Kein Tag ohne Dich

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Für gewöhnlich lasse ich mir nach dem Lesen immer etwas Zeit, bis ich eine Rezension verfasse, um meine Gedanken ordnen zu können. Gerade habe ich allerdings das Gefühl, ich schaffe das nur, wenn ich meine Eindrücke jetzt einfach runtertippe und so versuche, ein wenig Struktur dort hineinzubringen.

Struktur ist auch bei Romanen essenziell, denn dadurch zeichnet sich ab, wie (oder ob) der Spannungsbogen verläuft, welche Infos dem Leser präsentiert und welche vorenthalten werden und resultierend daraus, wie man ihn rezipieren kann.

Etwas, das sich als Struktur bezeichnen ließe, konnte ich im Jugendroman »Kein Tag ohne Dich« von Shirisamira nicht entdecken. Stattdessen wurde ich konfrontiert mit schlechter Rechtschreibung, Stilblüten, Charakterinkonsistenz, vollkommen absurden Darstellungen eines Teenager-Lebens und einer Art und Weise, wie man den Themenbereich »psychische Krankheit« (in diesem Fall primär Depression) auch in einem fiktiven Text nicht behandeln sollte.

Die Unzulänglichkeiten die deutsche Rechtschreibung betreffend (insbesondere die Groß- und Kleinschreibung und das Setzen von Kommata an Positionen, wo keines hingehört) sind das geringste Problem, das ich mit den bisher hochgeladenen vierzehn Kapiteln plus Vorwort habe. Auch die Größer/Kleiner-Zeichen, die anstelle von Anführungszeichen wie diesen hier »« genutzt wurden, lassen sich noch gut verkraften.

Alles andere leider nicht.

Die Geschichte Shirins, die aus immer noch unbekannten Gründen ihre beste Freundin Elio verloren hat, beginnt mit der Ansage »44 Tage zuvor« und zählt von da an immer weiter Richtung Null. Ich vermute, dass am Ende ein Suizidversuch oder ähnliches wartet (was ich jedoch keinesfalls hoffe), denn Shirins Gedanken drehen sich hauptsächlich darum, wie schlecht es ihr doch geht, wie innerlich leer sie sich fühlt und dass sie sich am liebsten verletzen und sterben möchte.

Generell habe ich nichts dagegen auszusetzen, wenn ein Jugendroman solch sensible Themen anspricht. Im Zuge dessen fordere ich aber zwingend, dass Sachverhalte korrekt oder für andere nachvollziehbar dargestellt werden. Shirins Ich-Perspektive bietet keine solche Sicht auf den Stand der Dinge.

Obwohl man als Leser in ihrem Kopf steckt, wird die innere Handlung nur sporadisch und wenn überhaupt mit leeren Phrasen beschrieben, die absolut keine Aussage darüber treffen wie es ihr eigentlich geht. Emotionen gehen zwingend einher mit körperlichen Empfindungen und von diesen wird im Laufe des bisher bestehenden Textes keine einzige beschrieben. So wird mir als Leser die Chance verwehrt, die Gedanken der Hauptfigur nachvollziehen zu können, was ihre Probleme vollkommen belanglos wirken lässt. Ich kann sie so kein bisschen ernst nehmen. Das ist bei einem so ernsten Thema allerdings fatal.

Dass sie Symptome aufweist, die zu diversen psychischen Krankheitsbildern passen und diese rein zufällig auftreten zu scheinen, wie es der Autorin gerade genehm zu sein scheint, trägt umso mehr dazu bei, dass die Protagonistin (und womögliches self-insert der Autorin) Shirin von mir nicht nur nicht ernst genommen werden kann, sondern sogar zur Lachfigur wird. Es wurde also das komplette Gegenteil von dem erreicht, was beabsichtigt wurde.

Die Erzählerin ist aber nicht der einzige Charakter, der schon einmal grundsätzlich verhindert, dass »Kein Tag ohne Dich« so wirkt wie es soll und nicht wie eine groteske Persiflage. Auch ihre beste Freundin Belinda, die durch nichts weiter glänzt als zu lästern und scheinbar rund um die Uhr anwesend zu sein, sowie Justin, der Typ der irgendwie auftaucht, nach einer (nicht näher beschriebenen) Woche mit Shirin zusammenkommt und ihrer Ansicht nach sofort mit ihr in die Kiste hüpfen will, erscheinen mir nicht so, als würden sie den Turing-Test bestehen.

Beide handeln ausschließlich, um Shirin in eine gewisse Richtung zu schubsen, wo die Autorin sie des Plots wegen haben will, nämlich gefangen zwischen Hoch- und Tiefpunkten. Dass diese allerdings absolut unrealistisch gewählt oder zumindest höchst befremdlich dargestellt sind, führt letztlich dazu, dass nicht nur die handelnden Personen, sondern auch die Umwelt, die dem Leser präsentiert wird, nicht für eine in Schriftform verpackte Version der Wirklichkeit gehalten werden kann, was jedoch die Intention der Autorin gewesen zu sein scheint.

