25. Kapitel: Lydia

163 13 0
                                    

Hicks

Am nächsten Morgen werde ich von Geräuschen im Haus geweckt. Einen Moment später streckt Astrid den Kopf herein. Hinter ihr kommen auch Lydia, Grobian und mein Vater ins Zimmer und Ohnezahn. Es erschreckt mich immer noch ihn hier zu sehen, doch die Anderen nehmen es eigentlich ganz entspannt. Schweigend und unter genauer Beobachtung richte ich mich auf. Dabei fällt mein Blick wie zufällig auf mein linkes Bein, an dem nun eine Prothese angebracht ist. Damit habe ich meinem Drachen etwas voraus, Ohnezahns künstliche Schwanzflosse wurde komplett zerstört. Mir fällt auf, dass wir noch immer nicht darüber geredet haben. Aber mein Adrenalin von gestern ist verbraucht und so bringe ich es nicht zur Sprache. Bis Ohnezahn schließlich zu mir kommt und mir stolz eine neue Schwanzflosse präsentiert, wer hat die denn gemacht? „Wir haben die halbe Nacht dafür gebraucht deine Skizzen umzusetzen." Erklärt Grobian und lacht. „Das bedeutet der Krieg mit den Drachen ist vorbei?" Ein kleiner Funke Hoffnung keimt in mir auf. Vielleicht haben sie es bereits gestern regeln können, vielleicht ist es bereits vorbei. Im Zimmer breitet sich wieder eine angespannte Stille aus. Schließlich ist es Lydia, die das Wort ergreift: „Ein Großteil von Viggos Flotte liegt bei euch im Hafen. Noch ist nichts entschieden." Erklärt sie, als würde das alles sagen. „Aber der rote Tod ist tot, es muss doch irgendwas passieren!" Das war wohl nicht die beste Entscheidung, denn nun wechseln Vater und Grobian einen ratlosen Blick. „Der rote Tod ist der Grund dafür, dass die Drachen immer wieder angegriffen haben. Sie haben ihm Essen gebracht, damit er nicht aus seiner Höhle kommt und die Inseln zerstört. Da er nun tot ist, gibt es für die Drachen keinen Grund mehr uns anzugreifen, es sei denn wir liefern ihnen einen." Erklärt Astrid, als wäre es das natürlichste der Welt. Also wirklich, das Mädchen, das vor ein paar Tagen noch unbedingt einen Drachen töten wollte, kämpft nun für sie. Mein Vater scheint etwas ähnliches zu denken, zumindest dem was er sagt zu urteilen: „Du warst immer die Beste im Drachentraining, wieso wirfst du das einfach weg?" Seine Stimme klingt richtig vorwurfsvoll. Er scheint sich mit aller Macht an die alten Muster zu klammern.

Lydia

„Ein vermeidbarer Krieg ist nur sinnloses Blutvergießen." Astrid zuckt mit den Schultern und scheint für einen Moment ganz vergessen zu haben mit wem sie da spricht. „Lydia hat es uns mehr als einmal gezeigt, wenn man ihnen keinen Grund gibt töten die Drachen nicht. Es ist reine Notwehr!" Nun wandern alle Blicke zu mir, wie ich das liebe! „Aber diese Frequenzsache!" „War nur reine Show, das was ich gesagt habe stimmt zwar, aber diese Tonhöhe ist für uns Menschen nicht erreichbar! Ich habe das nur gemacht, weil es meine Gedanken klärt, was man beim Umgang mit fremden Drachen nicht unterschätzen sollte und natürlich zur Ablenkung. Ich mache das gerade nicht zum ersten mal, nur die Sache mit Viggo ist neu..." Ich schaue in die Runde, die meisten von ihnen scheinen es ganz gut aufzunehmen. Nur Haudrauf will sich anscheinend unbedingt an den alten Mustern festklammern. Ich schätze mal, dass das etwas mit dem Tod von Hicks' Mutter zu tun hat. „Was ist das eigentlich mit dir und Viggo?" Ich wusste zwar, dass diese Frage irgendwann kommen würde, doch sie trifft mich trotzdem völlig unvorbereitet. Sie kam von Hicks, was mich zusätzlich irritiert, wieso interessiert diese Sache ihn plötzlich?" Aber ich komme aus dieser Sache wohl nicht mehr raus. Auch die restlichen Personen im Raum sehen nämlich interessiert aus, nur Astrid scheint etwas Mitleid mit mir zu haben. Sie ist die Einzige, die den Großteil der Geschichte kennt, wahrscheinlich weis sie sogar mehr, als alle anderen zusammen. „Viggo und ich kennen uns schon sehr lange." Beginne ich meine Geschichte. „Vor zwei Jahren hat es zwischen uns gefunkt, wir waren ein Jahr ein Paar." Die Wahrheit tut gut, sie erfüllt mich und nimmt die Last von mir. Ich fühle mich befreit von etwas, von dem ich garnicht wusste, dass es mich belastet. Mal wieder.

