Kapitel 5 - Ein klarer Sonntag

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Anthony Goldstein:

"Hörst du mir zu?", fragte Anthony leicht säuerlich und legte seinen Kopf schräg, was seine Unverständnis noch verdeutlichen sollte.
"Nein, tut mir leid.", flüsterte sie entschuldigend und versuchte dabei Anthony in die Augen zu sehen. "Ich mache die Hausaufgabe später."

Der Junge mit den dunklen, verstrubbelten Haaren schüttelte nur mit dem Kopf und seufzte. Er wusste doch, wie sie war, ermahnte er sich. Wieder einmal.
Ihre Gedanken schweiften zu oft in andere Richtungen und ihr fiel es noch schwer sich zu konzentrieren oder gar aufmerksam zu bleiben. Anthony versuchte dies zu verstehen, obwohl niemand genau wusste, wieso sie derartige Probleme oder Schwierigkeiten hatte.
Liv schien ein Geheimnis um ihre Zeit zu machen, die sie im Süden von England verbracht hatte, während der Krieg unter den Zauberern getobt hatte.
Sie beteuerte bloß, dass es zu traumatisch gewesen wäre, um darüber weiterzureden, wenn sie einmal ein längeres Gespräch führten und solche Themen anschnitten.
Zudem hatte er gar nicht von der Hausaufgabe in Kräuterkunde gesprochen.
Abermals schüttelte er den Kopf und blickte Liv nach, die sich einfach ihre Tasche geschnappt hatte und aus der Bibliothek geflohen war.
Anthony beschloss weiter an einem Buch für Alraunen zu lesen. Doch jemand störte seine Ruhe mit den beschriebenen Seiten, wie er unerfreulicherweise feststellen musste.

"Ist das ein spannendes Buch?", wurde er auf einmal angesprochen.
Beinahe hätte er die Person zurecht gewiesen, dass man in der Bibliothek nicht sprechen sollte, sondern einfach las, aber er hielt sich zurück.
"Würde ich es sonst lesen, wenn es andersherum wäre?", meinte er herausfordernd und legte sein Buch beiseite. So unhöflich war er auch nicht, dass er sich nicht auf eine kurze Konversation einlassen würde. Natürlich würde er ein ungestörtes Weiterlesen dennoch vorziehen.

Rachel Elliot setzte ein überhebliches Lachen auf, als hätte er gerade einen Witz gemacht. Vielleicht wirkt das bei anderen Jungs, dachte Anthony missbilligend.
Ein anschließendes Klimpern mit den Wimpern folgte ihrerseits und das blonde Mädchen setzte sich ihm gegenüber auf einen Stuhl. Die wenigen Tische in der Bibliothek waren wie immer spärlich besetzt und niemand nahm Notiz von den beiden. Anthony verstand nicht ganz, was dieses Mädchen nun von ihm wollte.
Sie war eine Gryffindor, war mit Ginny Weasley befreundet, war beliebt und hätte eigentlich andere Interessen haben sollen, als das sie ihre Zeit in der Bibliothek verbrachte oder gar Tee trank.
Die Teegesellschaft. Es ging darum, worum sonst? Oder etwa nicht?

"Ich wollte dich etwas fragen, Anthony.", begann sie und rückte ihren Stuhl etwas näher an den Tisch, damit ihr Gesicht näher an seinem war.
"Dann solltest du fragen, Rachel.", erwiderte er ungeduldig.
"Es geht um deine kleine Freundin Liv. Ich mache mir Sorgen, geht es ihr gut? Sie wirkt noch aufgewühlter. Die Zeit des Krieges scheint sie mitgenommen zu haben. Anthony, wir müssen uns vertrauen können. Die Zauberer und Hexen müssen auf sich zählen können. Also, falls Liv eine Freundin braucht, weiß sie hoffentlich, dass ich für sie da bin.", beendete Rachel ihre kleine Ansprache und ihr sorgenvolles Gesicht ließ Anthony nicken und ein kleines Lächeln aufsetzen.
"Es ist schön, dass solche Gedanken im Aufbruch sind. Aber du solltest ihr dies selbst sagen.", schlug Anthony vor.
Vielleicht hatte er sich in dieser Gryffindor getäuscht. Sie schien aufrichtiges Interesse an Liv zu haben und Liv, obwohl sie es leugnete, brauchte Menschen, die für sie da waren.
"Ja, nicht wahr?", entgegnete die Gryffindor mit einem gewinnenden Lächeln ihrem Gegenüber: "Viel mehr sollten so denken, finde ich, aber ich sehe schon, dass du auch so denkst. Ich werde mit Liv sprechen, aber sollte ich irgendetwas wissen? Gibt es etwas, was sie belastet und ich nicht ansprechen sollte?"
Anthony nickte sofort und antwortete: "Lass den Krieg in Ruhe. Manche Geheimnisse und Wunden sollte man ruhen lassen, sagt Liv oft."

Rachels Blick verfinsterte sich kaum merklich, als sie erwiderte: "Geheimnisse, soso. Danke, Anthony. Wir sehen uns!"

Abermals nickte Anthony und Rachel erhob sich. Anschließend schlenderte sie aus der Bibliothek hinaus. Gedankenverloren starrte ihr der Ravenclaw nach. Ein kleines Lächeln stahl sich auf seine Lippen, welche er aber schlagartig unterband.
Um sich abzulenken, griff er nach dem Kräuterkunde-Buch, das er zur Seite gelegt hatte und schlug es auf. Er sollte noch ein wenig über Alraunen lesen, damit er sein Wissen erneuerte. Doch, bevor sich der Junge völlig den Buchstaben und den Bildern zu der Pflanze widmete, dachte er kurz über sein Bauchgefühl nach, welches seine Logik trübte. Rachel Elliot hatte sich überaus zuvorkommend und freundlich verhalten.
Es war nett von ihr, dass sie mit ihm über Liv sprach und sogar mit ihr befreundet sein wollte, wie er schloss.
Anfangs hatte er sie nicht einschätzen und daher auch nicht leiden können, aber so oberflächlich war sie doch nicht, überlegte Anthony.
Nur war da sein Bauchgefühl, welches einen negativen Schatten über ihr Bild werfen wollte. Aber wieso?
Anthony verstand es nicht und befand daher, dass es nicht nötig war auf seinen Bauch zu hören.

Die Teegesellschaft - DramioneWhere stories live. Discover now