Sunday, August 19th

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Dear Marley,

Dad vermisst dich.

Woher ich das weiß?

Er hat es mir gesagt.

Seit er und Mum wieder da sind, wollte ich ihn darauf ansprechen, was er am Tag der Abreise vor knapp zwei Wochen zu mir gesagt hat. Doch wieder hat er sich die gesamte Woche in seiner Arbeit verkrochen, war kaum zu Hause.

Der einzige Lichtblick waren diese zufälligen Berührungen und Gesten, die doch zu zufällig gewesen sind. Ein Streifen meines armes im Vorbeigehen, ein Drücken meiner Schulter. Und dann dieses kleine Lächeln, das seine traurigen und müden Augen ein wenig aufhellt.

Heute ist der letzte Ferientag, Anni und Lincoln sind mit ihren Eltern unterwegs gewesen, weshalb ich den ganzen Tag allein in meinem Zimmer gesessen habe. Ich habe gemalt... Nur zum Mittagessen bin ich nach unten gegangen.

Das Abendessen hätte ich ehrlichgesagt verpasst, wäre nicht Dad auf einmal in mein Zimmer getreten, einen großen Teller mit Sandwiches in der einen, zwei Flaschen Limo in der anderen Hand. Er hat mich beinahe schon schüchtern angelächelt und natürlich habe ich ihn hereingelassen.

Zusammen haben wir auf dem kleinen Sofa gesessen und die Sandwiches verputzt, schweigend aber dennoch zufrieden.

Dad war vor mir fertig und als er sich umgesehen hat, entdeckte er mein Bild.

Ich habe das erste Mal seit langem wieder auf eine Leinwand gemalt und somit konnte Dad sich vor die Staffelei stellen, die du und Marcus mir vor zwei Jahren zu Weihnachten geschenkt habt.

Er hat es betrachtet, mit dem Finger vorsichtig über den Rand gestrichen. Das Bild ist recht dunkel geworden, doch die junge Frau im Vordergrund sticht deutlich hervor, leuchtet, wie ein Stern in der Nacht. So wie du.

Als Dad sich wieder zu mir umgedreht hat, waren Tränen in seinen Augen, die er aber versuchte herunterzuschlucken. Ich konnte nicht anders und bin zu ihm gegangen, habe meine Arme um ihn gelegt und mich gegen seine Brust gekuschelt. Kaum einen Augenblick später tat er es mir gleich und so standen wir da, Arm in Arm. Haben uns gegenseitig den Halt gegeben, den wir beide in diesem Moment gebraucht haben.

Danach haben wir uns wieder gesetzt und geredet. Dad hat mich das erste Mal seit langem gefragt, wie es mir geht. Er klang ehrlich und aufrichtig interessiert, doch in mir bleib die Blockade. Ich konnte mich nicht vollkommen öffnen. Aber ich habe es versucht. Habe ihm gesagt, dass ich dich vermisse und nicht aufgeben werde. Auch wenn mir die Zeit davonläuft. Immerhin muss ich ab morgen wieder zur Schule.

Es ist mein Abschlussjahr und du weißt, wie gerne ich aus diesem Ort weg will. Meiner Kunstleidenschaft nachgehen und das Leben führen, das ich mir vorstelle. Deshalb muss ich mich weiter anstrengen, die Unterlagen für ein Stipendium habe ich schon in der verschlossenen Schublade zusammengelegt.

Mrs. Halloway hat mir bereits letztes Jahr angeboten, mir bei den Unterlagen zu helfen, sobald es soweit ist. Ich habe sogar schon ein paar Bilder mit ihr zusammengesucht und sie in einer Mappe in der Schule verstaut. Mal sehen, was daraus wird.

Das habe ich Dad zum Beispiel nicht erzählt. Ich weiß nicht so recht, wie ich mit dieser Situation umgehen soll, doch als Dad vorhin hier war, habe ich mir darüber erstmal keine Gedanken gemacht. Eher darüber, dass Dad zugegeben hat, dass du ihm fehlst. Dass er so gerne wüsste, wo du bist und vor allem, ob es dir gut geht. Tja, da ist er nicht allein...

Als er gehen wollte, hat er sich in der Türe nochmal umgedreht und gesagt, ich solle auf mich achtgeben.

„Und bitte, gib nicht auf."

Das werde ich nicht. Ganz bestimmt nicht.

Love, Hailey

(600 Wörter; 11.07.18)

Dear Marley...Love, Hailey #icesplinters19Where stories live. Discover now