7. Titanic

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Einige Wochen später ist alles mit den Ämtern geklärt und ich wohne nun offiziell in Berlin. Meinen Geburtstag am 27. Januar habe ich mit den Jungs klein gefeiert. Ich bin ja nur 24 geworden. Meine Schulter ist gut verheilt und ab März darf ich mein Physikstudium weiterführen, denn auch mit der Uni habe ich alles geklärt.
Und so kommt es, dass ich mich heute, den 14. Februar fürchterlich langweile. Dass Valentinstag ist, geht mir am Arsch vorbei, bis auf die Tatsache, dass dadurch niemand wirklich da ist. Max arbeitet, Frodo und Rick sind mit ihren Freundinnen aus und selbst Marti ist nicht auffindbar, obwohl sich dieser, wenn ich genauer drüber nachdenke, immer in meiner Nähe aufgehalten hatte. Steve hat sich heute morgen in seinem Zimmer eingeschlossen und ist seitdem auch nicht mehr rausgekommen.
Dennoch gehe ich zu ihm, denn auch im Fernsehen läuft nur Schrott. Vorsichtig klopfe ich an die Tür. "Steve?" Keine Antwort. "Steve?" Diesmal etwas lauter. "Moment!" kommt es durch die Tür. Wenige Sekunden später höre ich den Schlüssel sich drehen und Steve erscheint. Sein Zimmer ist abgedunkelt und der Fernseher läuft. "Was gibt es, Luna?" fragt er mit überraschend schwacher Stimme. "Ich langweile mich, aber dir scheint es nicht gut zu gehen. Klingt als hättest du geweint." antworte ich.
Steve leugnet es nicht mal. "Ja, stimmt. Weißt du. Ich bin single und mag es nicht wirklich, deswegen verschließe ich mich vorm Valentinstag und gucke... naja..." er zögert. "Ich gucke Titanic. Den ganzen Tag schon. Ich bin jetzt beim dritten Mal." "Hmm... Ist doch nicht schlimm. Jeder hat seine Weise, wie er diesen Tag verbringt. Ich bin auch single und ignoriere ihn einfach." Steve nickt. Schweigen tritt ein.

"Willst du mitgucken?" fragt mich Steve nach einer gefühlten Ewigkeit. Ich nicke. "Gerne. Ist ewig her, dass ich ihn gesehen habe." Wir setzen uns vor seinen Fernseher. Er gibt mir sogar ein Teil seiner Decken ab. Auch wenn ich mich etwas unwohl fühle, da ich einem eigentlich noch fremden Mann so nahe bin, bleibe ich sitzen und konzentriere mich auf den Film. Ich hatte Steve an der Stelle unterbrochen, wo Rose vom Schiff springen will, aber Jack herbei geeilt kommt, um sie aufzuhalten. Wir schauen schweigend den Film.
Ab und zu greife ich nach Popcorn oder Chips, die Steve vor uns hingestellt hat. Als wir den Film zum zweiten Mal gucken, greife ich erneut nach Popcorn, allerdings bemerke ich nicht, dass Steve das ebenfalls tut, sodass wir beide uns erschrecken, als sich unsere Hände berühren. Ich schrecke mit einem Laut zurück, während Steve die Colaflasche in seiner Hand zusammendrückt. Leider ist kein Deckel drauf und die Öffnung zeigt direkt auf mich, sodass sich der Inhalt auf mein Oberteil ergießt. "Oh. F**k! Sorry! Hier, warte kurz..." Er sieht sich hektisch um und greift dann nach etwas. Es ist ein T-Shirt. "Zieh das erstmal an, dann kann ich das andere waschen. Ich guck auch nicht!" Er legt sich seine Hände vor die Augen. Schnell wechsle ich mein T-Shirt und bringe das nasse und klebrige ins Bad.
Als ich in den Spiegel schaue, merke ich erst, welches T-Shirt ich trage. Es ist das "10 Arten von T-Shirts" T-Shirt in blau! Und es passt wie angegossen. Anscheinend haben Steve und ich die gleiche Größe. Eins ist mal sicher: Dieses T-Shirt behalte ich! Ich gehe zurück und wir schauen weiterhin schweigend Titanic.

