Das Mädchen

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Geschichten müssen nicht immer in lange Romane verpackt sein, wie die Buchindustrie das anzustreben scheint, sondern manchmal braucht es nicht viele Worte, um eine Handlung ihren Lauf nehmen zu lassen. »Das Mädchen« ist eine Novelle von @lara278 und umfasst bis jetzt sechzehn kurze Kapitel, die aus der Sicht eines, soweit ich es wahrgenommen habe, namenlosen Protagonisten verfasst sind, welcher sein Glück als Familienvater außerhalb der Gesellschaft sucht. Zufällig findet er eines Tages ein scheinbar einsames Kind und aus ominösen Gründen, die dem Leser nicht eröffnet werden, ihm wahrscheinlich aber selbst nicht ganz klar sind, nimmt er die Kleine mit zu sich nach Hause, um sie wie eine Tochter großzuziehen.

Dass es sich bei Tiana, wie das Mädchen später genannt werden soll, nicht um einen gewöhnlichen Menschen handelt, wird von Anfang an klar, denn zunächst wird eine Szene beschrieben, in welcher sie einen nicht näher beschriebenen Mann anguckt und er allein dadurch grauenhafte Szenen vor seinem Auge sieht, die wohl das Leid der Welt repräsentieren sollen. Er erleidet einen kurzzeitigen Zusammenbruch und nimmt die Kleine, von der er anscheinend weiß, dass sie genau sechs Jahre alt ist (die Zahl wurde im Buch übrigens nicht ausgeschrieben), an der Hand und geht mit ihr fort.

Ein prinzipiell solider Einstieg, um zu zeigen, was die Fähigkeit oder eher die Funktion des titelgebenden Mädchens ist, obwohl ich ihr Konzept an sich kritisieren muss, aber dazu später.

In den folgenden fünfzehn Kapiteln lernen wir erst einmal unseren Protagonisten kennen. Wir erfahren, dass er einen fünfjährigen Sohn hat und eine Frau, die er über alles liebt, welche aber zunächst nicht weiter beschrieben wird. Die Familie löst sich immer weiter von der Welt, sie arbeiten immer weniger, angeblich, um sich dem Kapitalismus zu entziehen, aber es kommt mir eher so vor, als seien sie einfach faul und den Sozialstaat ausnutzend. Das Szenario ist so unrealistisch geschildert, dass ich es einfach nicht ernst nehmen kann. Es gibt genug wirkliche Aussteiger, an denen man sich ein Vorbild nehmen kann und die nicht zwingend pathetisch daherschwafeln, dass ihnen die Liebe ihres Umfeldes zum Leben reicht. Hier besteht also definitiv Nachholbedarf in der Umsetzung, der aber aufgrund des herrschenden Minimalismus' nicht allzu umfassend sein sollte.

Der endgültige Bruch mit dem alltäglichen Leben folgt anscheinend mit dem Eintreffen von Tiana in der Familie, dem zunächst einzigen Charakter mit einem Namen. Es folgen Reisen in die Welt, die diese laut dem Erzähler von ihrer besten und schlechtesten Seite zeigen und alles ist irgendwie angetrieben durch das die meiste Zeit über stumme Mädchen, das einfach nur da ist.

Die Familie trifft auf verschiedene Leute, sieht wie diese leben und auch diese bekommen den Einfluss des seltsamen Kindes zu spüren. Alles in allem scheint es mir eine Suche nach dem Glück in der schrecklichen Welt zu sein, die sich als schwieriger gestaltet als gedacht, was auch der Frau des Protagonisten auffällt, welche sich nach mehr sehnt. Er jedoch lebt weiterhin in den Tag hinein, angetrieben durch diese unsichtbare Kraft.

Viel mehr an Handlung ist nicht zu finden, obwohl es Ansätze dazu gibt. Das würde ich allerdings tunlichst unterlassen, denn gerade das Minimalistische macht den einzig bestehenden Reiz der Geschichte aus. Sie lebt davon, knapp du kurz geschildert zu sein, ohne viele Beschreibungen und ohne große Einblicke in das Innenleben des Ich-Erzählers. Sie wirkt bis jetzt eher wie das Tagebuch eines Mannes, der die Realität vollkommen aus dem Blick verloren hat, sich in einer Art Tunnel befindet und das ist ein Konzept, das mit der richtigen Umsetzung gut funktionieren kann. Durch immer mal wieder eingewobene Hinweise auf die wirkliche Bedeutung Tianas kann ein Leser so auf dem kurzen Stück an Plot seht gut unterhalten werden.

