Kapitel 10 - Der Patronus

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Die nächste Woche beginnt erneut mit einer Stunde Verteidigung gegen die dunklen Künste. Professor Demby erklärt uns, dass wir für den Unterricht wieder einige Zauber üben sollen, die wir schon kennen. Ich seufze und auch der Rest der Klasse lässt ein kollektives Aufstöhnen vernehmen. Demby lacht, versichert uns dann aber, dass wir ab nächster Woche mit neuem Stoff beginnen werden. Merlin sei Dank, wenn wir unsere UTZ bestehen wollen, müssen wir gut vorbereitet sein!

„So, liebe Schüler. Der Zauber, den ich heute von euch sehen will, ist der Patronuszauber. Wie ihr wisst, ist der Patronus der machtvollste Verteidigungszauber der Zaubererwelt, da er der grundlegende Abwehrzauber gegen Dementoren und Lethifolds ist. Er ist extrem schwierig und kompliziert auszuführen. Der Zauberer oder die Hexe muss durch die Vorstellung eines glücklichen Ereignisses oder Gedankens eine positive Energiekraft erschaffen, um sein persönliches Schutzwesen heraufzubeschwören. Der Patronus nimmt dabei eigentlich immer die Gestalt eines Tieres an, das eine wichtige Bedeutung für den Zauberer oder die Hexe hat. Der Zauber wird durch das Aussprechen der Formel Expecto Patronum aufgerufen" wiederholt Demby, was wir eigentlich schon alle wissen.

„Ich möchte, dass ihr euch jetzt in einer Reihe aufstellt. Ihr werdet dann nacheinander die Zauberformel sprechen, damit ich bei jedem Einzelnen sehen kann, ob der Patronus gelingt. Und seid nicht enttäuscht, falls es nicht beim ersten Versuch klappen sollte. Wie gesagt, der Patronuszauber ist einer der schwierigsten Zauber, die es überhaupt gibt."

Mit diesen Worten und einer Handbewegung veranlasst Demby, dass wir aufstehen und eine einigermaßen gerade Reihe bilden. Ich stehe relativ weit vorne, vor mir sind nur Harry und Ginny dran, nach mir kommt Ron. Neben ihm zu stehen ist schon wieder seltsam, aber ich versuche, mich nur auf die vor mir liegende Aufgabe zu konzentrieren.

Als Professor Demby das Signal zum Anfangen gibt, ruft Harry „Expecto Patronum!". Der silberne Hirsch, Harrys Patronus, bricht sofort aus der Spitze seines Zauberstabs hervor und galoppiert eine Runde durch den Klassenraum, bis Harry den Zauber mit einem Lächeln beendet.

„Sehr schön, Mister Potter! Wirklich gut gemacht! Miss Weasley, Sie sind die Nächste."

Auch Ginny hat kein Problem damit, den Patronuszauber zu wirken. Ihr Schutzwesen, ein wunderschönes silbernes Pferd, dreht dieselbe Runde wie zuvor der Hirsch. Ich lächle sie an, stolz, aber nicht überrascht. Alle ehemaligen Teilnehmer von Dumbledores Armee beherrschen diesen Zauber im Schlaf, dank Harrys Unterweisungen vor knapp 2 Jahren.

Ich bin als nächstes dran und als Professor Demby mich erwartungsvoll anschaut, schließe ich kurz die Augen, um mich zu konzentrieren. Ich denke an meine Eltern, die schon immer mein Anker waren und rufe mir eine meiner Lieblingserinnerungen ins Gedächtnis: Vor meinem inneren Auge sehe ich, wie wir zu dritt über einen Muggel-Jahrmarkt schlendern. Mein Vater trägt mich auf seinen Schultern, wir reden und lachen. Und dann pflückt mir mein Vater eine wunderschöne Blume, die ich staunend betrachte und ehrfurchtsvoll in meinen Händen trage. Seit diesem Tag sind Tulpen meine Lieblingsblumen, denn sie erinnern mich an diese glücklichen Stunden und an meinen Vater.

Die positiven Emotionen und Erinnerungen durchströmen mich und als ich die Zauberformel spreche, bricht mein geliebter Otter aus dem Zauberstab hervor und tollt eine Weile um mich herum. Wie immer bin ich völlig fasziniert von diesem Zauber und etwas traurig, dass ich meinen Patronus so schnell schon wieder wegschicken muss.

Ron ist nach mir an der Reihe. Er hat schon etwas mehr Probleme mit dem Zauber als ich, Harry oder Ginny, aber nach einer kurzen Konzentrationszeit lässt auch er seinen Jack-Russel Terrier erscheinen. Er schaut mich stolz an und für einen kurzen Augenblick ist alles wieder wie immer zwischen uns.

Aber schon in dem Moment, in dem ich das denke, verfinstert sich sein Ausdruck wieder und er blickt zur Seite.

Traurig schaue ich zu Boden.

Die restlichen Schüler haben mal mehr, mal weniger Probleme mit dem Zauber, aber jeder schafft es spätestens im zweiten Anlauf, den Patronus zu beschwören. Die meisten von ihnen waren allerdings in Dumbledores Armee und auch an der Schlacht von Hogwarts beteiligt, also ist das auch kein Wunder.

