9. Andere Sichtweise

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Marti's POV:

"Ich werde sie fragen! Ich werde sie fragen!" ermutige ich mich immer wieder. Ich habe vor, Luna zu fragen, ob sie mit mir zusammen ein Video machen möchte. Allerdings schwanke ich noch. Mein Herz rast, wenn ich sie sehe, ich kann vor Aufregung kaum sprechen. Es ist schwer mich normal mit ihr zu unterhalten. Wie soll das dann funktionieren im Video? Ich frage mich, wann das angefangen hat. Meine Antwort ist immer die Gleiche: als ich sie das erste Mal gesehen habe.

Es war Neujahr. Ich hatte dieses Jahr nur einen Vorsatz: Ein Mädchen zu finden, dass mich um meinetwillen mag und nicht, weil ich ein YouTuber bin. Von Anfang an stellte es sich als schwer heraus, zumal ich merkte, dass ich Luna wirklich gern hatte. Das merkte auch Max. Er sagte mir das. Ich war für sie da, wenn sie Gesellschaft brauchte und freundete mich schnell mit ihr an. Wir teilten sogar zwei Leidenschaften: Köttbullar und Musik. Es zeigte sich, dass Luna ein Genie darin war, Musik zu erkennen. Wer sie gemacht hat, wann und wo das war, wie der Song heißt und sogar das Genre. Doch am überraschendsten war, als sie anfing, mir die Instrumente aufzuzählen. So entwickelte sich ein kleines Spiel, dass aber nicht lange hielt.

Am meisten aber gefällt mir ihre Art. So natürlich und weltoffen, aber gleichzeitig so unerreichbar und introvertiert. Sie weckte die Neugier in mir auf eine völlig neue Weise. So hielt ich mich ständig bei ihr auf und lernte sie immer besser kennen. Mehr und mehr kam sie mir bekannt vor, doch ich ignorierte dieses Gefühl. Ich machte weiterhin meine Musik auf YouTube, störte die Aufnahmen der Weltraumfrösche und ging anderen täglichen Aufgaben nach.

Nach einigen Wochen wollte ich sie zum ersten Mal fragen, ob sie Lust hat mit mir ein Video zu drehen. Als ich sie nicht fand, fragte ich bei Frodo nach. "Sag mal, weißt du wo Luna ist?" Er schüttelte den Kopf. "Nein, tut mir leid. Schreib sie doch an oder so. Wozu hast du sonst ihre Nummer?" "Danke Frodo, daran habe ich ja noch gar nicht gedacht!" Ich schlug mir die Hand gegen die Stirn. Ich suchte auf WhatsApp ihren Kontakt heraus. Plötzlich fingen meine Hände an zu zittern und mir wurde flau im Magen. Was wenn sie gerade bei einem anderen Jungen ist, den sie mehr mag als mich? Halt Stop! Weg mit dem Gedanken! Ich tippte eine Nachricht ein und schickte sie ab, nachdem ich einmal tief ein- und ausgeatmet hatte.
Kurz darauf war die Antwort, dass sie in einem Laden namens Teebeudel ist, um dort Tee zu kaufen. Ich war erleichtert.

Diese Erleichterung hielt aber nicht lange. Sie verwandelte sich schnell in Skepsis, als Luna dort regelmäßig hin ging. Hatte sie etwa Gefallen an einen der Verkäufer gefunden? Ich wollte mir den Laden mal anschauen und fragte, nachdem ich allen Mut gesammelt hatte, ob sie mir den Laden mal zeigen könnte. Wir gingen hin und ich lernte die Besitzerin kennen. Als ich checkte, dass sie der Grund ist, warum Luna so gern hier ist, legte sich die aufgekommene Eifersucht. Frau Krüger war sehr herzlich. Bei ihr fühlte ich mich auch sofort wohl. Leider erkannte auch sie mich und wir machten noch ein Foto, bevor ich wieder nach Hause ging.

Ihr Geburtstag war recht lustig. Wir feierten im kleinen Kreis. Leider hatte ich kein Geschenk für sie, also spielte ich einfach ein paar der mir bekannten Lieblingslieder von Luna auf dem Keyboard. Ich sah sie dort zum ersten Mal richtig lachen.
Woher sie wirklich kommt, hatte sie bisher keinem verraten. Leider hielt auch Max dicht. Er war einfach ein zu guter Bro, um Luna so zu hintergehen. Aber so ist Max eben. Eine treue Seele.

Am Valentinstag, also gestern, ging es mir besonders schlimm. Ich wollte ein Geschenk für Luna, mir fiel aber nichts ein und ohne Geschenk fühlte ich mich auch kaum in der Lage, ihr zu sagen, was ich fühle. Mittlerweile war mir klar geworden, dass ich mich in sie verliebt hatte. Als letzten Ausweg wollte ich sie nach einem Date fragen, was ich aber vergessen konnte, nachdem sie gesagt hatte, dass sie auf den Valentinstag pfeift. Ich spazierte durch die Straßen, um auf andere Gedanken zu kommen, doch der Anblick der glücklichen Pärchen um mich herum machte alles nur schlimmer.
So verschlug es mich in die nächstgelegene Bar. Es sollte bei einem Drink bleiben, aber den Vorsatz schmiss ich über Board, als ich von Steve die Nachricht bekam, dass Luna und er sich jetzt bis Mitternacht Titanic reinziehen würden. Aus Frust wollte ich eine andere Frau abschleppen. Ich bekam keinen vernünftigen Ton heraus, konnte nicht mal eine andere Frau ansehen, ohne dass ich mich schuldig fühlte. Warum auch immer das so war.

