Lass einfach los

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Der Jugendroman »Lass einfach los« von Besserwisserin hat zum aktuellen Zeitpunkt (13.09.2016) dreizehn Kapitel plus Prolog und befindet sich noch in seiner Anfangsphase. Die Ausgangssituation ist recht simpel: Protagonistin Cassy ist Halbwaise, ihr Vater Alkoholiker und gewalttätig, weswegen sie in ein Heim ziehen muss. Das findet sie alles andere als prickelnd und stellt sich quer, wo sie nur kann. Und dann ist da auch noch Casper, der ihr besser gefällt, als ihr liebt ist.

Sieht man sich Titel und Cover an, scheint es sich hierbei um typische Jugendliteratur zu handeln. Der Klappentext beschreibt die Handlung zwar treffend und ist gut formuliert, jedoch fehlt ihm das gewisse Etwas und reizt nicht. Er hat kein Alleinstellungsmerkmal. Allerdings gibt es vor dem Prolog noch eine andere Kurzinfo zum Buch, die ich deutlich raffinierter finde, da sie das »Loslassen« zu einem Leitmotiv werden lässt. Wenn diese Version gekürzt und ins Präsens gesetzt würde, wäre das schon mal ein Gewinn und würde mich eher ansprechen. Ohnehin bin ich, was Jugendliteratur angeht sehr kritisch und lese nur wenig in dem Genre, da vieles generisch ist, sich wiederholt oder es an Authentizität mangelt. Aber das ist hier nicht das Thema.

Der Prolog scheint ein Flashforward zu sein und setzt sich im Stil vom restlichen Buch ab, denn hier wird deutlich mehr Fokus auf eine ausgeschmückte Sprache gelegt. Allerdings wurde übertrieben und es ist viel zu pathetisch. Etwas mehr realitätsnähe wäre angebrachter und würde der Geschichte direkt einen ernsthaften Ton verleihen, der im Hinblick auf das spätere Geschehen definitiv angestrebt ist. In der momentanen Form wirkte es auf mich eher lächerlich, nicht nur aufgrund der Sprache. Der Stein, den sie in die Hand nimmt und so fest zudrückt, bis sie blutet, soll wahrscheinlich ein Sinnbild dafür sein, dass es ihr nichts ausmacht, sich selbst zu verletzen, solang sie nur endlich ihre Wut und Enttäuschung loswird, aber auch hier muss ich sagen: übertrieben.

Die reguläre Handlung geht deutlich weniger dramatisch weiter. Man lernt langsam Cassy, die Ich-Erzählerin des Romans kennen, die früh ihre Mutter an den Krebs verlor und es noch längst nicht verarbeitet hat. Dieses einschneidende Erlebnis scheint der Dreh-, Angel- und auch Wendepunkt in ihrem Leben zu sein und wird immer wieder erwähnt.

Dass sie deswegen und auch aufgrund der Misshandlungen durch ihren Vater mit siebzehn eine gebrochene Person ist, lässt sie sich nicht anmerken. Sie rebelliert, feindet jeden an, der ihr auch nur eine Kleinigkeit macht, die ihr nicht passt und kommt damit auch noch davon. An dieser Stelle möchte ich auf das Mary-Sue-Potential verweisen, das sich hier verbirgt. Ich wage es noch nicht, sie als eine solche zu bezeichnen und sie beginnt in den späteren Kapiteln, sich davon zu entfernen und mehr Tiefe zu bekommen, aber das ist reichlich spät.

Außerdem wird nicht ausreichend dargestellt, dass sie innerlich kaputt ist. Eigentlich bekommt man, wenn sie in Gegenwart anderer ist, nur ihre durchweg sarkastische bockige Seite zu spüren. Das ist einerseits auf die Dauer etwas ermüdend, andererseits wirkt das auf mich nicht natürlich. Es ist klar, dass sie mit ihren Problemen zu kämpfen hat und dass sie sich nach außen hin anders gibt, um anderen von sich fernzuhalte, erscheint mir auch logisch, aber ihr Innenleben könnte noch deutlich differenzierter sein.

