19. Kapitel

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Ich setzte mich auf den Fahrersitz und startete den Motor. Oh Gott, das war echt die dümmste Idee, die ich jemals hatte. Tyler saß neben mir und labberte irgendwelches wirres Zeug und auf der Rückbank kam nur Gekicher. ,,Die Polizei! Die Polizei!", rief Nicky plötzlich, duckte sich und zog Mason mit runter. Der Krankenwagen fuhr die Auffahrt hoch und ich verdrehte genervt die Augen. Wie dumm wird man eigentlich nach dem Kiffen? Ich legte den Rückwärtsgang ein und parkte aus, dabei rammte ich die Straßenlaterne und hätte beinahe eine Katze überfahren...rotes Kreuz in den Kalender, erste Katze, die ich bisher hier gesehen hatte. Jacob war bei Trevor geblieben, weil er der Einzige war, der noch ein bisschen in der Birne hatte. Aber im Nachhinein war es wahrscheinlich eine total bescheuerte Idee, denn wenn raus kommt, und das wird sehr sicher raus kommen, dass sie da drin gekifft haben, wird Jacob echt extremen Ärger bekommen.

Ich fuhr das Auto extrem langsam die Straße entlang und bei jeder Kreuzung machte ich eine Vollbremsung, sodass Mason immer gegen meinen Sitz knallte und Tyler fast die Frontscheibe küsste. Das letzte Mal war ich mit dem Auto meiner Mutter gefahren, sie hatte mir mit 15 versucht fahren zu lernen...naja man musste sagen wir waren noch nie wirklich die Normalsten und meine Mutter war der überzeugen, dass wenn ich selten, aber dafür gut fuhr, würde mich schon kein Bulle anhalten. Naja, wenigstens konnte ich etwas fahren. Ich saß soweit vorne auf dem Sitz, dass ich fast im Fußraum saß. Meine Finger krallten sich ins Lenkrad und ich wollte einfach nur noch das Haus meines Vaters sehen. Weil ich kein noch größeres Risiko eingehen wollte, hatte ich beschlossen, dass Mason und Nicky bei uns übernachteten...schlaflose Nacht ich komme! ,,Sowas müssen wir echt wiederholen", trällerte Nicky und am liebsten wäre ich hinter auf die Rückbank geklettert und hätte ihn erwürgt. Er checkte doch echt nicht, dass er beinahe drauf gegangen wäre.

Als ich die Einfahrt hoch fuhr, fiel mir sowas von ein Stein vom Herzen...wir lebten noch alle. Ich schaltete den Motor aus und atmete erleichtert aus. ,,Und jetzt raus", meinte ich und stieg aus. Hinter mir knallten Autotüren, als ich die Haustür auf schloss. Linda und mein Vater waren nicht da, keine Ahnung, wo sie waren, aber es juckte mich auch gerade echt wenig. Ich hatte andere Probleme. Nicky stolperte über die Türschwelle und Mason brach in Gelächter aus. ,,Könnt ihr euch bitte mal zusammen reißen?! In fünf Minuten seit ihr aufm Zimmer! Wegen eurem scheiß kiffen wärt ihr beinahe gestorben!", knurrte ich wütend, das Gelächter verstummte und die drei gingen die Treppe hoch. Genau deshalb wollte ich nicht dieses Rudel leiten...weil ich schon mit den dreien überfordert war. Ich seufzte und ließ mich auf die unterste Treppenstufe sinken. Was wäre, wenn ich auf Dean gehört hätte und mich betrunken hätte..? Wären sie dann alle tot oder wären sie von jemand anderes gerettet wurden? Es war mir vorher nicht mal klar gewesen, dass ich sowas wie einen Beschützerinstikt für die Jungs bekommen hatte. Hatte das mit der Alphanatur zutun, welche in mir war? Oder war es ein einfach Reflex?

