4. Kapitel: Herkunft

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Lydia

Im Gegensatz zu dem Mann und der Frau, Hicks und Astrid, setzt sich der Mann mit dem rotbraunen Bart nicht hin. Er steht einfach nur da, dann spricht er etwas aus, so leise, dass ich es wohl falsch verstanden haben muss. „Sie kannten meine Mutter?" Frage ich und schaue ihn an. Das ist unmöglich! Niemand kannte meine Eltern. Ich bin ein Waisenkind, mit 6 Monaten auf dem Dorfplatz ausgesetzt, bin ich bei Finn Stava und seiner Familie aufgewachsen. Bis er vor fast einem Monat starb und alles seinen Lauf nahm. Der Rotbärtige schaut mich verwundert an: „Hat sie nie von hier erzählt." Fragt er und sein Gesicht ist in dem Moment fast genauso verwirrt wie das von Hicks und Astrid, die noch weniger als ich zu wissen scheinen. Ich blicke zu Boden: „Sie hat mir nie etwas erzählt, nicht das ich mich erinnern könnte. Ich bin ein Waisenkind." Sage ich tonlos und erwarte die üblichen Reaktionen. Tatsächlich kommt es aber anders, „Sie hätte es sicher nicht so gewollt." Murmelt der Mann und Hicks und Astrid lassen es auf sich beruhen. Andererseits haben sie sicher auch schon einmal ein Familienmitglied verloren. Im Kampf mit den Drachen sind schon viele Wikinger gestorben, zu viele. „Wie bist du eigentlich an den Strand gekommen?" Fragt Astrid nun, Hicks hat mich wohl nicht verraten. Wäre auch nicht gut für ihn gewesen. Aber ich muss ja ein Schauspiel abgeben. „Ich... ich weis es nicht, vorher war ich noch auf der Insel und jetzt bin ich hier." Ich weis selber nicht wieso, aber plötzlich kommt mir die Schiffbruchnummer unglaubwürdig vor. Ich möchte eigentlich nicht Lügen und diese Geschichte entspricht zumindest zum Teil der Wahrheit. „Welche Insel?" Fragt der Rotbärtige mich nun eindringlich. „Ich habe keine Ahnung, wie sie heißt. Ich habe mich nicht an die Regeln gehalten." Ich schaue zu Boden, das was ich sage entspricht der Wahrheit. Ich habe die wichtigste Regel meines bisherigen Lebens gebrochen, übertrete niemals die Grenze. „Du kannst vorerst hierbleiben, bis du wieder weist was passiert ist. Solange kannst du bei uns in der Hütte schlafen, wir haben noch ein Zimmer, dass ich leer räumen kann." Entscheidet der Mann nun. Er wendet sich an die beiden Anderen: „Ihr werdet sie einführen und sie wird mit zum Drachentraining kommen." Dann verschwindet er ohne sich nach meinem Namen zu erkundigen, trotzdem habe ich mein Ziel erreicht, auch wenn es einen bitteren Beigeschmack hat.

