr Menschen. Als ich ein Segelboot entdecke, werde ich von jemanden angerempelt und falle unsanft ins Wasser. "Oh. Tut mir leid! Geht es Ihnen gut?" Der Mann, der mich angerempelt hat, reicht mir seine Hand. "Nein, danke. Ich schaffe das schon allein." Ich stehe auf und wringe meine nassen Haare aus. "Luna?" Der Mann sieht mich fragend an. Seine Stimme kommt mir auf einmal extrem bekannt vor.

Als ich ihn ansehe, weiß ich sofort wer es ist. "Lucas? Was machst du hier? Auch Urlaub?" "Ja. Wow. Schön dich wiederzusehen! Wie lang ist es jetzt her?" "Fast 3 Jahre. Wenn du es genau wissen willst. Es sind 2 Jahre, 11 Monate und 3 Tage." "Ich hatte schon wieder vergessen, dass dein Gedächtnis so gut ist. Es ist viel besser wie meins!" "Besser ALS meins!" rege ich mich sofort auf. Lucas lacht herzlich. "Ich lerne es nie!" "Mit der Einstellung bestimmt nicht!" "Wow. Du gibst Konter! Was ganz neues! Wie kommt das denn?" "Man verändert sich halt im Laufe der Jahre. Und du bist immer noch der selbe? Oder kommt mir das nur so vor?" "Ich werde mich nie ändern. Warum sollte ich auch? Ich bin glücklich so!"

"Hört sich gut an. Ich weiß nun auch, wie es sich anfühlt." "Glückwunsch!" Er grinst mich frech an. Ich grinse zurück. "Du schuldest mir noch was!" "Ach ja? Was denn?" Trotz seiner Körpergröße von 2m, schaffe ich es, ihn ins Wasser zu schubsen. Lachend taucht er wieder auf. "Ok. Jetzt sind wir quitt." Er steht auf. "Wenn du erlaubst, würde ich dir gerne jemanden vorstellen." Ich nicke. Neugierig auf seine Begleitung folge ich ihm zu seinem Platz. "Meine Begleitung ist in unserem Ferienhaus. Wir haben es für den Urlaub gemietet." Er zeigt auf eines der Häuser, die am Strand stehen. 

Eine Frau kommt aus dem Haus. Man sieht ihr an, dass sie schwanger ist. Ansonsten sieht sie recht nett aus. Sie begrüßt Lucas schon von weitem. "Hallo Bärchen! Wen hast du den da gefunden?" "Luna, das ist meine Frau Isabella. Isabella, das ist meine Ex, die ich vor dir hatte." Sie geht freundlich auf mich zu. "Hi. Freut mich dich kennenzulernen!" Sie reicht mir die Hand, die ich zögerlich annehme. "Wow. Lucas ist verheiratet und gründet eine Familie. Noch vor 3 Jahren hätte ich es nicht geglaubt. Siehst du, auch du hast dich verändert! Du bist erwachsener geworden." sage ich zu Lucas.

"Wenn man so darüber nachdenkt, ist es logisch. Schließlich gehe ich auf die 30 zu." "Lucas, du bist doch erst 27!" "Aber nicht mehr lange. In 6 Wochen bin ich 28!" "Jetzt hört mal auf. Lucas! Du wirst bald Vater! Da brauchst du dich doch nicht zu beschweren! Ich muss in etwa 12 Wochen dein Kürbiskopf von Sohn durch ein Loch in Größe einer Walnuss quetschen!" "Es wird ein Junge? Hey, Glückwunsch!" Lächle ich Isabella an. Sie lächelt sanft zurück. "Du kannst gerne mal deine Hand drauflegen. Er ist gerade wach und scheint Fußball oder ähnliches zu trainieren!" sagt sie leicht gequält. Vorsichtig lege ich meine Hand auf ihren Bauch. 

Als auch nach Minuten nichts passiert, lehne ich mich mit dem Ohr dagegen. Ich höre das Blut rauschen, aber auch einen leisen, schnellen Herzschlag. Plötzlich spüre ich, wie sich das Baby bewegt und gegen meine Hand boxt. Unwillkürlich muss ich lächeln. "Es ist wunderschön. Ich kann sein Herz hören." Ich lasse Isabella's Bauch los. "Ihr beide habt etwas schönes geschaffen. Danke, Isabella. Lucas, war schön, dich wiederzusehen. Ich muss jetzt gehen!" "Aber du kannst doch gerne noch bleiben!" "Nein, danke. Es gibt da etwas, dass ich erledigen muss." sage ich entschlossen und verabschiede mich von den Beiden. 