An dieser Stelle kann es helfen, mal einen Blick in die nicht ganz so ominöse Realität zu werfen und versuchen, die im Buch beschriebene Welt anhand dessen aufzubauen. Es gibt genügend Worte, die man kombinieren kann, um alles so zu verschriftlichen, dass der Leser es sich vorstellen und ggf. nachfühlen kann.

Dementsprechend ist auch ein Grundmaß an Verständnis für Formulierungen erforderlich, was eine weitere große Schwäche des Buches ausmacht, das nur so vor Stilblüten wimmelt.

Zum einen wären da Textausschnitte wie »Jemanden mit Depressionen zu lieben ist wie London. Es ist die schönste Stadt der Welt, aber es regnet jeden Tag.« Mir ist klar, was vermittelt werden möchte, jedoch liegt der Vergleich erstens zu weit entfernt, zweitens bekomme ich eher suggeriert, dass der Fokus auf der Stadt liegt und nicht deren Schönheit.

Zum anderen finden sich permanent Sätze wie »Meine Schritte verliefen langsam, hinter ihnen schlenderte ich wie eine Ente hinterher.« Die Wortwiederholung sollte sofort erkannt und ausgemerzt werden. Der Rest allerdings aus. Wieder ist der Vergleich nicht passend und es ist nicht korrekt zu sagen, dass Schritte verlaufen. Wenn man sich unsicher ist, sollte man die Verwendung von Wörtern lieber gegenchecken oder direkt auf schwammige, pseudointellektuelle Formulierungen verzichten und stattdessen in einer authentischen Sprache schreiben, über die man fehlerfrei verfügt. (Und dabei natürlich nicht aus den Augen verlieren, dass die innere Handlung beschrieben wird, die äußere nicht darunter leidet und Dialoge ebenfalls möglichst realitätsnah anmuten.)

Das hier waren nur zwei Beispiele für Phrasen, die komplett aus dem Ruder gelaufen sind und mit dazu beitragen, die Geschichte ins Lächerliche zu ziehen (was wie schon erwähnt auf keinen Fall passieren darf, aufgrund der kritischen Thematik). Es gibt noch viele mehr.

Und um neben all diesen Ablenkungen die Handlung nicht aus den Augen zu verlieren: Was ist eigentlich mit Elio?

Wir wissen, dass sie Shirins beste Freundin war (und sich vielleicht sogar mehr darauf entwickelt hätte) und schmerzlich vermisst wird. Was genau vorgefallen ist, dass die beiden getrennt hat, wird jedoch nicht einmal angedeutet. Das ist frustrierend.

Wir stecken im Kopf der Protagonistin, die permanent an Elio denkt, diese vermisst, sie küssen will und um jeden Preis versucht sich abzulenken und dennoch wird kein einziger klarer Gedanke dazu gefasst, wo die beste Freundin eigentlich hin verschwunden ist. Durch Vorenthalten von Informationen an so unpassenden Stellen kreiert man kein Mysterium, das es im Laufe des Romans zu lösen gilt, sondern wirkt so, als würde man seine Leser für dumm verkaufen wollen. Wie schon mehrfach erwähnt, gaukelt man eine realistische Welt vor und zu dieser gehört (ebenfalls schon genannt) eine nachvollziehbar denkende Erzählerin. Mindestens.

Und ganz ehrlich, wie soll ich den Verlust Elios nachempfinden, wenn ich nicht die geringsten Anhaltspunkte zu ihr habe? Rein gar nichts. Das kann nicht funktionieren. Ich kann den Todesanzeigen in der Tageszeitung mehr Input entnehmen und dementsprechend stärker mitfühlen als hier. Das muss/sollte/darf nicht sein.

»Kein Tag ohne Dich« ist ein Buch, das vor allem daran scheitert, die Welt, in der die jugendliche Protagonistin leben sollte, so wiederzugeben, dass man sich als Leser in ihr wiederfinden kann. Zusammen mit einem Mangel an Sprachgefühl und dem unreflektierten Umgang mit dem Thema Depression (entweder man betreibt anständige Recherche oder ist in der Lage, seine eigenen Empfindungen wiederzugeben) habe ich einen Text gelesen, der nicht einfach nur aus handwerklicher Sicht schlecht ist, sondern vor allem bedenklich für Personen, die sich vielleicht von den irreführenden Darstellungen negativ beeinflussen lassen. Da hilft dann auch keine eventuelle Triggerwarnung.

Ich rate also zu dringendem Überdenken von Charakteren und Plot sowie einer Überarbeitung hinsichtlich der formalen Fehler und Stilblüten.Für gewöhnlich lasse ich mir nach dem Lesen immer etwas Zeit, bis ich eine Rezension verfasse, um meine Gedanken ordnen zu können. Gerade habe ich allerdings das Gefühl, ich schaffe das nur, wenn ich meine Eindrücke jetzt einfach runtertippe und so versuche, ein wenig Struktur dort hineinzubringen.


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