Hicks

Vater verschwindet ohne sich mal nach dem Namen der Frau zu erkundigen. Das er auch nur ein Mensch ist, ist nur schwer vorstellbar. Die Frau scheint ebenfalls etwas verwirrt zu sein. Ich frage mich, was das für eine Regel ist, von der sie Gesprochen hat. Doch mein Adrenalin ist verbraucht und ich traue mich nicht, sie zu fragen. „Ich bin Astrid und das ist Hicks." Das Astrid ebenfalls da ist hatte ich ganz vergessen. Sie findet es bestimmt schrecklich mit mir zusammenarbeiten zu müssen. Trotzdem bin ich froh, dass sie da ist. Ich weis nicht was ich tun soll. „Und wie heißt du?" Fragt sie nun und das Mädchen zuckt zusammen. „Lydia, Lydia Mansella." Sagt sie und schaut mich an. Komischer Name, denke ich mir und schaue zur Decke. „Mansella bedeutet Heimatlos, ich habe mir den Namen selber gegeben." Erklärt sie, als ob sie das schon kenne. Vielleicht stimmt das ja auch. „Aber du hast doch sicher eine Familie und ein Zuhause?" Das ist mir jetzt so rausgerutscht, auch wenn ich und mein Vater nicht die beste Beziehung haben will ich ihn nicht verlieren. Lydia schaut zu Boden: „Nein, nicht mehr." Sagt sie bitter und in ihrem Auge glitzert eine Träne. „Sollen wir dir das Dorf zeigen?" Astrid rettet mit ihrer Frage die Situation. Lydia nickt dankbar und wir verlassen zu dritt Gothi's Hütte. Auf dem ganzen Weg durch das Dorf werden wir angestarrt. Mir persönlich ist das unangenehm, ich bleibe lieber im Hintergrund, aber Lydia trägt es mit Fassung. Es sieht fast so aus, als wäre sie es gewöhnt. Vielleicht ist sie das auch? „Was ist eigentlich dieses Drachentraining?" Fragt sie nun und Astrid beginnt sofort ihr davon vorzuschwärmen. Als sie an der Stelle mit der Tötung des Riesenhaften Albtraums ankommt verfinstert sich Lydia's Gesicht. Es ist wie ein Schatten, der über ihr Gesicht gleitet. Dann ist  ihr Gesicht wieder fröhlich, doch es wirkt eher wie eine Maske.

Astrid

„Das wird sicher interessant." Meint Lydia enthusiastisch. Für meinen Geschmack ist es vielleicht etwas zu enthusiastisch. Inzwischen sind wir bei der Arena angekommen. „Hier wird das ganze stattfinden." Erkläre ich und schaue zu Hicks. Den ganzen Weg lang ist er einfach nur neben uns her gestapft und hat mir das reden überlassen. Soll er dich auch einmal etwas sagen! Lydia schaut sich währenddessen interessiert um, als sie die Drachen in ihren Käfigen entdeckt huscht ein Schatten über ihr Gesicht. Kurz schließt sie die Augen, danach ist alles wie zuvor. Unsere Blicke begegnen sich. Als sie bemerkt, dass ich sie beobachtet habe, sehe ich blanke Angst in ihr aufblitzen. Eine Sekunde später ist es wieder verschwunden, sie scheint ein gutes Pokerface zu haben. Auf jeden Fall aber hat sie etwas zu verbergen! „Wenn hast du denn dabei?" Plötzlich steht Rotzbacke mitten im Weg und mustert erst mich, dann Hicks, schließlich gleitet sein Blick zu Lydia und bleibt an ihr hängen. „Das ist Lydia, sie wird morgen mit uns zum Drachentraining kommen." Hicks' Stimme reißt mich aus meinen Überlegungen. Es ist das erste, was er seit seiner Frage von vorhin gesagt hat. „Habe ich dich gefragt?" Fährt ihn Rotzbacke auch sofort an, die beiden konnten sich noch nie leiden. Woran das liegt konnte ich nie sagen, aber Hicks ging einem Wortgefecht meistens aus dem Weg. Zur Freude unserer aller Nerven, an denen die Zwillinge schon genug zerren. Dieses Mal zuckt er aber nicht zurück: „Nein, aber ich habe deine Frage trotzdem beantwortet." Diese Antwort verblüfft Rotzbacke so sehr, dass es ihm für einen Moment die Sprache verschlägt. Doch Hicks wartet nicht so lange, sondern dreht sich zu Lydia um. „Das ist Rotzbacke und der kleinere Junge ist Gustav." Erklärt er ihr und aus seiner Stimme ist kein Quäntchen Verachtung heraus zu hören. „Genau, ich bin Gustav!" Ertönt es da hinter Rotzbacke. Wieso habe ich mich darauf eingelassen?

Fünf Jahre Where stories live. Discover now