Kapitel 18 - Die Erkenntnis

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Als ich abends im Bett liege, fällt es mir unglaublich schwer, zur Ruhe zu kommen. Die Stelle an meinem Kinn, an der Malfoy mich berührt hat, prickelt immer noch, oder zumindest bilde ich mir das ein.

Gedankenverloren fahre ich mir mit der Hand über das Gesicht. Malfoys intensiver Blick und die Gefühle, die der Hautkontakt bei mir ausgelöst hat, wollen mir einfach nicht aus dem Kopf gehen.

Was hat das zu bedeuten? Ich meine...es hat gar nichts zu bedeuten, oder?!? Das kann einfach nicht sein. Ich war bestimmt nur verwirrt und habe viel zu viel in die Situation hineininterpretiert. Morgen wird die Welt garantiert schon wieder ganz anders aussehen! Genau: Ich muss einfach nur eine Nacht über alles schlafen und dann werde ich wieder klar denken können.

Entschlossen lege ich mir das Kopfkissen auf mein Gesicht, um die Erinnerung an Malfoys Berührung auszulöschen und um endlich einschlafen zu können.

Aber so einfach wie gedacht, wird es nicht. Stundenlang wälze ich mich von einer Seite auf die andere, doch obwohl ich unfassbar müde bin will es mir nicht gelingen, mich zu entspannen.

Irgendwann muss ich dann wohl doch angefangen haben zu träumen, denn auf einmal liege ich nicht mehr in meinem Bett, sondern laufe in meiner Schuluniform durch die Gänge von Hogwarts.

Allerdings sieht alles irgendwie anders aus als sonst. Die Korridore kommen mir überhaupt nicht bekannt vor und verzweigen sich immer weiter, wie in einem Labyrinth. Hinter jeder Ecke, um die ich gehe, liegt ein weiterer Flur und je mehr ich davon passiere, desto länger erscheint der vor mir liegende Weg zu werden.

Ich gehe immer schneller, um das Ende dieses Labyrinths endlich zu erreichen, aber trotzdem habe ich das Gefühl, auf der Stelle zu treten. Schließlich renne ich durch die Gänge, von Panik erfüllt und auf der verzweifelten Suche nach einem unbekannten Ziel, von dem ich trotzdem weiß, dass es irgendwo auf mich wartet.

Als ich nach gefühlt mehreren Stunden einen Gang erreiche, an dessen Ende sich zwei Türen befinden, höre ich plötzlich eine Stimme, die meinen Namen ruft.

„Hermine! Hermine! Hermine!"

Der bekannte Klang lässt mich mitten in der Bewegung inne halten.

Woher kommt das Rufen? Welche der beiden Türen soll ich nehmen? Ich bin mir nicht sicher, wie ich die Stimme lokalisieren soll, da das Labyrinth aus Gängen hinter mir den Schall verzerrt, vervielfacht und zurückwirft, bis mein Name aus allen Richtungen gleichzeitig zu kommen scheint.

„Hallo? Wer ist da? Und wo bist du?" rufe ich, doch als Antwort höre ich nur erneut meinen Namen.

„Hermine!"

Verzweifelt überlege ich, wo ich hinlaufen soll. Rechts oder links? Welche Tür ist die Richtige?

„Wo bist du?" frage ich erneut.

Dieses Mal antwortet niemand mehr.

Doch bevor ich beschließen kann, welche Richtung ich einschlagen soll, taucht auf einmal eine Person vor mir im linken Türrahmen auf.

„Hermine!" sagt sie zum fünften Mal und streckt die Arme nach mir aus.

Ich muss zweimal hinsehen, aber die roten Haare und der ängstliche Gesichtsausdruck sind unverkennbar. Vor mir steht Ron.

„Ron, was machst du hier?" frage ich ihn völlig verwirrt.

