Stattdessen starrte ich nur mit offenem Mund in das Gesicht der Person. Aus mir unbekannten Gründen fing mein Herz an schneller zu schlagen. Vielleicht war das ja ein verspäteter Adrenalinstoß von dem Schreck.

„Was zur Hölle machst du hier?", war das Erste, was ich über die Lippen brachte.

Vor mir saß tatsächlich der Fremde, der mich vor ein paar Tagen vor Dave beschützt hatte! Und nicht zu vergessen auch meine Kette eingesteckt hatte! Mit gerunzelter Stirn beobachtete ich wie sein Mund sich zu einem schiefen Grinsen verzog und seine Hand sich ein paar meiner Pommes griff.

Erneut klappte mir der Mund auf, jedoch erinnerte mich sein leises Lachen schnell daran den Mund wieder zu schließen. Gänsehaut überzog meine Arme.

„Bin zufällig vorbeigekommen", sprach der Fremde mit rauer Stimme, als wäre er gerade erst aufgestanden. Irgendwie sah er auch so aus. Seine Haare waren verstrubbelt, als wäre er zu oft mit der Hand durchgefahren und sein schlichtes graues T-Shirt spannte sich über seine breite Brust. Auf seine Antwort stieß ich ein höhnisches Schnauben aus: „Genau und ich bin eigentlich die Königin von England", ich erdolchte ihn förmlich mit meinem Blick „Was machst du wirklich hier? Bist du ein Stalker? Verfolgst du mich?"

Diesmal lachte der Fremde lauter. Er hatte ein tiefes Lachen, eines, das einem unter die Haut ging. Seine grauen Augen strahlten amüsiert. Für einen kurzen Moment verlor ich mich in ihnen, ehe seine Stimme meine Aufmerksamkeit auf sich zog: „Wer weiß, Süße. Vielleicht verfolge ich dich wirklich. Vielleicht beobachte ich dich sogar während du schläfst."

„Du bist wirklich...", ich fand einfach keine passende Beleidigung für eine Person wie ihn.

Er zwinkerte mir zu. Die ganze Situation schien ihm Spaß zu machen. Erneut griff er nach meinen Pommes, diesmal schlug ich aber seine Hand weg.

Gespielt getroffen von meiner Reaktion, zog er die Hand zurück.

„Ich weiß, ich bin wirklich unglaublich toll und attraktiv. Du konntest nicht anders als dich in mich zu Verlieben".

Röte stieg mir bei seinen Worten in die Wangen.

„Idiot!", rief ich empört „als würde sich jemals jemand in dich verlieben."

Der Fremde beugte sich etwas über den Tisch, so nah, dass ich die kleinen schwarzen Punkte sehen konnte, die sich unter das Grau seiner Augen gemischt hatten. Ich hielt den Atem an, als er mir eine widerspenstige Haarsträhne hinter das Ohr strich. Er lächelte. Und gegen meinen Willen musste ich zugeben, dass er unverschämt gut aussah.

„Sollen wir wetten?!", raunte er mir verführerisch zu und kam noch näher.

Völlig gebannt huschte mein Blick zwischen seinen Augen und Lippen hin und her. Er würde doch nicht...?

Er neigte langsam den Kopf und...

Und stopfte sich ein paar meiner Pommes in den Mund.

Total überrumpelt starrte ich ihn an. Er lehnte sich wieder zurück, aß mit genießerischer Miene meine Pommes und leckte sich anschließend noch die Finger ab.

Sprachlos schüttelte ich den Kopf. Was zur Hölle war das gerade eben gewesen. Hatte ich wirklich gedacht, dass so jemand wie er mich einfach küssen würde?! Und hatte ich mich tatsächlich gefragt, wie weich seine Lippen sich wohl anfühlen würden?! Ich wollte ihn nicht mal küssen, er war ein Vollidiot, hatte kein Benehmen und wahrscheinlich war er jetzt auch noch so etwas wie ein Stalker! Wütend funkelte ich ihn an. Man konnte deutlich erkennen, dass er mich nur aufgezogen hatte.

„Was. Willst. Du?!", fauchte ich mit zusammengebissenen Zähnen.

„Dich", sagte er mit einem so seriösen Gesichtsausdruck, dass mir der Atem stoppte.

„Ha ha, nein, ernsthaft!", meinte ich trocken. Er blickte mir selbstbewusst in die Augen. Was sollte das überhaupt bedeuten, er wollte mich? Er kannte mich nicht mal. Ich kannte ihn nicht. Ich bekam langsam Kopfschmerzen und massierte mir genervt die Schläfen.

„Das ist mein Ernst. Hast du oft diese Kopfschmerzen? Dieses Zittern in den Händen? Diese Schwindel- und Übelkeitsanfälle? Das ist der Grund warum ich dich will. Das alles führt nur auf eine Sache hinaus." Seine Stimme klang nun so ernst das ich Angst bekam. Mit all seinen Fragen traf er ins Schwarze. Ich konnte nicht einmal mehr aufzählen wie oft ich schon solche Anfälle und Schmerzen hatte. Jedoch verstand ich trotzdem nicht was er mir damit sagen wollte.

War ich tödlich krank und er war irgendein Student der hoffte ein Heilmittel für diese vielleicht tödliche Krankheit zu finden?! Ich versuchte mir ihn in einem Laborkittel vorzustellen, was mich jedoch zum Entschluss führte, dass das absurd war.

„Ich verstehe nicht...", murmelte ich niedergeschlagen. Es schien als würde meine Pechsträhne andauern. Der Fremde vor mir erhob sich, legte etwas Geld auf den Tisch und blickte anschließend aus dem Fenster. Seine Silhouette spiegelte sich im Fenster und es war für einen Moment so, als würde ich durch ihn hindurchsehen, auf die wahre Person in seinem Inneren.

„Irgendwann wirst du es. Wir sehen uns", sagte er, bevor er sich umdrehte und zum Ausgang lief. Bevor er jedoch das Café verließ drehte er sich noch einmal um.

„Ach ja, Evelyn, bevor ich es vergesse: Mein Name ist Damian." Und mit diesen Worten verschwand er.

Verwirrt und durcheinander betrachtete ich das inzwischen kalt gewordene Essen. Wer war dieser Damian? Woher kannte er meine Namen? Mit einem unguten Gefühl im Magen wurde mir bewusst, dass ich schon bald Antworten auf meine Fragen erhalten würde. Wir sehen uns...

Ich konnte nicht sagen, ob das etwas Gutes oder Schlechtes bedeutete.

Perdition - VerderbenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt