Friday, August 3rd

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Dear Marley,

unsere Eltern sind einfach unfassbar! Ganz ehrlich, was hat Mutter Natur sich dabei gedacht, den beiden die Möglichkeit zur Reproduktion zu geben?!

Als ich heute von meiner Sitzung bei Darron zurückkam – und ja, er hat mir erlaubt, ihn beim Vornamen zu nennen. Warum, dazu später – sehe ich nur die Koffer im Flur stehen und denke mir schon Gott weiß was. Doch ehe ich fragen konnte, kam Mum um die Ecke gestöckelt und teilte mir mit, dass sie und Dad zu einem acht tägigen Kongress nach Miami fliegen. Der beginnt zwar erst am Montag, doch sie wollen ihr freies Wochenende nutzen, um ein wenig zu entspannen. „Bei dem ganzen Stress in letzter Zeit brauche ich dringend eine Pause. Ich muss auch mal etwas für mich tun."

Als würde sie das nicht schon ihr ganzes Leben lang machen!

Aber die Höhe: Ich sei alt genug um selbst auf mich aufzupassen, also habe sie der Haushälterin die Woche frei gegeben. Versteh mich nicht falsch. Ich gönne Alexandra eine ganze freie Woche. Aber, dass meine eigene Mutter mich völlig auf mich allein gestellt zurück lässt, finde ich mehr als fragwürdig. Ja, ich kann selbst kochen und auch Wäsche waschen. Es geht auch gar nicht darum, dass ich nicht allein zurecht käme.

Doch dass Mum nicht mal darüber nachdenkt, dass ich allein verloren sein könnte, macht mich traurig. Auch wenn ich in einer solchen Situation nicht wirklich etwas anderes von ihr erwartet hätte, bin ich enttäuscht. Verletzt. Traurig.

Doch das hat die Mutter des Jahres nicht gekümmert. Sie hat einfach weiter gemacht, hat mich allein im Flur stehen lassen. Als ihr Taxi kam, hat der Fahrer ihr mit den Koffern geholfen und mehr als ein „Bis dann" war nicht als Abschied zu hören. Mum ging einfach.

Doch Dad hat mich überrascht. Er kam mit seiner Aktentasche die Treppe herunter, gerade als Mum zur Türe raus ist. Er hat mich kurz angesehen, dann Mum hinterher. Als ich sie draußen reden hörte, vermutlich am Telefon, kam Dad mit schnellen Schritten auf mich zu und im ersten Moment hatte ich ein wenig Angst, wollte zurückweichen. Doch Dad... Er hat einfach seine Arme um mich gelegt und mich fest an seine Brust gedrückt.

Er hat mich in den Arm genommen und nach einem kurzen Zögern konnte ich gar nicht anders, als selbst meine Arme um seinen Körper zu schlingen und mich an ihn zu schmiegen. Lieber habe ich diese eine Umarmung als nichts. Und es hat sich so gut angefühlt. Wie er mich an sich gedrückt und mir einen Kuss auf mein Haupt gegeben hat.

„Pass bitte auf dich auf meine Kleine."

Das waren seine Worte. Ich kann mich leider nicht erinnern, wann er mich das letzte Mal so liebevoll in den Arm genommen hat. Doch in diesem Augenblick wurde mir etwas klar. Dad setzt das alles mehr zu, als er zugeben möchte. Auch er macht sich Sorgen, vergräbt sich in seiner Arbeit um sich aus allem heraus zu nehmen. Vielleicht kann ich mal mit ihm reden, wenn ich ihn ohne Mum erwische...

Apropos reden: Heute habe ich geredet. Viel geredet. Mit Darron. Er hat mir erlaubt, ihn beim Vornamen zu nennen. Doktor klingt immer so förmlich.

Mein kleiner Briefkasten steht jetzt in einem seiner regale und ich habe den letzten Brief hineingesteckt. Es hat sich gut angefühlt. Wirklich gut. Nach der Abreise von Mum und Dad war ich aufgewühlt, doch bei Darron, in dem gemütlichen Sessel, da kam ich langsam zur Ruhe.

Ich habe also da in diesen großen Sesseln gesessen und erzählt. Von Mum und Dads Reise, seiner Umarmung. Auch von meiner Begegnung der dritten Art mit Chelsey habe ich ihm berichtet. Ich habe genau gesehen, wie er sich ein wenig das Grinsen verkneifen musste, als ich mich so fürchterlich über sie aufgeregt habe. Aber diesmal konnte ich immerhin darüber reden, ohne gleich wieder weinen zu müssen.

Von Annabeth habe ich ihm natürlich auch erzählt. Von deinem Verschwinden, von dir und Marcus. Letztendlich auch von unseren arbeitswütigen Eltern.

Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, fällt mir auf, dass ich ihm alles rückwärts erzählt habe. Naja, wer weiß, was der in seiner Laufbahn als Psychiater schon alles erlebt und gehört hat.

Tja, und jetzt sitze ich hier, in meinem Zimmer. Allein. Annabeth hat mir vorhin geschrieben, ich solle einfach rüber kommen. Vielleicht sollte ich das einfach tun. In diesem großen Haus ist es so beängstigend still. Bei jedem Knirschen oder Knarzen zucke ich zusammen, erschrecke mich beinahe zu Tode. Du kennst mich, wenn jetzt ein zu lautes Geräusch von irgendwo her ertönt, bekomme ich einen Herzinfarkt!

Aber ich glaube die Entscheidung wird mir gerade abgenommen. Ich kann Anni sehen, sie kommt gerade aus dem Haus und steuert direkt auf unsere Haustüre zu. Zum Glück habe ich sie schon gesehen, sonst würde das Klingeln meinen Puls jetzt durch die Decke jagen.

Also gut, dann werde ich mal... Bitte Marley, melde dich bald...

Love, Hailey

(817 Wörter; 06.07.18)

Dear Marley...Love, Hailey #icesplinters19Where stories live. Discover now