Ich brachte jedem noch eine Flasche Wasser und Aspirin ins Zimmer und hoffte einfach nur, dass sie in ihrem Zustand nicht noch mehr anstellten, als sie schon getan hatten. Als ich in Tylers Zimmer trat, war er gerade im Bad, weshalb ich die Flasche Wasser nebens Bett stellte und das Aspirin aufs Nachtschränkchen. Da fiel mir ein zusammengeknülltes Papier auf. Ohne zu zögern griff ich danach und faltete es auf. Es war ein Foto von einem blonden Mädchen, es war wahrscheinlich so alt wie ich. Das Foto hatte durch das zusammen knüllen Risse bekommen und die Ränder waren abgegriffen. ,,Haily", murmelte Tyler, als er mich sah. Er stand Oberkörper frei vor mir und versuchte sich das Fakeblut abzuwaschen. ,,Ist das Hannah?", fragte ich und hielt ihm das Foto hin. Er sah plötzlich tot traurig aus und Tränen bahnten sich über seine Wangen, es war das erste Mal, dass Tyler eine andere Emotion, als Wut und Verachtung zeigte. ,,Ich will gar nicht weinen...aber die Tränen kommen einfach. Jetzt steh ich auch noch heulend vor dir. Man ich will das nicht", sagte er und wischte sich über sein Gesicht. ,,Schon gut", meinte ich knapp und senkte meinen Blick. Wahrscheinlich war er so high, dass er seine Emotionen nicht mehr kontrollieren konnte. ,,Hilfst du mir?", fragte er und deutete auf das Fakeblut, was an seinem Oberkörper klebte. Ich nickte und ging mit ihm ins Bad. Im Bad griff ich nach einem Waschlappen und strich damit über seine Schultern. ,,Was habt ihr gemacht...man könnte meinen, dass ihr da drin gebadet hättet", fragte ich und Tyler musterte mich durch den Spiegel. Es war ein anderes Blick, schon fast schon freundlich und dankend, dass ich ihm half. Seine saphierblauen Augen strahlten eine Wärme aus, die ich noch nie gemerkt hatte, sonst war es Kälte und Abscheu gewesen. Mir gefiel diese Art wie er mich an sah. ,,Frag am besten nicht. Bekiffte und angetrunkene Jungs sollte man nicht allein lassen", sagte er und zwang sich zu einem Lächeln...Tyler lächelte?! ,,Glaub mir, dass hab ich heute mit bekommen", sagte ich, während ich über seinen Rücken strich. Er war ein Stück größer als ich, weshalb ich mein unterdrücktes Lächeln gut hinter seinen Rücken verstecken konnte. Musste ich Lächeln, wegen seiner Aussage oder weil er auch lächelte und mich das freute, dass er auch...naja freundlich sein konnte?

,,Ich bin fertig", sagte ich knapp und er drehte sich zu mir um. Er legte eine Hand an meine Wange und zog meine Gesichtszüge nach. ,,Du ähnelst Hannah extrem...ihr hättet euch sicher gut verstanden. Sie war genauso stur wie du", erklärte er und sein Lächeln wurde etwas breiter. ,,Was ist damals passiert...das mit Hannah?", fragte ich und sah ihm in die Augen. ,,Sie war meine große Liebe...sie war mein Mate." In seine Augen trat Trauer und weitere Tränen liefen ihm über die Wange. Ich wollte gar nicht weiter fragen, weil mich diese Seite von Tyler ziemlich schockierte, denn egal wie hart und kalt er immer wirkte, hinter seiner Maske lag ein zerbrochene Seele. ,,Sie war ebenfalls ein Werwolf...ein sehr dickköpfiger Werwolf." Als er sprach wendete er den Blick nie von mir, als hoffte er meine Reaktion von meinen Augen abzulesen. ,,Sie hat es gehasst, dass ich kiffe und Alkohol trinke. Ich hab für sie aufgehört, jedoch vor einem Jahr, naja wie wir Jungs eben sind, hab ich mich mit dem Rudel besoffen und paar Joints geraucht. Hannah hat davon mit bekommen und hat mich angebrüllt...sie war enttäuscht und wütend. Ihre letzten Worte zu mir waren, dass sie mit so einem bekifften Arschloch nichts zutun haben wollte. Danach ist sie weg gegangen. Ich hatte gedacht, dass sie sich wieder einkriegen würde, jedoch haben Jäger sie an dem Abend gefunden...naja Hannah war ein Werwolf. Wahrscheinlich war sie so wütend auf mich gewesen, dass sie sich in einen Wolf verwandelt hatte, um sich ab zu reagieren. Den nächsten Tag hat sie nicht mehr erlebt." Tränen liefen ihm über die Wange und wie aus Reflex nahm ich ihn in den Arm, einfach nur um für ihn da zu sein...weil das war ich Tyler, dem arroganten Arschloch, schuldig. Angeblich soll, wenn man seinen Mate verloren hat, alles wie eine Qual vorkommen, als wäre man ein extrem tiefes Loch gefallen...Depressionen waren nichts dagegen. Sowas war 100mal schlimmer und man wurde gefühlskalt. Man sagt, dass die Welt danach grau wäre und man so zusagen durch die Hölle ging.

