Seine Worte ließen mich warm lächeln.

„Oh Brand...", ich drehte mich wieder zu ihm. Seine braunen Augen blickten mich treuherzig an. Ich setzte mich wieder neben ihm. Auch er drehte sich diesmal mir zu, beide saßen wir nun im Schneidersitz auf der Liege, unsere Knie berührten einander und unsere Blicke ineinander verhakt.

„Weißt du wie lieb ich dich habe?", unterbrach ich schließlich die Stille. Brandon legte den Kopf schräg.

„Nein, dass hast du mir noch nie gesagt", meinte er mit einem leicht neckischen Unterton. Ich musste lachten, ließ mich aber auf das Spiel ein.

„Wirklich nicht? Hm, na dann sollte ich dir das wohl mal sagen, was?"

Brandon nickte, die Arme verschränkt, wie ein kleines Kind, dem man die Süßigkeiten vorenthalten hatte. Ich musste mein Lachen unterdrücken, als ich mit ernster Stimme anfing zu erklären: „Du bist mein bester Freund, Brandon. Ich kenn dich jetzt schon Ewigkeiten. Du bist meine bessere Hälfte. Du kennst mich so gut wie kein anderer. Du bist hilfsbereit, lustig und die treuste Seele die ich kenne. Auch wenn du manchmal wie ein Kleinkind bist", bei diesen Worten schob er schmollend seine Unterlippe vor, was mich leise zum Kichern brachte, „habe ich dich dennoch unglaublich lieb."

Er streckte seine Hand aus und zeichnete mit dem Zeigefinger seiner linken Hand kleine Figuren auf meinen Handrücken. Das hatte er früher als wir Kinder waren auch schon getan. Es hatte mich immer auf besondere Weise beruhigt. Ich drückte seine Hand.

„Du bedeutest mir einfach alles, Eve."

                                                                                         ***

Zögernd stand ich vor dem Restaurant wo Dave und ich uns treffen sollten. Ich sollte das nicht tun, das war einfach nicht richtig. Brandon würde mir den Hals umdrehen, wenn er erfahren würde, was ich gerade tat.

Ich würde mich tatsächlich mit Dave treffen, trotz allem was zwischen ihm und Brandon passiert war. Trotz allem wie er über mich gesprochen hatte.

Aber ich würde jetzt nicht da reingehen und mich lächelnd zu ihm setzten, gemeinsam mit ihm Essen bestellen und fröhlich plaudern. Nein. Ich würde da reingehen, ihm sein Getränk überkippen und ihm deutlich meine Meinung geigen, ehe ich einen dramatischen Abgang ablegte und somit den beliebtesten, begehrtesten und attraktivsten Typen der ganzen Schule stehen lassen würde.

Gestern hatte ich ihm heimlich ein Brief in das Schließfach gesteckt, in dem ich deutlich schleimte, dass ich nichts für das Verhalten meines besten Freundes konnte, dass es mir Leid tat und ich inständig hoffte dass die Verabredung am Freitag noch stand. Und natürlich fand ich am Ende des Schultages ebenfalls ein Zettel in meinem Schließfach, mit der Bestätigung, dass ich am Freitag ein Date hatte.

Ich hatte mich extra auf gestylt, damit Dave auch deutlich erkannte, was er nicht haben konnte. Nun aber bereute ich es schon fast wieder. Der schwarze Rock war viel zu kurz und die Strumpfhose kratzte ein wenig auf der Haut. Außerdem zeigte das rote Oberteil mehr Haut als ich normalerweise gewohnt war. Aber ich sah gut aus, das hatte ich mir zumindest öfters vor dem Spiegel vorgesagt.

Jetzt wo ich jedoch vor dem Restaurant stand, verlor ich auf einmal mein ganzes Selbstbewusstsein.

„Geh schon rein Evelyn, stell dich nicht so an!", versuchte ich mir selbst Mut zu machen. Für die vorbeigehenden Passanten musste ich wie eine Irre wirken. Ich glitt langsam mit den Fingern über die Glieder meiner dünnen Goldkette am Handgelenk. Im Kopf zählte ich jedes Glied, bis ich zu dem goldenen Kreis in der Mitte ankam. Ich fuhr sanft die Linien innerhalb des Kreises nach, immer wieder, bis mein Herzschlag sich beruhigt hatte. Ich hatte diese Kette am Tage meiner Geburt geschenkt bekommen und trug sie seit her jeden Tag. Sie war für mich eine Art Beruhigung, aus irgendeinem Grund gab sie mir Sicherheit.

Perdition - VerderbenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt