Chapter 23

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,,We don't know what is real. Fiction could be our reality and reality could be our fiction."

Es vergingen Wochen und so langsam entwickelte ich wieder einen fast gewöhnlichen Alltagsrhythmus. Ich ging wie jeder Teenager in die Schule, hing mit meinen Freunden ab, ertrug Vogelscheuchen wie Miss Fitzpatrick und trainierte mittags mit Damian im Spero. Ich sagte ja: einen fast gewöhnlichen Alltagsrhythmus.

In der Zwischenzeit schien sogar der Frühling in seiner vollen Blüte in Clarksville angekommen zu sein. Es waren nun drei Wochen vergangen und ich hatte ziemlich viel dazugelernt. Ich besiegte zwar Damian immer noch nicht, weil er einfach viel zu stark für mich war, konnte nun jedoch mehrere Tricks und war sogar körperlich ein wenig stärker geworden.

Ich musste schon sagen, dass Damian und ich mittlerweile ein eingespieltes Team waren, auch wenn er immer wieder seine Launen hatte und meinte er müsste mich provozieren oder aufziehen, weil ich etwas nicht konnte. Dies war auch eine Sache, die ich dazugelernt hatte:

Damian teilweise einfach mal zu ignorieren.

Ich wusste nun, wie ich mich verteidigen konnte, wenn es zu einem Ernstfall kommen sollte. Jedoch hatte ich immer noch keinen blassen Schimmer, wie ich gezielt meine Kraft einsetzen sollte. Lily hatte in den letzten Wochen immer wieder versucht mir zu erklären, dass ich meine innere Mitte, oder so ein Quatsch, finden sollte und dass ich mir das nur selbst beibringen konnte. Tolle Hilfe, heißt also so viel wie: du bist auf dich allein gestellt.

Ich hatte es ein paar Mal schon mit Damian versucht. Er sagte, er hätte kein Problem damit verletzt zu werden, weil ich ihn ja schon einmal gegen eine Wand geschleudert hatte. Anfangs versuchte ich einfach von alleine wütend zu werden, aber scheiterte dabei kläglich. Damian probierte daraufhin mich zu provozieren, was irgendwie auch funktionierte, mich aber nicht wütend genug stimmte. An der Wut schien es also nicht zu liegen. Es musste etwas anderes sein, und das konnte anscheinend nur ich alleine herausfinden.

Nun saß ich also mit angewinkelten Beinen auf der Couch im Wohnzimmer und las einer meiner Romane. Das Lesen war in letzter Zeit viel zu kurz gekommen, genauso wie das Zeichnen und Serien schauen. Deshalb wollte ich das nun nachholen und fing mit dem Lesen an. Meine Eltern waren nicht Zuhause und es war bereits 20.00 Uhr. Die Sonne war schon längst hinter den Hügeln verschwunden und es wurde immer dunkler im Haus. Ich klappte mein Buch zu und legte es auf die Seite. Bei dem Licht konnte ich schon keine ganzen Sätze mehr erkennen.

Ich sprintete nach oben in mein Zimmer und zog mir bequeme Schlafshorts an, dazu Strümpfe mit kleinen Avocados darauf, weil ich diese Dinger einfach über alles liebte, und ein langärmliges Shirt. Ich sah total komisch aus, als ich kurz darauf durchs Haus lief und alle Lichtschalter betätigte und mich streckte. Plötzlich war ich hellwach und energiegeladen. Ich schloss meinen alten IPod an und suchte nach einer passenden Playlist. Anschließend fing ich an die Spülmaschine auszuräumen. Hin und wieder schlitterte ich über den Boden.

Dann lud ich die Waschmaschine und sang dabei laut mit: ,,Hey, hey, yeah, well. Oh my God, we're back again." Ich flitzte aus der Waschküche und hüpfte durch den Flur. Dabei fuchtelte ich, wie eine Verrückte wild mit den Armen über dem Kopf herum.  ,,Brothers, sisters, everybody sing. Gonna – wie auch immer, la la la -, show you how. Gotta question for you, better answer now, yeah –" Ich vernahm ein Geräusch hinter mir.

,,Es heißt: Gonna bring the flavor, show you how und nicht la la la." Die tiefe Stimme erschreckte mich so sehr, dass ich kreischend herumwirbelte. Dabei rutschte ich auf dem glatten Holzboden aus und landete mit dem Hintern hart auf dem Fußboden. ,,Oh mein Gott", keuchte ich und griff mir an die Brust. ,,Spinnst du?!" ,,Kann es sein, dass du dir den Hintern gebrochen hast?", sagte Damian und lachte. Ich blieb in dem engen Flur liegen und versuchte mich zu beruhigen.

,,Was zum Teufel? Spazierst du immer bei anderen Leuten einfach ins Haus?" ,,Und höre Mädchen zu, die einen Song von den Backstreet Boys total zerstören? Ja, das habe ich mir so angewöhnt. Manchmal schleppe ich diese dann auch in einen dunklen Wald. Je nach Laune." Ich schaute ihn nur entgeistert an. Er verdrehte über meine trockene Reaktion nur die Augen. „ Nein, ich habe sogar mehrmals geklingelt, aber dann habe ich dich singen hören. Und naja, die Tür war nicht abgeschlossen." Er zuckte mit den Schultern. ,,Also habe ich mich selbst reingelassen."

,,Das habe ich bereits bemerkt." Mit schmerzverzerrtem Gesicht erhob ich mich. ,,Vielleicht habe ich mir wirklich den Hintern gebrochen." ,,Ich hoffe nicht. Dein Hintern ist gar nicht mal so schlecht." Er grinste. ,,Dein Gesicht ist ganz rot. Bist du dir sicher, dass du dir das nicht auch angeschlagen hast?" ,,Ich hasse dich", jammerte ich. ,,Das weiß ich, aber leider glaube ich dir nicht." Er musterte mich von oben bis unten und begann zu grinsen.

,,Schicke Socken." Ich hatte das Gefühl meine Wangen wurden noch röter als eine Tomate. ,,Was willst du?" Er lehnte sich an die Wand und schob die Hände in die Hosentaschen. ,,Nichts." ,,Warum bist du dann bei uns eingebrochen?" Abermals zuckte er mit den Schultern. ,,Das bin ich nicht. Die Tür war nicht abgeschlossen und ich habe die Musik gehört. Da habe ich mir gedacht, dass du alleine bist." Seine Augen blitzten, als sein Blick in Richtung Wohnzimmer ging. ,,Das ist Wannabe. Willst du dazu nicht vielleicht auch singen?" ,,Damian." Vorsichtig schob ich mich an ihm vorbei und lief ins Wohnzimmer. Ich schnappte mir den IPod und zog das Kabel heraus, um das Lied leiser zu beenden.

,,Ehrlich. Was willst du?" ,,Ich bin gekommen, um mich zu entschuldigen." ,,Wie bitte?" Ich war mehr als schockiert. ,,Du willst dich bei mir entschuldigen? Du? Mir fehlen die Worte. Wow." Damian runzelte die Stirn. ,,Ich weiß, es überrascht dich, dass auch ich Gefühle habe und somit ein schlechtes Gewissen." ,,Warte mal. Ich muss das aufnehmen. Ich hol schnell mein Handy." Ich drehte mich um und wollte die Treppen nach oben flitzen, als mich Damian am Arm griff und davon abhielt.

,,Eve, du machst es mir nicht gerade leicht. Ich meine es ernst." Ich verdrehte die Augen. Mir war schon klar, dass es ihm schwerfiel. ,,Okay. Möchtest du dich setzen und etwas trinken?" Er nickte stumm und folgte mir in die Küche. Ich ließ ein Glas Wasser ein und stellte es vor ihm auf die Küchentheke. ,,Habt ihr nichts anderes im Haus?" ,,Gib dich damit zufrieden, oder du kannst gleich wieder gehen", fauchte ich. Damian hob die Hände, als wäre er unschuldig und setzte sich auf einen der drei Barhocker. Ich blieb hinter der Theke stehen und beobachtete ihn, wie er sein Glas Wasser trank.

,,Also, für was möchtest du dich entschuldigen?" Eigentlich sollte er sich für alles entschuldigen, was er mir angetan hatte, aber ich wollte es aus seinem Mund hören. Damian stellte das leere Glas ab und wischte sich mit dem Ärmel seines dünnen, grauen Pullovers den Mund ab. Irgendwie sah er gut dabei aus. Ich schüttelte leicht den Kopf. Was hatte ich mir da gerade gedacht?

,,Ich war in letzter Zeit ein ziemlicher Idiot und besonders da, als du erfahren hast, was du wirklich bist. Es tut mir leid." Es war komisch das aus Damians Mund zu hören und irgendwie auch unglaubwürdig, aber ich wollte diesen Moment nicht versauen. ,,Da hast du Recht." ,,Trotzdem bin ich immer noch unwiderstehlich." Und da war er wieder. Der Damian, der kein Blatt vor den Mund nahm und sein Ego raushängen lassen musste. Er stand auf, lief um die Theke und blieb vor mir stehen. Er war mir so nahe, dass mein Herz schneller schlug und ich nicht wusste, was ich machen sollte.

,,Gib es zu." ,,Was?" Er kam mir noch einen Schritt näher. ,,Dass du mich nicht hasst." Ich schluckte einen dicken Kloß herunter, als ich nun seinen Atem an meinen Lippen spüren konnte. ,,Niemals." Damian zog einen Mundwinkel nach oben. ,,Dann bist du ziemlich dumm, Kleine."

Bevor ich etwas darauf erwidern konnte oder überhaupt darüber nachdenken konnte, presste er seine Lippen auf die meinen und mein Gehirn schaltete sich für einen Moment komplett aus.

Perdition - VerderbenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt