Kapitel 22 - Abschied

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Nach dem unschönen Erlebnis mit Ron verläuft der restliche Abend dann doch noch ziemlich toll. Zusammen mit Harry, Ginny, Dean und Seamus genieße ich die Party in der großen Halle in vollen Zügen und rede, lache und feiere ausgelassen. Die vier haben Merlin sei Dank längst nicht so viel getrunken wie Ron, so dass es zu keinen weiteren unangenehmen Zwischenfällen kommt und wir einfach nur Spaß haben.

Ron hat meinen Ratschlag, ins Bett zu gehen, offensichtlich beherzigt, denn in der großen Halle taucht er nicht mehr auf.

Harry, Ginny und den anderen erzähle ich nichts von der Begegnung mit Ron oder dem aufgezwungenen Kuss. Was sollte das auch bringen? Wenn Ron morgen wieder nüchtern ist, wird er sich hoffentlich für sein heutiges Verhalten schämen, sich entschuldigen, und damit wird die ganze Sache dann abgehakt sein. Zumindest für mich.

Auch eine weitere Person bleibt für den restlichen Abend leider verschwunden. Immer wieder gleitet mein Blick zum Slytherin Tisch und sucht nach der großen, schlanken Gestalt von Draco Malfoy, doch ich kann ihn nicht entdecken. Und obwohl ich weiß, dass das total bescheuert ist, vermisse ich ihn schrecklich.

Kurz vor Mitternacht bittet Professor McGonagall dann alle Schüler und Lehrer, die große Halle zu verlassen und sich am großen See von Hogwarts für das versprochene Feuerwerk zu versammeln.

Arm in Arm folgen Ginny und ich, sowie Harry, Dean und Seamus den Schülermassen, die sich langsam den Hügel hinunter ergießen und kreisförmig neben Professor Flitwick zum Stehen kommen, der dort bereits auf uns wartet.

Und dann lässt unser Professor für Zauberkunst eines der schönsten und beeindruckendsten Feuerwerke erstrahlen, die ich jemals gesehen habe. Neben bunten Explosionen, zauberhaftem Sternschnuppenregen und lebensecht wirkenden Tieren erscheinen auch die Wappen der vier Häuser von Hogwarts in imponierender Größe am Himmel.

Verzückt seufze ich auf und lächle meinen Freunden zu, die genauso gebannt wie ich das Spektakel am Himmel verfolgen. Könnte dieser Moment noch perfekter werden? Dieses Feuerwerk ist wirklich der krönende Abschluss eines wundervollen Fests.

Nach circa dreißig Minuten verglühen schließlich die letzten Feuerwerkskörper und zusammen mit dem Rest von Hogwarts klatsche und applaudiere ich begeistert, als Professor Flitwick sich schwungvoll vor uns verbeugt.

Doch noch ist der Abend nicht am Ende angelangt. Nachdem der Jubel verstummt ist, erhebt Professor McGonagall noch einmal ihre magisch verstärkte Stimme.

„Liebe Schüler, liebe Kollegen. Vielen Dank, dass Sie diesen Abend zu etwas ganz Besonderem gemacht haben. Sie sind das Herzstück von Hogwarts, Sie alle tragen dazu bei, dass diese Schule einzigartig und erfolgreich ist. Das sollten Sie niemals vergessen! Doch neben all den schönen Dingen, die wir heute feiern, gibt es auch etwas weniger Fröhliches zu würdigen, etwas, das mir sehr am Herzen liegt. Zum Abschluss der Feierlichkeiten habe ich daher etwas vorbereitet. Es ist ein Tribut, eine Ehrerbietung an alle, die in der Schlacht um Hogwarts heldenhaft gekämpft haben und heute leider nicht mehr hier sind, um diesen Moment mit uns zu erleben. Denn auch, wenn sie nicht mehr unter uns weilen, so verbleiben sie doch in unseren Herzen."

Langsam, würdevoll, ehrfürchtig hebt Professor McGonagall ihren Zauberstab. Ein funkelnder Strahl tritt daraufhin aus, steigt höher und höher, bis er den gesamten Horizont erhellt.

Mit einem Kloß im Hals und einem schmerzenden Gefühl im Herzen folgen meine Augen dem Zauber. Ich weiß nicht, was gleich passieren wird, aber schon die wenigen Worte unserer Schulleiterin haben gereicht, um mir die Tränen in die Augen zu treiben.

Blinzelnd wische ich mir über das Gesicht, um wieder klar sehen zu können.

Im nächsten Moment erscheint über uns am Himmel das weise, gutmütige Gesicht von Albus Dumbledore. Es verbleibt dort für einige Sekunden und lächelt uns warmherzig an, bevor es in einem goldenen Funkenregen vergeht, der auf uns herabregnet.

