Ertrinken (Die Toten Hosen)

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22:44 Uhr
Ich möchte sterben. Alleine der Gedanke daran, wie viel ich in den nächsten Tagen tun muss, schnürt mir die Luft ab. Tränen schießen mir in die Augen und pure Verzweiflung macht sich in meinem Körper breit.

22:51 Uhr
Ich suche Zugverbindungen zu einer Freundin heraus. Ich will sie dieses Jahr auf jeden Fall nochmal besuchen, auch wenn sie weit weg wohnt. Vielleicht im Oktober oder November, je nachdem, wann ich die stationäre Therapie antrete. Bei dem Gedanken an die Ruhe und Sicherheit, die B. mir vermittelt, muss ich lächeln. Ich bin so dankbar für ihre Freundschaft.

22:57 Uhr
Ich beiße mir in den Arm. Ich brauche den Schmerz jetzt, um nicht zu schreien. Hass durchflutet mich; Hass gegenüber mir selbst und meiner Unfähigkeit, perfekt zu sein. Ich bin so fett, so hässlich, ich werde nie gut aussehen. Ich schäme mich so sehr für mein Aussehen. Und manchmal erschrecke ich mich vor mir selbst, wenn ich nach einer Weile wieder in den Spiegel schaue, weil ich ganz vergessen habe, wie schrecklich ich aussehe.

23:09 Uhr
Ich glaube, ich bestelle mir ein neues Band-Shirt, ich liebe die so. Nirvana wäre doch mal cool. Das sieht bestimmt lässig aus mit meiner Lederjacke. Vielleicht hole ich mir auch eine neue Lidschattenpalette, ich wollte ja schon so lange eine magnetische.

23:14 Uhr
Ich möchte mich wieder selbst verletzen. Mir fehlt das Gefühl der Rasierklingen auf der Haut. Und danach, wenn die frischen Wunden noch etwas brennen, fühle ich mich wie befriedigt. Ja, der Schmerz bietet mir tatsächlich eine Art der sexuellen Befriedigung, die ich so noch nie erlebt habe. Wie abartig ich doch bin.

23:23 Uhr
Ob wohl jemand an mich denkt? Wie schön das doch wäre, wenn mich jemand lieben würde. Vielleicht tut das ja jemand, irgendwo auf der Welt, und ich weiß es nur noch nicht. Vielleicht habe auch ich eine Seelenverwandte.

23:25 Uhr
Niemand wird mich je lieben können. Ich bin so verabscheuungswürdig. So dreckig. So wertlos. Ich will das alles nicht mehr. Nie werde ich mich wohlfühlen, nie werde ich glücklich sein. Nie werde ich genug sein. Ich kann das alles nicht mehr. Ich möchte einfach nur endlich weg sein. Und nie mehr so leiden müssen.
Niemand sollte so leiden müssen.

23:27 Uhr  
Was passiert wohl,wenn ich jetzt diese ganzen Tabletten hier nehme? Vielleicht bringt es mich um, vielleicht aber auch nicht. Aber ich würde wenigstens etwas schlafen können. Ich habe das Medikament schon einmal überdosiert, da habe ich 14h geschlafen. Aber ich hatte so einen Heißhunger danach, das war schrecklich. Was passiert wohl,wenn ich dieses Mal doppelt so viel nehme? Vielleicht sterbe ich. Vielleicht aber auch nicht und dann würde ich auch noch zunehmen. Ich will das eigentlich nicht riskieren.

23:30 Uhr
Ich kann nicht aufhören, zu weinen. Die Tränen fließen wie Wasserfälle und mein Herz verzehrt sich schmerzhaft nach einem Ende dieser Tragödie. Meine Eltern dürfen nicht mitbekommen, dass ich heule. Sie verstehen es sowieso nicht. Es ist alles so unerträglich.

23:45 Uhr
Ich bin letztendlich duschen gegangen, das Wasser übertönte meine Schluchzer. Und als ich da auf dem Boden der Dusche saß, unfähig mich zu bewegen oder zu beruhigen und gegen die schwarze Verzweiflung ankämpfte, die sich in mir ausbreitete, schaute ich gen Himmel.

Und da erinnerte ich mich, wofür ich kämpfen wollte.



GedankenrauschDonde viven las historias. Descúbrelo ahora