Mit meinem Ziel vor Augen renne ich den Strand entlang, bis zu Tom's Haus. Ich öffne die Tür und finde Max und Marti auf dem Sofa liegen. Ihre Haare sind nass und sie tragen ein Handtuch um die Schultern. Vertieft in ein Videospiel, genauer gesagt Call of Duty, bemerken sie mich nicht, sodass ich zu Tom gehen kann. Er sitzt vertieft in ein Buch an einem Tisch. Er sieht auf, als ich anklopfe. "Na? Zurück von deinem Spaziergang?" Ich nicke und setze mich ihm gegenüber. Man hört Max und Marti heftig diskutieren. "Sag mal Luna, wie hälst du es mit den beiden aus?" "Ich habe eine Angewohnheit, naja eigentlich Krankheit, die es mir erlaubt, so in meinen Gedanken zu versinken, dass ich alles um mich herum, nicht mehr wahrnehme." "Aurelie hat mir davon erzählt. Und du kommst damit klar?"

"Ja. Ich muss dich etwas fragen." "Ok. Worum geht's?" "Als du das Bild meiner Schwester gesehen hast, warst du kurz vorm weinen. Bist du der Vater von ihr gewesen?" Tom schluckt heftig. "Puhh. Damit hätte ich jetzt nicht gerechnet." Er kratzt sich am Hinterkopf, wie er es immer tut, wenn er nervös ist. "Ja. Ich bin der Vater deiner Schwester." "Ok. Hör mal ich mache dir keine Vorwürfe oder sowas. Mir ist nur etwas klar geworden." Er atmet erleichtert aus. "Was ist dir denn klar geworden?" "Es ist, wie soll ich es beschreiben... Ich verstehe jetzt, was zwischen dir und meiner Mutter abgelaufen ist. Um es komplett zu machen fehlt mir nur ein Puzzleteil. Wie war die Beziehung zwischen Igor und Mama, als wir in Essen gewohnt haben?"

"Nun, Aurelie und Igor waren lange kein klassisches Paar mehr. Sie lebten nur noch zusammen, weil Aurelie sonst nicht wüsste, wo sie hinsoll. Und da sie ihren Lebensunterhalt damit verdiente, immer wieder in anderen Städten zu leben, blieb sie bei Igor. Sie lebten also in einer Art Wohngemeinschaft." "Ok. Also hat sie Igor nicht betrogen." "Nein, nein. Aber er war der Meinung, auch wenn sie kein Paar mehr waren, darf sie sich auch nicht mir anderen Männern treffen." "Ok. Danke. Jetzt kapiere ich es. Mama und du, ihr wart von klein an beste Freunde, die sich im Erwachsenenalter ineinander verliebten. Und als dann ein zweites Baby unterwegs war, gefiel das Igor überhaupt nicht." 

"Ja, aber worauf willst du hinaus?" "Wäre ich nicht ausgezogen, was wäre dann passiert?" "Igor konnte dir nichts anhaben. Deine Mutter hatte dafür gesorgt, dass du auch nach ihrem Tod bis zur Selbstständigkeit nichts von Igor zu befürchten hattest. Es stand in ihrem Testament." "Ich habe es gelesen, aber da stand nichts darüber!" "Du hast das gelesen, was Igor dir gezeigt hat. Ich habe das Original gelesen. Als ihr persönlicher Anwalt habe ich es beglaubigen lassen. Auch wenn es Igor nie zugeben würde, liebt er deine Mutter bis heute und respektiert ihren letzten Willen." Diesmal schlucke ich heftig. "Das heißt, wäre der letzte Wille nicht gewesen, wäre Luna von Igor verstoßen worden?" Wir drehen uns zu Max, der sich zu uns gesellt hat.

"Aber wäre sie dann nicht zu ihrer Oma gekommen?" sagt Marti, als dieser sich ebenfalls zu uns setzt. "Ich denke eher nicht. Igor hätte sie sicher an nächstbesten Heim angesetzt oder noch schlimmer. Er wäre ausgezogen, ohne Luna was zu sagen und hätte sie allein gelassen." "Letzteres hätte ich ihm am meisten zugetraut." schalte ich mich dazwischen. "Tom. Du hast ja die zweite Schwangerschaft von Mama diesmal mitbekommen. Dann hast du sicherlich auch mal ihren Bauch berührt?" 
"Na, klar. Die kleine war zwar damals kaum am Leben, aber ihr Herz hat geschlagen und was man in einer Untersuchung mal gesehen hat, immer wenn ich meine Hand auf dem Bauch hatte, hatte sie ihre Hand auch dort. Als wenn sie wusste, dass ich ihr Vater bin. Es war einfach magisch!" Eine kleine Träne rollt seine Wange herunter. Auch mir kommen bei seinen Worten die Tränen. Ich umarme ihn und er erwidert sie. "Lunalein. Es tat mir so weh, als ich erfuhr, wie es um deine Schwester stand. Sie war schon tot, bevor sie überhaupt leben konnte!" "Wem sagst du das, Papa!" 

Auf der Suche nach Heimat (Marti Fischer & Co. KG FF)Where stories live. Discover now