Cassy hat mich nämlich an einigen Stellen zur Weißglut getrieben und ich habe eigentlich ein Herz für nervige Charaktere. Allerdings wird gerade im Kapitel mit der Spinne deutlich, welche Traumata in ihr schlummern und die Autorin ist fähig, diese darzustellen, ohne dass es erzwungen wirkt. Besonders positiv anmerken möchte ich das Stehlen, welches ein Teil des Lebens der Protagonistin ist, weswegen es nur nebenbei einfließt und dem Leser die Ausmaße erst später klarwerden. Allgemein herrscht hier aber das verschenkte Potential vor.

Die anderen Figuren sind dem Klischeehandbuch entsprungen. Da haben wir die Tussi, die liebenswürdige Außenseiterin, den netten Sunnyboy und das vermeintliche Arschloch. Die verhasste Autoritätsperson und den erwachsenen mentalen Beistand (auch wenn ich es cool finde, dass es der Schulleiter ist) natürlich nicht zu vergessen. Wären sie deutlich überzogener dargestellt, würde ich glauben, es sei Absicht, momentan wirkt das aber noch nicht so, sondern eher platt. Dieses Problem könnte auf verschiedenen Wegen behoben werden, auch wenn ich denke, dass das eine ganze Menge Arbeit ist.

Eigentlich sollte man meinen, nach dreizehn Kapiteln ginge es so richtig los. Leider nicht. Viel mehr als Cassys Leiden ist bis hierhin nicht Thema gewesen – mal abgesehen vom Anbandeln mit Casper, der eine männliche Version ihrer selbst zu sein scheint, ein nettes Detail wie ich finde, auch der Namen wegen. Einen wirklichen Zielpunkt hat die Handlung nämlich nicht, auch der Prolog ist nicht als solcher zu betrachten. Der Plot braucht aber unbedingt eine treibende Kraft, einen roten Faden, an dem er sich hochziehen kann und eine halbherzige Lovestory reicht da nicht aus, gerade da am Anfang auch gar keine Charakterentwicklung erfolgt.

So gesehen musste ich mich sehr durch das Buch kämpfen, denn ständig fragte ich mich: Wieso? Was will mir die Geschichte jetzt damit sagen?

Auf dieser Ebene muss also von null angefangen werden und mir fiele auch spontan nichts ein, was dem Ganzen einen gewissen Reiz verschaffen würde, was es originell machen würde, denn bis jetzt ist es nur eine von tausenden Geschichten, in denen ein Mädchen in eine neue Umgebung kommt und ganz öder Alltag geschieht. Ich würde sogar dazu neigen, die Charaktere zu nehmen und irgendwo anders hinzuverfrachten oder später einzusetzen. Es fehlen die Alleinstellungsmerkmale. Pseudotiefgründige Gedanken der Protagonistin und humorige Szenen, die eher auf Masse als Klasse setzen, machen noch kein gutes Buch in diesem Genre, auch wenn viele Autoren das noch nicht kapiert haben. John Green ist z.B. einer von ihnen.

Trotz dieser deutlichen Mankos beim Handlungsgeschehen las »Lass einfach los« sich sehr flüssig. Kein aufwändiger, aber ein dafür authentischer Schreibstil herrschte vor, wurde gezielt eingesetzt und passte einfach. Es wurde deutlich gezeigt, dass einfache Strukturen mit dem richtigen Wortschatz auch ihren Reiz haben können. Bis auf ein paar Tippfehler gab es auch auf formaler Ebene nichts zu bemängeln.

Na ja, fast nichts, denn mich haben die Absätze nach der wörtlichen Rede irritiert, obwohl der Satz noch weiterging. Kann sein, dass das eine Formatierung von Wattpad ist, aber auf jeden Fall hat es schon etwas gestört.

Alles in allem ist »Lass einfach los« ein Buch, dem es an Struktur fehlt und das ich deswegen noch nicht als lesenswert einstufen würde. Allerdings hat die Autorin mehr Talent als sie hier zeigt, weswegen ich glaube, dass sich noch was ganz Passables daraus entwickeln kann, wenn es auch kein großer Wurf wird.

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