Irgendwann merke ich, dass meine Augenlider und eigentlich der ganze Kopf immer schwerer werden. Gerade als Jack und Rose sich besonders nahe kommen, fällt urplötzlich mein Kopf auf Steve's Schulter. Da Steve offensichtlich nichts dagegen tut, lasse ich ihn dort. Im Halbschlaf bekomme ich noch mit, dass Steve beginnt mir den Kopf zu streicheln, aber dann bin ich weg.
Zum Abspann hin werde ich wieder wach. Ich brauche ein paar Momente, bis ich wieder weiß, wo ich bin. Zusammen mit einem Gähnen strecke ich mich herzhaft. "Wie spät ist es?" frage ich verschlafen. Ein Handydisplay leuchtet auf. "Kurz nach Mitternacht." antwortet Steve genauso verschlafen. "Ich geh wohl besser in mein Bett. Auf Dauer geht der Boden mir auf die Nerven. Willst du auch noch n Tee vorm Schlafengehen?" Steve nickt. Gemeinsam gehen wir in die Küche. Während wir warten, dass das Wasser kocht, hole ich zwei Tassen und zwei Teebeutel einer Spezialmischung raus, die ich neulich in einem Teeladen gekauft hatte. Dort bin ich mittlerweile Stammkundin und die Betreiberin ist echt nett. Neulich hat sie mir erzählt, dass sie eine Tochter in meinem Alter hat, die an der Uni Chemie studiert. Sie möchte sie mir demnächst mal vorstellen.
Steve probiert einen Schluck von dem Tee. "Wow. Der ist echt gut. Welche Sorte ist das?" "Spezialmischung für schöne Träume. Aus dem Teeladen um die Ecke." "Ach du meinst den 'Teebeudel'. Bisher hatte ich nicht die Gelegenheit dort mal reinzuschauen." "Es lohnt sich auf jeden Fall und es gibt immer wieder neue Mischungen, aber diese hier mag ich am liebsten." Schweigen tritt ein. Es ist ein unangenehmes Gefühl, da keiner weiß, was er sagen kann.
Steve jedoch bricht die Stille. "Vorhin, als wir, nennen wir es mal, gekuschelt haben. Da hab ich so rein gar nichts gefühlt. Nicht mal ne kleine Regung. Ich kam mir nach ner Weile wirklich vor, als wäre ich schwul. Weil, mal ganz ehrlich. Du bist ne echt hübsche Frau." "Danke." erwidere ich erstmal nur. Steve hat Recht. Auch bei mir habe ich keinerlei Gefühl vernommen. "Geht mir genauso." Ich trinke den Rest vom Tee und stelle die Tasse in den Geschirrspüler.

Auf einmal höre ich einen Schlüssel in der Haustür sich drehen. Marti kommt wenig später lallend und schwankend in die Küche. "Wieda ma een Valtinssdag ohn Dääit." versucht er zu sprechen. Seine Fahne verpestet den ganzen Raum. Er geht zu Steve und legt ihm den Arm um die Schulter. "Na. Alda. Hassst wieda Tita*hicks*  jeguckt?" "Boah. Alter! Geh bloß ins Bett! Du bist unausstehlich, wenn du getrunken hast." Mit diesen Worten geht Steve und verschließt sich wahrscheinlich wieder in seinem Zimmer.
Marti grinst mich komisch an und kommt näher zu mir. "Hat diir sccccchon ma jemand jesacht, dassss du wundersccccchööön bissst?" Ich schenke dem Kompliment keine Beachtung und wende mich stattdessen der Zubereitung eines anderes Tees zu. Als ich mich herunter beuge, klatscht mir Marti auf den Arsch. Einmal tief durchatmen und dann Marti mit bösem Blick anschauen. "Tscccchuldijung?" lallt er und grinst dämlich.
Ich zögere nicht und schlage ihn mit der flachen Hand ins Gesicht. So ein Idiot! Eine weitere Runde von 'Marti-ignorieren' später ist der Tee fertig und ich drücke ihn Marti in die Hand mit den Worten: "Steve hat Recht. Du bist unausstehlich. Trink das hier, dann ist der Kater morgen früh nicht ganz so schlimm!" Dann lasse ich ihn den Tee austrinken, bevor ich ihn in Richtung seines Zimmers schiebe.
Am Bett angekommen, fällt er bäuchlings auf die Matratze und schläft quasi sofort. Nett wie ich bin, ziehe ich ihm die Schuhe aus, bevor ich das Zimmer verlasse und selber schlafen gehe.  

Auf der Suche nach Heimat (Marti Fischer & Co. KG FF)Where stories live. Discover now