,,Danke", murmelte Tyler und sein Griff wurde stärker um mich. ,,Wofür?", fragte ich tonlos. ,,Für alles...danke, dass du unser Leben gerettet hast und das du mir zugehört hast...auch wenn ich ein Arschloch bin", flüsterte er und zu dem Wort Arschloch musste er sich zwingen. ,,Nein du bist kein Arschloch...du bist ein Idiot. Wieso kiffst du überhaupt weiter?", fragte ich. ,,Es lenkt mich ab...es gibt kaum einen Tag, wo ich nicht high oder betrunken bin...weil ich den Schmerz nicht ertrage", meinte Tyler und vergrub sein Gesicht an meinem Hals. Sein warmer Atem strich über meine Haut und ich bereute fast schon, dass ich so extrem stur gegen über Tyler war. Er war durch die Hölle gegangen, vielleicht ging er das immer noch. Ja Tyler tat mir leid..., weil ich ihn endlich verstand. So unterschiedlich wie ich glaubte, waren wir gar nicht...wir hatten beide irgendwelche Probleme, die man versucht zu verdrängen. ,,Hör auf...bitte. Hannah würde es nicht wollen, dass du dich wegen ihr betrinkst und kiffst...tu es für das Rudel...und für mich, weil ich einen vernünftigen Alpha brauche...so wie ein großer Stiefbruder", sagte ich und Tyler seufzte. ,,Das geht nicht so einfach." ,,Glaub mir, wir bekommen das hin. Ich helf dir, versprochen. Ich werde für dich da sein." So standen wir noch eine gefühlte Ewigkeit da, es war auch das Beste, was ich für Tyler machen konnte, einfach nur für ihn da sein und verhindern, dass er zusammen brach. Um ehrlich zu sein wollte ich gar nicht wissen, was gerade in seinem Kopf los war. Die ganzen Gefühle, die ihn gerade überrennen mussten.

,,Bleib hier...bitte", meinte Tyler, als ich nach der Türklinge von der Zimmertür griff. ,,Tyler, das geht nicht...", sagte ich und drehte mich zu ihm. Er sah mich traurig und flehend an, wie ein kleines Kind seine Mutter ansah, wenn es vor etwas Angst hatte. ,,Bitte, das eine Mal. Ich will nicht alleine sein...das bin ich zu oft." Ich seufze und kam auf ihn zu. Irgendwie fühlte ich mich jetzt verantwortlich für ihn, denn ich hatte ihm mein Wort gegeben, dass ich nun für ihn da sein würde. Ich legte mich neben ihn, jedoch mit einem gewissen Abstand...ich war für ihn da, als Schwester...mehr nicht.

NeumondWo Geschichten leben. Entdecke jetzt