„Hermine, endlich, ich habe auf dich gewartet. Jetzt wird alles gut. Wir sind wieder zusammen!" Mit diesen Worten versucht Ron, oder die Gestalt, die aussieht wie Ron, mich in eine Umarmung zu ziehen.

Aber es fühlt sich...falsch an. Das ist nicht das Ziel, das ich gesucht habe. Ich bin mir sicher, dass es ein Fehler wäre, hier mit diesem Ron zu bleiben. Ich muss irgendwo...anders sein.

„Ron, ich kann nicht bleiben. Ich muss weiter" sage ich und versuche, den überraschend zupackenden Armen zu entgehen. Was allerdings gar nicht so einfach ist!

„Nein, Ron! Lass mich gehen! Ich gehöre nicht hierher, ich muss weiter!" rufe ich und versuche dabei verzweifelt, die zweite, rechts liegende Tür zu erreichen.

„Du kannst nicht gehen. Du darfst nicht gehen. Ich brauche dich!" brüllt die Ron-Gestalt, die plötzlich gar nicht mehr aussieht wie Ron. Stattdessen fängt sein Körper an zu wachsen und sich auszudehnen, um mir den Weg zu versperren. Es gelingt mir gerade noch so, an seinen immer länger werdenden Armen vorbei zu schlüpfen, bevor der gesamte Korridor inklusive der beiden Türen versperrt ist.

Und dann laufe ich wieder. Immer schneller ziehen die Flure und Mauern und Türen an mir vorbei, aber ich weiß genau, dass ich noch nicht angekommen bin. Ein innerer Kompass sagt mir, dass ich nicht stehen bleiben darf, nicht aufhören darf, bis ich mein Ziel erreicht habe.

Ich laufe und laufe und laufe...

Bis plötzlich ein Arm nach mir greift. Dieses Mal habe ich jedoch keine Angst. Dieses Mal fühlt es sich richtig an, deshalb wehre ich mich nicht und lasse mich in eine feste Umarmung ziehen. Instinktiv weiß ich, dass ich jetzt angekommen bin. Dass ich am richtigen Ort bin. Dass das hier das ist, was ich die ganze Zeit gesucht habe.

Ich lehne mich erleichtert an die Person, die mich aufgefangen hat. Die Arme, die mich umfangen, fühlen sich hart und sanft zugleich an und ich vergrabe mein Gesicht in dem schwarzen Umhang, den mein Beschützer trägt. Der Geruch, der mich umfängt, kommt mir vage bekannt vor, aber ich kann ihn nicht direkt zuordnen. Eigentlich ist es aber auch nicht wichtig, denn alles, was ich wissen muss, ist, dass es sich richtig anfühlt.

Hier fühle ich mich sicher, geborgen und geliebt.

Dankbar kuschele ich mich noch enger in die Umarmung und wünsche mir, dass dieser Moment nie aufhört. Aber dann flüstert die Person, die mich in ihren Armen hält, meinen Namen.

„Granger."

Ich schaue nach oben in silbergraue Augen, die so schön sind, dass ich es kaum ertragen kann. Hellblondes Haar blitzt auf, als die Person ihren Kopf leicht dreht und schummeriges Licht die Konturen eines Gesichts erhellt, das mir mehr als bekannt vorkommt. Ein Name kommt mir in den Sinn...ein Name... Draco Malfoy.

In diesem Moment wache ich schweißgebadet auf. Die Erkenntnis, die in meinem Traum so selbstverständlich war, trifft mich im wachen Zustand wie ein Hammerschlag.

„Oh Merlin, nein. Das kann nicht sein!" flüstere ich entsetzt und schlage mir die Hände vors Gesicht.

Aber ich weiß, dass es wahr ist. Ich weiß, dass es nicht nur ein verdrehter Traum war, der nichts zu bedeuten hat. Ich weiß, dass leugnen keinen Sinn mehr hat. Denn die Wahrheit ist: Ich fühle mich zu Draco Malfoy hingezogen.

Every Blonde needs a BrunetteWhere stories live. Discover now