Southpoint

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Es trägt schon eine gewisse Ironie in sich, dass Urban-Fantasy-Romane häufig in einer Kleinstadt spielen. Solch ein Städtchen ist auch »Southpoint«, titelgebender Schauplatz eines bisher acht Kapitel umfassenden Werks von Wind_Maedchen, und Heimat von Alice, genannt Ally, die dort bei ihrer Tante und ihrem Onkel lebt und gemeinsam mit ihrem Umfeld wohl jedes Highschool-Klischee abdeckt, das es gibt.

Da erst wenige Kapitel vorliegen, wird auch nur ein entsprechend kleiner Teil der Handlung abgedeckt. Ally geht, himmelt ihren Schwarm an (und führt sogar entspannte Konversation mit ihm im Bus zur Schule) und stößt durch die deutlich sichtbare Hand des Deus ex Machina (resp. der Autorin) auf einen geheimen Ort unter der Stadt sowie einen Geheimbund, dessen Hintergründe wohl in den nächsten Kapiteln langsam eröffnet werden.

Dieser Plot ist definitiv keine große Innovation und wurde in nur wenig abgewandelter Form schon unendliche Male erzählt. Bis jetzt ist es mir zudem nicht gelungen, auch nur ein einziges Alleinstellungsmerkmal zu erkennen, was den Leseprozess zum einen äußerst vorhersehbar, zum anderen wenig unterhaltsam gemacht hat. Man kann in der Literatur das Rad nicht mehr neu erfinden, aber wenigstens sollte man versuchen, eigene Kniffe einzubauen, sich durch irgendetwas aus der Masse hervorzuheben.

Das gelingt jedoch nicht, wenn zumindest in den ersten vier Kapiteln hauptsächlich oder Schulalltag geschildert wird. Es interessiert mich herzlich wenig, wie Ally morgens auf den Bus wartet und wie toll Lee Jones doch ist. Ebenso sparen könnte sie sich die flachen Dialoge mit ihrer besten Freundin Jamie. Dieser Zweierkonstellationen, die überall aus dem Boden sprießen, da Autoren vermutlich zu faul sind, ein dynamisches soziales Umfeld für ihre Protagonisten zu kreieren, kann ich ohnehin nicht leiden – vor allem da ich hier, wie auch bei vielen bewerteten Geschichten zuvor, das Gefühl hatte, eine Pappaufsteller mit Namensschild geraten zu sein.

Auch Ally kann sich aus dieser Situation – und das, obwohl sie die Ich-Erzählerin ist – nicht herauswinden. Von ihr bekommt man primär pseudo-sarkastische Kommentare zu hören, jedoch nicht beschrieben, wie sie sich fühlt, was sie wahrnimmt oder ob sie tiefergehende Gedanken hat, als Lee heiß zu finden, obwohl er ein Tattoo hat. (Was ist das überhaupt für eine Einstellung? Tattoos sind gesellschaftlich längst nicht mehr verpönt und es wird kein Grund geliefert, weswegen unsere Hauptfigur diese Meinung vertritt. Dabei sitzen wir doch schon in ihrem Kopf, können also nicht mehr Zugang zu ihr bekommen, um mal exemplarisch zu zeigen, wo es unter anderem am Charakteraufbau mangelt.)

Nebst mangelnden Ausbaus der Figuren kommt noch das unrealistisch geschilderte Highschool-Bild hinzu, welches durch das Buch vermittelt wird. Oberflächlichkeit wird hier nicht nur großgeschrieben, weil es ein Nomen ist. Gestützt wird das Szenenbild durch Allys vermeintlich edgy Kommentare, die ich schon erwähnte und nicht dem entsprechen, wie ein Mensch im Jugendalter – oder überhaupt – denkt. Hier rate ich nur, sich in sich selbst hineinzuversetzen, einen differenzierteren Blick auf das eigene Umfeld und die Interaktionen zu legen, die man täglich durchläuft und das Ganze zu abstrahieren. Ein Young-Adult-Roman, ob mit oder ohne Fantasyeinschlag, versucht in der Regel immer ein Abbild der Wirklichkeit wiederzugeben und das geht nur, wenn man sich mit dieser so objektiv wie möglich auseinandersetzt, anstatt Wunschträume niederzuschreiben, die durch andere Werke, die denselben Fehler gemacht haben, suggeriert werden (wie der Versuch in Gedanken zwanghaft sarkastisch zu sein, ohne wirklich zu denken).

Umso erfreuter war ich, als sich der Handlungsverlauf urplötzlich gewendet und rein auf den übernatürlichen Aspekt fokussiert hat. Zwar hat sich dieser Erzählstrang aus dem Nichts herausgebildet und keine erkennbare Verbindung zum Highschool-Klischee-Bingo-Spielbrett zuvor, ist aber an sich angenehmer zu lesen.

Das liegt vermutlich zu großen Teilen daran, dass sich der Schreibstil auch über die nur acht Kapitel hinweg, sichtlich gebessert hat. Nicht nur die Zahl der Rechtschreibfehler hat sich drastisch reduziert, sondern die Sätze hängen von da an kohärent zusammen. Wo vorher viele Sprünge waren, die es schwierig gemacht haben nachzuvollziehen, was jetzt genau geschehen ist (obwohl Nichtigkeiten wie die Morgenroutine haarklein ausgebreitet wurden), werden ab da, wo Ally beginnt, das Geheimnis zu erforschen, zumindest im richtigen Maße äußere Handlung und Umgebung beschrieben. Der Stil ist nach wie vor nicht gut, dafür werden viel zu viele Adjektive und Adverbien verwendet und der Leser durch Allys nach wie vor eingeschränkte Darstellung ihrer Wahrnehmung ausgeschlossen, doch ich wähne Potenzial nach oben.

Alles in allem handelt es sich bei »Southpoint« um einen Erstentwurf, der keinen klaren Verlauf aufweist, keine Struktur und sich langsam vor sich hin entwickelt – glücklicherweise in eine bessere, nichtsdestotrotz immer noch generische Richtung. Am meisten vermisse ich Alleinstellungsmerkmale, interessante Charaktere und ein besseres Abstimmen des Erzähltempos. Das wird unter anderem auch dadurch begünstigt, dass der Plot von den Charakteren geleitet wird und nicht von dem Wunsch der Autorin, möglichst schnell zur Action zu kommen, weil sie wahrscheinlich gemerkt hat, dass Belanglosigkeiten, die die Figuren austauschen nicht interessant sind (weswegen man die Belanglosigkeiten in relevante Entwicklungen umändern sollte, anstatt zum nächsten Ereignis fortzuschreiten).

Es ist ein Buch, das eine positive Entwicklung der Autorin zeigt, jedoch längst nicht auf einem Level, bei dem ich es als gut bezeichnen würde. Ich plädiere daran, sich von dem zu lösen, was der Jugendbuchmarkt momentan versucht als Nonplusultra zu verkaufen und sich kritisch mit den eigenen Ansprüchen auseinanderzusetzen. Und seien wir mal ehrlich, wer will nicht, dass sich sein Buch von der Masse abhebt als mitsamt seinen Klischees in dieser unterzugehen?

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