Sunday, July 22nd

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Dear Marley,

hier sitze ich, schreibe erneut an dich. Und das, obwohl ich weiß, dass du diese Worte nicht lesen kannst. Doch soll ich dir etwas verraten? Nachdem ich dir am Freitag den ersten Brief geschrieben habe, konnte ich das erste Mal seit einer Woche wieder friedlich schlafen. Ohne Alpträume, ohne schreiend aufzuwachen, ganz ohne Tränen.

Habe ich nach meinem Besuch bei Dr. Hale noch gedacht, er ist bescheuert, würde ich ihm jetzt gerne dafür danken. Danken, für seinen so dämlichen Vorschlag, der mir aber endlich wieder ein wenig Schlaf gebracht hat.

Das ist auch der Grund, warum ich es erneut tue. Ich habe für mich beschlossen, es einfach zuzulassen. Wann immer mich dieser Drang überkommt, werde ich den Stift in die Hand nehmen und alles aufschreiben. Denn jetzt beim Schreiben fühlt es sich an, als würdest du neben mir sitzen. Mir zuhören und mir wie so oft durch mein Haar streichen.

Aber diese positive Wirkung des Schreibens ist nicht der einzige Grund, warum ich dir erneut schreibe. Nein, denn ich muss einfach mit jemandem über gestern Abend reden. Dad hat natürlich nicht das Essen mit den Millers abgesagt. Wie könnte er auch. Nur, weil seine missratene Tochter der Familie den Rücken gekehrt hat.

Ich wollte nicht. Wie soll ich einen ganzen Abend lang lächeln, Small Talk betreiben und so tun, als gäbe es dich nicht?

Aber genau das wurde von mir verlangt. Ich wurde einfach vor vollendete Tatsachen gestellt. Als ich Mum gesagt habe, dass ich mich nicht gut fühle – und ja, ich habe es ihr tatsächlich gesagt! – hat sie nur gemeint, das Leben gehe weiter und ich solle tun, was man mir sagt. Sonst würde ich so enden wie du.

Ihr ist nicht mal aufgefallen, dass ich nach einer Woche wieder mit ihr gesprochen habe. Mehr noch, ich habe sie beinahe angefleht, einfach nach oben gehen zu dürfen. Doch der blaue Fleck in Form ihrer Finger wird mir noch ein paar Tage lang zeigen, was sie davon gehalten hat.

Letztendlich habe ich den Abend schweigend am Tisch mit unseren Eltern und den Millers verbracht. Bradley hat mich die ganze Zeit seltsam gemustert, doch ich habe einfach alles ignoriert und die Sekunden gezählt, bis ich endlich wieder auf mein Zimmer gehen kann.

Ich weiß wirklich nicht, wie ich das durchstehen soll.

Sie tun einfach so, als wäre alles in Ordnung. Doch das ist es nicht! Allem Anschein nach, bin ich die Einzige in dieser Familie, die das so sieht. Ich spiele tatsächlich mit dem Gedanken, Dr. Hale bei unserem nächsten Treffen einfach alles zu erzählen. Und damit meine ich wirklich ALLES.

Nicht nur, was alles passiert ist seit du weg bist. Nein, auch all den Mist, der uns passiert ist, seit wir klein waren. Die ganze unschöne, ungeschminkte Wahrheit. Das schmutzige Leben hinter der Fassade der Bilderbuchfamilie Madoe.

Doch ich scheue noch davor. Klar, Dr. Hale hat eine Schweigepflicht mir gegenüber. Doch wir beide wissen, wie überzeugend unsere Mutter sein kann. Wenn Matilda Madoe etwas will, dann bekommt sie es auch. Egal was oder eher wie viel es kostet. Ich habe ehrlich gesagt ein wenig Angst, dass wenn ich mich ihm öffne, er Mum alles erzählt.

Soll ich diesem Mann vertrauen? Oh man Marley, was soll ich tun?!

Am Freitag ist mein nächster Termin bei ihm. Also habe ich noch ein paar Tage Zeit mir zu überlegen, ob ich mit ihm reden soll oder ob ich ihm einfach nur für den Vorschlag mit den Briefen danken und anschließend wieder schweigen soll.

Wie gerne würde ich jetzt mit dir reden. Du wüsstest, was zu tun ist. Weißt du einfach immer.

Doch du bist nicht hier. Wo auch immer du bist, ich hoffe es geht dir gut. Auch wenn ich mir unendlich viele Sorgen mache, stelle ich mir am liebsten vor, dass du mit Marcus irgendwo sitzt, Arm in Arm, einfach nur glücklich. Das wäre schön...

Aber trotzdem... Bitte komm zurück.

Love, Hailey

(653 Wörter; 02.07.18)

Dear Marley...Love, Hailey #icesplinters19Where stories live. Discover now