1. Silvester auf einem Friedhof

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“Hey, Mama.“ begrüße ich den Grabstein meiner Mutter. Auf ihm steht eingraviert: >Du lebst in unseren Herzen weiter.< Und genau das tut sie. Ich erzähle ihr von den Letzten Jahren, seit ich sie das letzte Mal besucht hatte. In welchen Orten mein Vater und ich lebten, dass ich mein Abitur gemacht habe, sogar angefangen zu studieren. Doch nirgendwo fand ich Anschluss. Meine Mutter tröstete mich dann immer. Ihr Grab ist in Essen. Doch geboren bin ich in Köln. Seitdem waren wir nie länger als ein paar Monate an einem Ort.
Heute ist für mich der letzte Tag in Essen. Es ist Silvester, kurz vor Mitternacht. Das Feuerwerk wird immer lauter und bunter. Es lässt den Himmel erstrahlen, als sei helllichter Tag. Ich lehne mich gegen Mama's Stein. Für den Bruchteil einer Sekunde fühlt es sich an, als würde sie ihre Arme um mich legen. Von weit her weht der Wind die Stimmen in mein Ohr. Sie zählen den Countdown runter.
Mein Handy piept. Mitternacht. Das neue Jahr hat begonnen. “Frohes Neues, Mama.“ Aus meiner Tasche hole ich zwei XXL-Wunderkerzen. Ich zünde beide an. Die eine stecke ich neben den Grabstein in die Erde und die andere behalte ich in der Hand. Nach fünf Minuten sind beide aus. Ich blicke traurig in den Himmel und beobachte das Feuerwerk.

So vergehen 90 Minuten, bis mein Handy klingelt und mich daran erinnert, dass ich noch was vorhabe. Ich fahre heute nach Berlin. Warum? Das ist die einzige Großstadt, in der ich noch nicht war. Mein Zug fährt in einer Stunde. Es ist der erste Zug des Jahres. Ich muss zu Fuß dahin, weil jetzt noch keine Öffis fahren. Mir tun die Leute leid, die über Silvester arbeiten müssen.
Am Bahnhof angekommen, bezahle ich die Reservierung des Sitzplatzes und gehe zum Gleis. Und der ICE ist tatsächlich pünktlich da. Ein guter Ansatz im Jahr von der Deutschen Bahn. Als der ICE endlich losfährt, ist es etwa halb drei morgens. Ich döse ein bisschen während der Fahrt.

Nach 5einhalb Stunden komme ich in Berlin an. Der ICE hatte zwischendurch Probleme, sodass die übliche Verspätung eingehalten wurde. Typisch Deutsche Bahn!
Ich hole mir ein Tagesticket für die Öffis in Berlin und gehe im Bahnhof bis ganz nach oben und steige in die gerade ankommende S-Bahn ein. Mit der aufgehenden Sonne sieht Berlin schon richtig schön aus. Ich erinnere mich, dass meine Oma mütterlicherseits hier lebte. Besucht hatten wir sie nie, aber da ich ihr einziges Enkelkind bin, habe ich ihr Vermögen von etwas mehr als 50'000€ und ein Gartengrundstück bekommen. Letzteres schaue ich mir heute Nachmittag an.
Meinem Vater gefiel das überhaupt nicht. Er ist der geldgeile Arsch, bei dem ich leben sollte und eigentlich bin ich auch nicht mit ihm verwandt. Meine Mutter hatte sich künstlich befruchten lassen, da der geldgeile Arsch keine Kinder zeugen kann.

Ich bin 23 und damit alt genug, um allein durch die Welt zu reisen. Zumal mich mein Vater seit längerem nicht mehr wirklich wahrnahm. Ich steige aus der S-Bahn, als ich einen Burger King sehe. Mein Magen knurrt mich seit der Ankunft in Berlin an.

Auf der Suche nach Heimat (Marti Fischer & Co. KG FF)Where stories live. Discover now