Saturday, October 20th

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Dear Marley,

Mum, sie... sie hat geweint.

Marley, Mum ist total fertig.

Nachdem ich gestern geschrieben habe, bin ich ins Bett. Eigentlich wollte ich mich nur an Linc kuscheln und wenigstens ein wenig schlafen. Doch plötzlich habe ich einen riesen Lärm aus unserem Haus gehört. Klirren, rumpeln, ich glaube sogar Schreie.

Obwohl Linc mich aufhalten wollte, bin ich Barfuß und nur in einem seiner Shirts bekleidet über die Straße gerannt und ins Haus hinein. Und was mich dort erwartet hat, konnte ich nicht glauben.

Der Lärm kam von oben. Also bin ich nach oben in Mum und Dads Schlafzimmer.

Dort saß Mum auf dem Boden, ihr Weinen war herzzerreißend.

Sie hat das gesamte Zimmer verwüstet. Alles lag auf dem Boden verteilt, alles in Scherben zersprungen. Genau wie das Herz unserer Mutter.

Ich habe immer geglaubt, Mum hätte uns nur bekommen, weil es sich eben so gehört.

Doch als ich sie da auf dem Boden gesehen habe, zusammengesunken, den Kopf in beide Hände gestützt, da konnte ich das einfach nicht mehr glauben. Sie hat so sehr geweint. Beinahe schon geschrien.

Ich habe nur dagestanden, im Türrahmen und habe sie angestarrt.

Ihre Worte haben mir mein Herz zerrissen.

„Wieso? Wieso meine Kleine?! Warum habt ihr sie mir genommen?!"

Immer und immer wieder hat sie diese Worte geschrien, geschluchzt, geflüstert. Bis sie letztlich vollkommen zusammengesunken ist und sich zu einer kleinen Kugel zusammengerollt hat.

Da konnte ich nicht mehr. Ich habe mich zu ihr auf den Boden gelegt und habe sie in den Arm genommen. Mum hat geweint. Immer weiter geweint. Irgendwann hat sie ihre Arme um mich geschlungen und mich angefleht, sie nicht auch noch zu verlassen.

Marley, ich weiß nicht, warum Mum so ist wie sie ist.

Du kennst selbst unsere Großeltern. Für sie bedeuten Gefühle Schwäche. Und ich glaube, genau das ist es was Mum denkt. Immer gedacht hat. Auch wenn das keinesfalls entschuldigt, warum sie uns immer so behandelt hat als seien wir ihr nicht wichtig.

Doch sie liebt uns.

Das habe ich in der letzten Nacht gesehen.

Linc ist mir selbstverständlich gefolgt und hat mir schließlich geholfen, Mum in ihr Bett zu hieven. Ich habe mich zu ihr gelegt und sie im Arm gehalten. So wie sie mich. Und es war wundervoll. Nicht, dass sie die ganze Nacht in meinen Armen geweint hat. Sondern, dass wir uns in den Armen gehalten haben.

Mum hat mir immer wieder gesagt, wie sehr sie mich liebt. Wie sehr sie uns beide liebt. Und wie leid es ihr tut.

Auch wenn sie die letzten siebzehn Jahre nicht wieder gut machen kann, so will ich ihr eine Chance geben. Sie ist meine Mum... und wenn wir schon dich verlieren, will ich nicht auch noch sie verlieren müssen.

Heute Morgen hatte ich ja kurz die Befürchtung, die letzte Nacht hätte nichts geändert. Doch das hat sie.

Heute Morgen hat Mum mir Frühstück gemacht. Ja, richtiges Frühstück! Ich war wirklich überrascht, doch sie hat sich so bemüht und über mein Lächeln gefreut, da kann ich meine Verwunderung hintenanstellen.

Wir haben zusammen gefrühstückt und auch wenn wir nicht viel geredet haben, waren wir uns näher als jemals zuvor. Schon traurig, dass nur der Tod uns enger zusammenbringen kann.

Auch wenn es noch lange dauern wird, bis ich mich voll und ganz darauf einlassen kann, will ich es versuchen. Nicht für mich, sondern für Mum. Denn so wie es aussieht bin ich im Moment alles was sie hat.

Als ich sie nach Dad gefragt habe, hat sie fast wieder angefangen zu weinen. Die beiden haben seit Wochen kein Wort gewechselt und seitdem Harwey hier war und von den Leichen berichtet hat, trinkt er immens. Auch ihn macht das alles mehr als fertig.

Oh man, du hast keine Ahnung, was dein Verschwinden hier angerichtet hat. Ich weiß, es ist zu unserer Sicherheit und doch ist es furchtbar.

Und ich weiß nicht, wie wir alle damit fertig werden sollen.

Love, Hailey

(652 Wörter; 25.07.18)

Dear Marley...Love, Hailey #icesplinters19Where stories live. Discover now