Was danach passierte, weiß ich nur noch bruchstückhaft. Ich trank immer mehr und fand nur schwer den Weg nach Hause. Aber irgendwie habe ich den Weg noch gefunden. Danach weiß ich nur noch, dass ich mich mit Luna unterhalten habe. Sie machte mir einen Tee und brachte mich ins Bett.
Als ich heute morgen aufgewacht bin, sah ich, dass sie mir die Schuhe ausgezogen hat und mich sogar zugedeckt hatte. Für einen kleinen Moment fühlte ich mich wunderbar und glücklich. Dann meldete sich mein Kater, schwächer als erwartet. Es schmerzte nur der Kopf und mein Magen war völlig in Ordnung.
Ich traf Luna in der Küche, als ich dort mit dem Kopf auf der Tischplatte lag und die Erinnerungen an letzte Nacht wieder kamen. Ich schämte mich. Plötzlich höre ich sie sagen: " Guten Morgen Marti!" Mein Kopf tat wieder weh und nach einer Bemerkung ihrerseits stellte sie mir eine Tasse vor die Nase. Ich trank einen Schluck und fand es mega lecker. Erst als ich die ganze Tasse auf einmal trank, kam der eklige Geschmack, den ich erwartet hatte.
Kurze Zeit später ging es mir besser, die Kopfschmerzen sind weg. Ob es an Luna liegt, die neben mir steht oder doch der Tee, kann ich nicht sagen.

Genervt von Frodo und Vanessa geht Luna aus dem Haus. Ich verschwinde ebenfalls in mein Zimmer und setze mir Kopfhörer auf. Die beiden sind für mich nichts neues. Ich surfe ein bisschen auf YouTube, als ich ein Video entdecke. Es ist von der YouTuber-Brosine, die in ihrem einzigen Video erzählt, dass sie mit YouTube Videos anfängt, sobald sie 1 Millionen Abonnenten hat. Dann fällt es mir wie Tomaten von den Augen. Das dort ist Luna! Und sie steht kurz vor der Million!

Ich konfrontiere sie jetzt damit, mir egal, dass sie Besuch hat. "Ich weiß jetzt, wieso du mir so bekannt vor kommst. Ich hab dich auf YouTube entdeckt. Mal ehrlich. Wie hast du es geschafft, fast eine Million Abonnenten zu bekommen mit nur einem Video von vor zwei Jahren, YouTuber-Brosine?“ Ihr Blick wandert auf das blonde Mädchen und Max. Die blonde steht auf:“ Ach, deswegen kamst du mir so bekannt vor!“ Luna's Kopf dreht sich hektisch hin und her, bis Max aufsteht und die Blonde vor sich herschiebend sich verabschiedet.

Luna und ich sind jetzt allein. Sie hat den Blick gesenkt. “Ich wollte es euch nicht sagen, weil ich möchte, dass ihr mich um meinetwillen mögt und nicht weil ich wie ihr YouTuber bin.“ “Früher oder später wäre es eh raus gekommen. Spätestens wenn du die 1 Million geknackt hättest. Aber soll ich dir was sagen? Es macht es mir einfacher.“ Sie schaut mich verwirrt an. “Was macht es einfacher?“ fragt sie dann aber skeptisch.
Verdammt! Ihren Scharfsinnig habe ich vergessen, als mir die Worte rausgerutscht sind. “Es macht es mir einfacher, mit dir zu reden, denn ganz ehrlich, mir ist egal, dass du auf YouTube bist.“ Ich gehe auf sie zu und bemerke, dass sie nicht zurück weicht, wie sie es sonst tut. “Für mich zählt nur dein Charakter. Auch wenn du ihn bisher gut zu verstecken weißt. Dein Lachen ist ansteckend. Du solltest es öfter tun.“ Ich lächle sie liebevoll an. Sie nickt und erwidert das Lächeln.

Wow! Wenn sie lächelt, ist sie noch hübscher! Was ich als nächstes tue, werde ich vermutlich für den Rest meines Lebens bereuen, aber es ist mir egal. Ich nehme ihr Gesicht vorsichtig in meine Hände und ziehe sie damit zu mir. Bevor sie darauf reagieren kann, küsse ich sie bereits. Nur für ein paar Sekunden, aber mein armes Herz rastet komplett aus. Puls auf mindestens 180! Der Bauch ist am Kribbeln wie verrückt, sind das diese berühmten Schmetterlinge im Bauch?
Als ich sie loslasse, sehen wir uns in die Augen. Tränen sammeln sich in Ihren. Sie wendet den Blick von mir ab, packt schnell ein paar Sachen in einen Rucksack. “Ich bin bei Max.“ ist das einzige, was sie sagt, als sie weinend davon rauscht. Ich bleibe wie angewurzelt stehen. Was habe ich da nur getan?

Auf der Suche nach Heimat (Marti Fischer & Co. KG FF)Where stories live. Discover now