Onijägerin Yuna

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Jede Kultur hat ihre eigenen Sagen und Legenden, die sich im Laufe der Jahrhunderte, wenn nicht sogar Millennien entwickelt hat. Daher ist es erschreckend, wie viele Parallelen man manchmal zwischen zwei Mythologien feststellen kann, die auf komplett unterschiedlichen Seiten der Erdkugel entstanden sind. Ein Konzept, das man immer wiederfindet, ist das der Dämonen und bösen Geister, welche die Menschen heimsuchen und bedrohen.

In Japan sind es die Oni, die diesem Bild am ehesten entsprechen. Diesen hat Mysi85 das Buch »Onijägerin Yuna« gewidmet, das mit seinen 128 Kapiteln plus Pro- und Epilog eine beachtliche Länge hat (eine Fortsetzung gibt es übrigens auch) und welches ich aufgrund dessen leider nur bis einschließlich Kapitel 35 gelesen habe, aber wie sagt man so schön? Die ersten Seiten sind schon entscheidend, ebenso wie der erste Eindruck.

Jener erste Eindruck, könnte bei »Onijägerin Yuna« deutlich besser sein. Das extra hierfür gezeichnete Cover gefällt mir zwar ausgesprochen gut und trifft den Ton, den die Geschichte anschlagen möchte, doch selbst wenn ich ein Buch nach seinem Einband beurteile, findet sich auf diesem auch ein Klappentext wieder und aus diesem kann und sollte noch einiges rausgeholt werden. Im Grunde liest er sich wie eine Inhaltsangabe des Romans, wie man sie in einer Analyse gebrauchen könnte, nicht aber, um potentielle Leser neugierig auf das zu machen, was kommt.

Aus dem Klappentext erfahren wir nämlich nicht nur, dass Yunas Familie von einem bösen Oni namens Tirr getötet wird, sondern auch, dass ein Mentor sie zur Jägerin ausbildet und sie dieses neue Leben dann mit ihrer Schulkarriere und der ersten großen Liebe unter einen Hut bringen muss. Das klingt zum einen sehr generisch und man spricht dem Buch so jedes Alleinstellungsmerkmal im Vorhinein ab, zum anderen wird viel zu weit in der Handlung vorgegriffen. Die rhetorischen Fragen, die das Ganze abrunden sollen, sind übrigens allesamt fehl am Platz, da sie viel zu suggestiv sind und noch mehr verraten, in welche Richtung sich der Plot entwickeln wird.

Ans Lesen bin ich letztlich doch mit einer deutlich positiveren Einstellung gegangen, da die japanische Mythologie ein für mich völlig neues Setting verspricht und so hoffentlich auch die neue Version einer Heldengeschichte. Ich komme jetzt allerdings nicht drum herum vorwegzunehmen, dass ich darauf leider vergeblich gewartet habe.

Die Gründe dafür sehe ich in verschiedenen Aspekten. Zum einen ist da die Dramaturgie, die gut beginnt, letztlich aber in einem permanenten Auf und Ab endet. Es hat mich sehr gefreut, wie viel Zeit sich für den Übergriff Tirrs genommen wurde, der Yuna nach und nach ihre Familie nimmt, und sie dabei psychisch auslaugt, mit ihr spielt und sie so verletzt, dass sie ein Auge verliert. Dadurch konnte eine glaubhafte Basis für den Hass der jungen Protagonisten auf die Oni gelegt werden und man war als Leser schon für eine Weile so weit gefesselt, dass man das Bedürfnis hatte, weiterzulesen. Das hat sich danach aber gelegt.

Es ist logisch, dass Yuna sich nach dem Massaker im Krankenhaus wiederfindet und dort erstmal zur Ruhe kommen muss, doch diese Ruhephase wurde zunächst überreizt und dann dadurch unterbrochen, dass es eine erste Einführung in die Welt der Oni durch Yoshiro gab, dem vermeintlichen Onkel, welcher sich als etwas deutlich Anderes herauskristallisierte und nach welcher Yuna sofort einen Oni entdeckt und diesen töten will. All das sage ich übrigens, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben, denn ich habe nicht das Gefühl zu spoilern, aufgrund einer gewissen Vorhersehbarkeit, die die ganze Geschichte über vorliegt.

Anstatt, dass es also einen Spannungsbogen gibt, der sich durch die gesamte Handlung zieht, hatte ich eher das Gefühl, einen Manga in Buchform zu lesen und gerade im fünften Band angekommen zu sein. Dieser Vergleich hat sich aufgrund der Thematik einfach sofort in meinen Kopf geschlichen und wurde auch durch den Schreibstil weiter verstärkt.

Dieser scheint nämlich sehr darauf bedacht, die Handlung der einzelnen Akteure genau darzustellen, Interpersonelles durch Dialoge auszudrücken und zwischendurch immer mal wieder wichtige Infos einzuwerfen. Dabei ist der Sprachgebrauch eher eintönig und auf das immer gleiche Schema beschränkt. Größere Vielfalt in diesem Bereich hätte das Lesegefühl deutlich angenehmer gestaltet und sogar über den generischen Plot hinwegsehen lassen. Und auch hier muss ich sagen, dass am Anfang ganz gute Ansätze vorhanden waren. Allerdings war da auch ein höheres Erzähltempo erforderlich, welches durch den knappen Stil gegeben war.