Allerdings habe ich den Eindruck, dass diese abgehackte Erzählweise gar nicht beabsichtigt war, denn ab etwa der Hälfte der Kapitel kriegen Sohn und Frau des Erzählers auf einmal Namen, was ich äußerst befremdlich fand. Die vorige Verallgemeinerung der Akteure hat mir gefallen. Zudem wurde plötzlich das Setting beschrieben und ich komme nicht umhin anzunehmen, das ab diesem Zeitpunkt versucht wurde, das Ganze zu einem Roman auszubauen, was aber nicht funktionieren kann.

Eine Geschichte mit so wenig zu erzählendem Inhalt und absichtlich stereotypen Figuren gibt einfach nicht mehr her und sollte sich auf Teufel komm raus ausgereizt werden. Vor allem nicht, da das Grundkonzept selbst, das dahintersteht oder zumindest die Prämisse, die ich dahinter wähne, eher simpel ist.

Ich sehe in »Das Mädchen« eine Gesellschaftskritik, die daran gescheitert ist, dass sie zu allgemein war und nicht im Geringsten kritisch genug. Krieg, Armut und der ganze andere Kram sind das Gegenteil von optimal und das wissen wir alle, weswegen man das nicht durch so eine Geschichte noch mehr aufrollen muss. Hier müsste ein konkreterer Ansatz her, mehr Biss, vielleicht noch einen Hauch subtiler, aber dennoch bitterböser Satire.

Ein anderer Interpretationsansatz wäre vielleicht noch, dass Tiana das Leid der Welt ist, quasi der Inhalt der Büchse der Pandora aber auch dann, wären meine Anmerkungen immer noch dieselben wie zuvor auch. Es fehlt einfach die Genauigkeit. Ich will sehen, dass sich jemand exakte Gedanken darüber gemacht und geplant hat. Bis jetzt ist es einfach witzlos.

Zeitlos, wie scheinbar von der Autorin gewollt, ist es dagegen nicht. Ich rätsle schon die ganze Zeit, wann es spielt und ich kann es einfach nirgendwo einordnen. Das ist aber nicht mit Zeitlosigkeit gleichzusetzen, sondern einfach nur frustrierend, weil es dem Ganzen seine Glaubwürdigkeit nimmt.

Wo die Umsetzung der Grundidee eher versagt, ist die Sprache allerdings angemessen. Kurze, präzise Sätze in Alltagssprache, die an Komplexität gewinnen, wenn etwas wichtiger ist und unterstrichen werden muss. Sprachliche Mittel wurden manchmal etwas zu viel beziehungsweise ungünstig verwendet, wie zum Beispiel die ein oder andere gezielte Wortwiederholung. An sich wird ein eher surrealer Ton angeschlagen, was zur Geschichte passt, egal, ob Absicht oder nicht.

Allerdings gab es manchmal Formulierungsschwierigkeiten. Es ist unter anderem von einem Tempel die Rede, der von »Vogel Sekreten« bedeckt war. Erstens würde man das zusammenschreiben und zweitens sind hier wohl eher Fäkalien gemeint. Ansonsten kam mir die Autorin recht sprachgewandt und experimentierfreudig vor, wodurch sich sicherlich noch einiges rausholen lässt.

Kleinere Rechtschreibfehler, wie Unsicherheiten bei wieder/wider habe ich mehr oder weniger überlesen. Nichts Gravierendes und mit jedem Rechtschreibprogramm schnell und einfach zu beheben.

»Das Mädchen« ist ein Werk, dem es eindeutig an Zielsetzung mangelt und das deswegen in der Umsetzung einige große Schwächen hat, die es momentan noch nichtssagend erscheinen lassen. Allerdings glaube ich, dass viel mehr daraus werden kann, wenn auf etwas Bestimmtes hingearbeitet, vielleicht der Unterhaltungsaspekt mehr außer Acht gelassen und akzeptiert wird, dass auch eine kurze Geschichte, in diesem Fall eine Novelle, ihre Berechtigung hat. 

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