Professor Demby sieht immer zufriedener aus, je mehr Schüler die Aufgabe erfolgreich meistern. Ganz zum Schluss ist Malfoy an der Reihe. Ich muss zugeben, dass ich neugierig bin, da ich seinen Patronus noch nie gesehen habe. Wahrscheinlich ist es eine Schlange oder ein ähnlich schleimiges, hinterhältiges Wesen.

Malfoy sieht nicht sehr glücklich aus, als Demby ihm mit einer Geste zu verstehen gibt, dass er nun an der Reihe ist. Er steht mit zusammengepressten Lippen und verschränkten Armen da und macht keine Anstalten, die Zauberformel zu sprechen.

Professor Demby sieht ihn etwas irritiert an: „Mister Malfoy, Sie sind dran. Würden Sie bitte?"

Langsam hebt Malfoy den Zauberstab: „Expecto Patronum!" zischt er mit verkrampftem Kiefer, aber es passiert...nichts.

Ich bin erstaunt, kann es sein, dass Malfoy mit diesem Zauber ernsthafte Probleme hat? Kein anderer Schüler hat bisher so wenig erreicht, selbst diejenigen die zwei Anläufe brauchten haben es im ersten Durchgang immer geschafft, zumindest einen schwachen Schutzzauber auszulösen, wenn auch ohne Tierform.

Ich schaue Malfoy an und sehe, dass eine Vene an seinem Hals hervortritt. Er muss wirklich unglaublich angespannt sein! Er schaut kurz auf den Boden, vermutlich um sich zu konzentrieren und ruft dann erneut „Expecto Patronum!"

Bei seinem zweiten Versuch treten immerhin silbrige Schwaden aus dem Zauberstab aus, aber auch hier gelingt es ihm nicht, einen vollwertigen Patronus zu beschwören. Ich höre, wie die restlichen Anwesenden zu tuscheln anfangen. Ich kann es ihnen nicht verdenken, ich bin genauso verblüfft wie alle anderen, dass der große Draco Malfoy den Zauber als einziger nicht beherrscht.

Ein Mädchen aus Slytherin, ich glaube sie heißt Millicent, fängt sogar an zu lachen und flüstert ihrer Freundin etwas zu. Sie bemüht sich dabei aber nicht wirklich, leise zu sein und ich bin ziemlich sicher, so etwas wie „Versager" herauszuhören.

Auch Draco scheint es gehört zu haben, denn sein Gesichtsausdruck wird noch dunkler und verkrampfter. Irgendwie tut er mir ja schon leid. Vor der ganzen Klasse ausgelacht zu werden ist furchtbar. Aber andererseits...hat er nicht genau dasselbe schon 10000 mit mir und vielen anderen gemacht? Und nach dem, was er in Zaubertränke zu mir gesagt hat, sollte sich mein Mitleid für ihn wirklich in Grenzen halten.

Trotzdem kann ich Ungerechtigkeit nur schwer ertragen. Es macht mich immer wütend, wenn jemand, der eh schon am Boden liegt, noch getreten wird! Bevor ich es verhindern kann, entschlüpft mir daher ein gezischtes „Halt den Mund, Millicent!"

Die Slytherin Schülerin schaut mich mit zusammengekniffenen Augen ziemlich hochnäsig an, aber sie ist offensichtlich so überrascht von meiner Reaktion, dass ihr keine sofortige Erwiderung einfällt.

Als ich zurück zu Draco sehe, sind seine Augen auf mich geheftet. Verdammt, hat er mitbekommen, was ich zu Millicent gesagt habe? Nicht, dass er jetzt auf falsche Gedanken kommt. Ich habe das nicht für ihn getan, sondern um Millicent zu zeigen, dass man niemanden so behandeln darf!

Professor Demby hat mich im Gegensatz zu Malfoy offensichtlich nicht gehört, worüber ich sehr dankbar bin. Bei ihm habe ich letzte Woche ja eh schon einen schlechten Eindruck hinterlassen, deshalb will ich nicht schon wieder negativ auffallen.

Als ich gerade denke, dass Professor Demby Malfoy aus seiner Misere befreien will, schließt Malfoy die Augen und atmet einmal tief ein. Als er sie wieder öffnet, schaut er erneut in meine Richtung und ich fühle, wie sein Blick sich in meinen bohrt. Ich weiß nicht, was ich in seinen grauen Augen sehe, aber es gelingt mir nicht, wegzuschauen. Erst als Draco zum dritten Mal „EXPECTO PATRONUM!" donnert, ist der Bann gebrochen.

Atemlos warte ich, was passiert. Erst denke ich, der Zauber hätte wieder versagt, aber dann bricht ein silberner Fuchs hervor. Verspielt läuft er zwischen den Beinen der Schüler umher und als er bei mir angelangt, bleibt er kurz stehen. Völlig fasziniert mustere ich den Fuchs. Er hat kluge Augen, ein weiches silbernes Fell und ist generell wunderschön.

Und obwohl ich es hasse, das zuzugeben: Er passt perfekt zu seinem Zauberer.

Every Blonde needs a BrunetteWhere stories live. Discover now