Astrid

Wir haben uns vor mehr als einem Jahr getrennt und sind uns seitdem aus dem Weg gegangen. Ich möchte Viggo immer noch ungern tot sehen, aber ich bin bereit gegen ihn zu kämpfen!" Lydia atmet aus und man kann ihr die Erleichterung einmal mehr ansehen. Nach dieser Geschichte ist es still. Man könnte den Flügelschlag eines Drachen vernehmen, wenn denn einer fliegen würde. Alle scheinen noch einmal in sich zu gehen und zu überlegen, was sie von der Situation halten sollen. Schließlich ergreift Haudrauf das Wort: „Es erklärt immer noch nicht wieso ihr euch auf die Seite dieser Kreaturen schlagt!" Er scheint immer noch wütend zu sein und das, obwohl die meisten Wikinger im Dorf für ein Leben in Frieden mit den Drachen sind. Das haben Fischbein, Rotzbacke, Gustav und ich gestern Abend ganz wissenschaftlich mit Hilfe einer Umfrage herausgefunden. „Ich kann ihren Schmerz verstehen, aber glauben sie mir, es gibt Wege ihn zu lindern, bei denen niemand sterben muss." Lydia geht zu unserem Oberhaupt und legt ihm einen Arm auf die Schulter. „Du hast keine Ahnung!" Bei dem plötzlichen Wutausbruch zucken alle im Raum zusammen. Doch Lydia gibt nicht so schnell auf: „Sagte er zu dem Waisenkind ohne Heimat." Selbst Haudrauf muss sich eingestehen, dass sie wahrscheinlich doch weis wovon sie spricht. Wieder kehrt Stille in der kleinen Kammer ein, jeder wartet auf die Reaktion unseres Anführers. Lydia hat alles auf eine Karte gesetzt, jetzt wird sich entscheiden ob sie damit Erfolg hat. Irgendwann seufzt Haudrauf, was ein klares Zeichen dafür ist, dass er sich geschlagen gibt. „Aber wie bekommen wir die Drachenjäger wieder los?" Fragt er und meine Freude findet ein jähes Ende. Er hat recht, wie sollen wir diese riesige Anzahl an Schiffen aus unserem Hafen bekommen? „Vielleicht gehen sie ja freiwillig." Meint Hicks, wie bitte kann man so kurz nach einem Unfall schon wieder so klar denken? „Viggo will doch immer noch diesen Vertrag oder?" Niemand von uns hat etwas Gegenteiliges gehört. „Aber er ist auch nicht dumm, jetzt wird er sicher noch mehr fordern." Was genau das sein soll verrät sie nicht, aber ihr Blick ruht so unmissverständlich auf Ohnezahn, dass jeder auch so erkennt was sie meint. „Vielleicht schaffen wir es trotzdem ihn zu überlisten..." Ein Lächeln stiehlt sich nicht nur auf Hicks Gesicht. „Dann lasst uns mal loslegen!"

Fünf Jahre Where stories live. Discover now