Eine weitere Tatsache, die mir immer wieder negativ aufgefallen ist, waren die diversen Umschreibungen für die Protagonisten, die anstelle von Personalpronomen oder der Namen genutzt wurden. Einmal finde ich es in Ordnung einmal zu sagen, dass Yuna blaue Haare hat, aber dieses Attribut jedes zweite Mal zu nutzen, um ihren Namen durch »die Blauhaarige« zu ersetzen, verfehlt das Ziel dessen vollkommen. Vor allem da sie die meiste Zeit über die einzige weibliche Figur ist, kann man öfter zu Pronomen greifen, ohne, dass es direkt verwirrt oder stört. Es ist aber nicht nur die Anzahl der Wiederholungen, die mir bei dieser Angewohnheit des Autors ins Auge gefallen ist. Yoshiro, der Oni, der seinesgleichen jagt und den Yuna ihr Leben lang als ihren Onkel kannt, ist ein Teleporter und wird auch ständig als solcher bezeichnet. Manchmal auch inmitten eines Gesprächs, wo diese Eigenschaft gar keinen Einfluss hat. Ihn so zu nennen, wenn sein Talent gerade von Wichtigkeit ist, erfüllt einen Zweck, aber nicht, wenn es einfach so geschieht, um vermeintliche sprachliche Fauxpas zu umgehen.

Am meisten gefehlt haben mir jedoch Einblicke in Yunas Gedanken. Gerade bei einer Geschichte, die mit Rachegefühlen, Trauer und dem Wunsch sein altes Leben hinter sich zu lassen und mit allem zu brechen, was man kennt, zu spielen, erfordert die personale Erzählweise »show don't tell«, um die Protagonistin nachvollziehen zu können. Da ich keine Gelegenheit hatte, sie zu verstehen und mich mit ihr zu identifizieren, kam sie mir die meiste Zeit über einfach nervig und dumm vor. Das hat nicht gerade dazu beigetragen, meinen Lesespaß zu steigern.

Nun gut, Yuna ist nicht der einzige Charakter, der um eines reißerischen Plots Willen untergeht. Yoshiro zum Beispiel versagt in seiner Rolle als Verantwortungsperson auf ganzer Länge. So klärt er das Mädchen, das ihr ganzes Leben lang seine Nichte war, über die Oni auf, allerdings nur teilweise, sodass sie eine große Dummheit begeht. Wieso vertraut er ihr so ein großes Wissen peripher an und lässt sie dann damit alleine? Wie soll sie sich so jemals eine vernünftige Meinung bilden können? Da gibt es keinen vernünftigen Grund für, vor allem wenn er Yuna ohnehin nicht davon abhalten wollte, eine Jägerin zu werden und sie darin sogar noch bestärkt.

Logikfehler gibt es aber nicht nur auf Ebene der Figuren, sondern auch an anderer Stelle. Ich kann mich zum Beispiel nicht damit anfreunden, das Yuna ein Mensch mit den Fähigkeiten eines Oni ist. Dieser Sachverhalt ist absolut sinnlos und stellt die gesamte Mythologie infrage, die man im Übrigen deutlich stärker hätte einbringen können und zwar permanent und nicht nur in Form kurzer eingeschobener Infodumps.

Aber Sue-na widersetzt sich sowieso gegen alle Gegebenheiten, denn trotz ihres verlorenen Auges, ist sie innerhalb kürzester Zeit in der Lage, Schießen zu lernen. Dass das so schnell geht, halte ich für absolut unmöglich. Das Gehirn muss sich erst daran gewöhnen, nur noch Input von einem Auge zu erlangen, wodurch das Sehfeld verschoben ist. Wieso ihr künstlich Schwierigkeiten in den Weg legen, wenn diese an ganz anderen Stellen schon gegeben sind und ignoriert werden?

Ebenso ignoriert wird an manchen Stellen, dass die Geschichte in Japan spielt. Gelegentlich scheint das zwar durch Begriffe und Anreden durch, an anderen Momenten allerdings gar nicht. Manchmal wirkt das Verhalten viel zu westlich und man erkennt die kollektivistische Gesellschaft, die es in diesem Kulturkreis gibt, nicht mehr. Das sind immer wieder kleine Augenblicke, die aber im Kontext doch auffallen.

Immerhin ist die Rechtschreibung bis auf kleinere Flüchtigkeitsfehler und einer Unsicherheit in der Nutzung von »ss« und »ß« korrekt. Obwohl ich nicht verstehe, wieso das Wort Onkel immer in Anführungszeichen gesetzt wird, denn Yuna sieht ihn ja immer noch als ihren Onkel an.

Alles in allem scheint es also, als hätte ich kein gutes Haar an »Onijägerin Yuna« gelassen. Dabei muss ich sagen, dass das Buch nicht wirklich als schlecht bezeichnet werden kann, sondern eher einige Baustellen aufweist, die einem vorführen, was es verpasst zu sein. Ich habe schon deutlich Schlimmeres gelesen und habe mich nicht halb so sehr geärgert wie hier, weil solches Potenzial verschenkt wurde.

Diesem Werk mit einer guten Grundidee fehlen einfach die Alleinstellungsmerkmale, eine gewisse Stringenz und wahrscheinlich auch ein Ziel, das von Anfang an erkennbar ist bzw. im Laufe der Handlung weiter verfolgt wird (in diesem Falle die Rache). Aber auch die schönsten Gebäude waren mal Großbaustellen.

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