Schluchzend greife ich nach Harrys Hand. Er erwidert den Händedruck und das gibt mir die nötige Kraft, um meine Augen weiter nach oben zu richten.

Auf das Portrait unseres ehemaligen Schulleiters folgt das von Snape. Und dann tauchen nacheinander die Gesichter all derer auf, die im Kampf gegen Voldemort ihr Leben lassen mussten. Genau wie Dumbledore stehen sie für kurze Zeit am Himmel, so nah und so detailgetreu, dass ich fast das Gefühl habe, sie berühren zu können, wenn ich versuchen würde, die Hand nach ihnen auszustrecken.

Neben Snape sehe ich Lupin. Und Fred. Tonks. Dobby. Colin Creevey.

Am Ende verschleiern die Tränen meine Sicht so stark, dass ich die einzelnen Verstorbenen kaum noch richtig erkennen kann. Doch obwohl der Schmerz über die Verluste auch ein Jahr später kaum auszuhalten ist, zwinge ich mich, hinzusehen. Nicht wegzuschauen. Mir jedes einzelne Gesicht einzuprägen, um keinen der Helden von Hogwarts jemals zu vergessen.

Nachdem die lange Reihe der Gesichter schließlich endet und der Himmel schwarz bleibt, ist die Stille über Hogwarts fast greifbar.

Niemand kann sich rühren, nur vereinzelt sind leise Schluchzer zu hören.

Auch mir fließen immer noch Tränen über die Wangen. Ich sehe mich zu Harry und Ginny um, die eng umschlungen dastehen. Meine rothaarige Freundin hat ihr Gesicht an Harrys Brust vergraben und weint hemmungslos.

Zögernd trete ich näher und streiche ihr tröstend über den Rücken. Ich weiß, dass ihr niemand den Schmerz über Freds Verlust nehmen kann, der alle Weasleys tief erschüttert hat. Aber dennoch soll sie wissen, dass ich für sie da bin.

Mit einem Räuspern meldet sich Professor McGonagall zu Wort. Ihre Stimme klingt erstickt und bricht mitten im Satz, so dass sie noch einmal von vorne beginnen muss, doch dann gelingt es ihr, die Worte auszusprechen.

„Vielen Dank. Ich möchte mich bei Ihnen allen bedanken, bei jedem Einzelnen von Ihnen. Für Ihre Kraft, Ihren Zusammenhalt, Ihre Hoffnung, Ihre Willensstärke, Ihren Mut. Es mag Ihnen vielleicht nicht bewusst sein, doch nur dank Ihnen und vielen weiteren mutigen Hexen und Zauberern ist es uns heute möglich, hier zu stehen. Zusammen haben wir etwas geschafft, was viele für unmöglich hielten: Wir haben den dunklen Lord besiegt. Dies ist vor allem unserer Einheit geschuldet. Hätten wir vor einem Jahr nicht Seite an Seite gekämpft, wäre alles vermutlich ganz anders ausgegangen. Was ich mir daher mehr als alles andere wünsche, ist, dass diese Einheit bestehen bleibt. Denn nur so können wir allem, was da in Zukunft noch auf uns wartet, hoffnungsvoll entgegentreten. Denken Sie immer daran: Wir alle sind das Fundament unserer magischen Welt, niemand ist dabei mehr wert als ein anderer. Beherzigen Sie das bitte, denn wenn Sie das tun, sind unsere Freunde nicht umsonst gestorben."

An dieser Stelle bricht ihre Stimme erneut, aber nach einem kurzen Moment gelingt es ihr, weiterzusprechen: „So, wir sollten nun ins Schloss zurückkehren. Ich weiß, dass dies vermutlich ein sehr emotionaler Abend für Sie alle war, deshalb möchte ich Sie bitten, nicht direkt in Ihre Schlafsäle zu gehen. Kommen Sie mit in die große Halle, dort wartet heiße Schokolade, Tee und ein gemütliches Beisammensein auf uns, damit wir den Tag gemeinsam ausklingen lassen können."

Mit diesen Worten dreht McGonagall sich um und beginnt, den Berg heraufzusteigen.

Langsam, zögerlich, setzt sich auch der Rest von uns in Bewegung. Ich habe immer noch einen Kloß im Hals, aber obwohl es weh tut, hätte unsere Schulleiterin nichts Schöneres für uns tun können. Denn egal, wie schlimm die Verluste auch waren: WIR sind noch hier. Für uns ist der Weg nicht zu Ende. Ein Kapitel ist abgeschlossen, das stimmt, aber viele weitere warten noch auf uns.

Und eines weiß ich ganz sicher: Die Verstorbenen sind vielleicht nicht mehr hier bei uns, aber dieser Abschied ist nicht für immer. Eines Tages werden wir sie alle wiedersehen.

Every Blonde needs a BrunetteWhere stories live. Discover now