» Die Mentoren «

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»Felicia, Schätzchen. Wir sind gleich da!«, flüsterte mir jemand sanft ins Ohr. Meine Augenlider zuckten kurz, ehe ich mich entschied sie ganz zu öffnen. Phoebe’s Gesicht war direkt vor meinem. Unnatürlich blass, wie immer. Ihre riesigen Augen musterten mich fröhlich und als sie sah, dass ich wach war, verzogen sich ihre knallrot geschminkten Lippen zu einem glücklichen Lächeln. Ich gähnte herzhaft und setzte mich schnell auf. »Wie lange habe ich Zeit?«, fragte ich verschlafen. Phoebe grinste: »Fünfzehn Minuten!« »Was?« Blitzschnell rollte ich mich aus meinem warmen Bett und sah mich gestresst um. »Was soll ich denn bloss anziehen? Ich habe keine Kleider mitgenommen. Nur Jeans und ein T-Shirt, aber mit dem kann ich kaum im Kapitol aufkreuzen, ohne ausgelacht zu werden!« Phoebe lachte und deutete auf eine grosse, hellblaue Kiste mit einem weissen Schleifenband drum herum, welches auf meinem Schminktisch stand: »Das hat mir Marciella mit gegeben, zieh dir das an.« Ich nickte eifrig, bevor Phoebe mein Zimmer verliess und die Tür hinter sich schloss. Neugierig zog ich an der weissen Schleife und beobachtete, wie diese sorgfältig aufging. Ich hob den hellblauen Deckel und starrte hinein. Das einzige, was ich erkennen konnte, war ein algengrüner Stoff. Sofort machte mein Herz einen Satz. Endlich mal ein Kleid, in meiner Lieblingsfarbe und keines in diesen langweiligen Blautönen, welche ich im Kapitol immer anziehen musste. Mein Blick richtete sich auf den Boden. Das Kapitol. Langsam spürte ich ein unangenehmes Gefühl in meinem Bauch. Ein kribbeln, aber keines, welches man hatte wenn man verliebt war. Keines, welches ich fühlte, als ich mit Flake in Berührung kam. Ich zog scharf die Luft ein und kniff die Augen bedrückt zusammen. Ich atmete gleichmässig tief durch meine Nase. Ich durfte nicht an ihn denken. Ich durfte an keine verstorbene Person denken, das würde mich bloss wieder zum weinen bringen. Ich durfte nicht weinen, nicht jetzt, wo ich bald im Kapitol ankommen würde. Ich schüttelte kurz den Kopf, ehe ich den algengrünen Stoff sanft packte und ihn aus der Kiste befreite.

Nachdem ich mich kurz geduscht, angezogen und ein wenig geschminkt hatte, fühlte ich mich schon etwas besser. Nun würde ich bestimmt nicht ausgelacht werden, sondern bestaunt. Das Kleid war hinreissend, das musste ich zugeben. Es hatte nur auf einer Seite einen breiten Träger, auf der anderen gab es keinen. Der Ausschnitt war nicht zu gross, sondern gerade perfekt. Das gesamte Kleid ging bis zu meinen Fussknöcheln, eine tolle Länge. Ausnahmsweise war es ein Kleid, welches keine Rüschchen besass, was mich wunderte. Marciella liebte Rüschchen und wollte mich meistens in einem Rüschenkleid sehen. Ein schönes Detail war das Band, welches meine schlanke Taille umgab und hinten zu einer Schleife geknotet wurde. Ich betrachtete mich ein letztes Mal im Spiegel, bevor ich in die ebenfalls algengrünen Ballerinas schlüpfte, welche sich in der Kiste befanden. Die Ballerinas hatten keinen Absatz, ich war sehr froh darüber. Denn ich wusste nicht, ob ich mich auf Hochhackigen Schuhen halten konnte, wenn ich im Kapitol war. Ich wollte hier eigentlich nicht zurück, es weckte zu viele Erinnerungen. Erinnerungen an meine Freunde, welche nun nicht mehr da waren. Ich seufzte kurz auf und verliess dann mein Zimmer etwas fluchtartig, als ich sah, dass wir bereits im Kapitol einrollten.

»Ich habe dir gesagt, dass du dich beeilen sollst, Felicia!«, schnauzte mich Phoebe an, während ich mir seelenruhig ein Löffel Milchreis in den Mund steckte. »Du willst mich wohl provozieren, was?« Leider konnte ich Phoebe nicht ernst nehmen, denn ihre hohe Stimme klang alles andere als bedrohlich. »Was gibt es denn zu grinsen? Iss lieber schneller!«, meinte sie hektisch und stützte ihre Arme in die Hüfte. Noch langsamer als vorhin, biss ich in einen Apfelschnitz: »Phoebe, könnest du bitte aufhören, mich so zu stressen?« »Nein, Madame. Das kann ich nicht! In fünf Minuten müssen sich nämlich alle Mentoren im Versammlungsraum treffen und dann beginnt auch schon bald die Parade!« Ich verdrehte die Augen, steckte mir einen letzten Löffel Milchreis in den Mund und erhob mich von meinem Stuhl. »Wir können ja schon los.« »Endlich!«, seufzte Phoebe und lächelte erleichtert. »Dann folg mir.«

Phoebe blieb vor einer riesigen Doppeltüre stehen. »Hier musst du rein«, erklärte sie und schenkte mir ein freundliches Lächeln. »Und du?«, fragte ich etwas unsicher. Ich wollte da nicht rein, schliesslich kannte ich ja keinen von den Mentoren, welche sich in dem Raum befanden. »Betreuer sind da verboten«, piepste sie entschuldigend. »Aber Thélmo ist ja auch drin, er wird sich schon um dich kümmern.« Mein Herz machte einen Satz, als sie Thélmos Namen sagte. Ich war froh, dass ich wenigstens jemanden kannte. »Bis dann, Liebling!«, säuselte Phoebe und stöckelte den Gang wieder zurück. »Und mach ja keine Dummheiten!« Ich atmete tief ein, bevor ich an die Türe klopfte und sie vorsichtig öffnete. Als ich den riesigen Raum betrat, starrten mich alle an. Es war mir leicht unangenehm. Ich sah mich schüchtern im Raum um. Viele Tische bildeten einen Halbkreis vor einem riesigen, wirklich riesigen, Fernseher. Man könnte fast meinen es sei eine Leinwand, wie im Kino. Auf dem Fernseher wurde ein Countdown eingeblendet, wann die Hungerspiele starten würden. An den Tischen sassen die fremden Frauen und Männer, es gab nur einen Tisch, an dem niemand sass: Distrikt 12. Da gab es auch noch keine Sieger. Auch Distrikt 4 war leer, das war also mein Platz. »Felicia«, stiess jemand freundlich hervor. Ich wusste sofort wer es war: »Thélmo.« Der blondhaarige erhob sich von seinem Stuhl und kam mit offenen Armen auf mich zu: »Hast du eine schöne Reise gehabt?« Bevor ich antworten konnte, drückte er mich schon fest an sich. Die anderen Mentorin sahen mich immer noch interessiert an und ich merkte, wie meine Wangen rot anliefen. Als Thélmo sich von mir löste, sah ich schnell zu Boden, so dass er mein Gesicht nicht sah. »Ähm, ja. Die Reise war… gut.« Thélmo lachte und zog mich am Arm mit sich. »Leute? Darf ich vorstellen: Felicia.« Nun lächelten mich die Mentoren freundlich an und begrüssten mich. »Also das ist Cloud«, sagte Thélmo und deutete auf den Mann aus Distrikt 1. Er begrüsste mich mit einem Lächeln. »Da sitze ich«, fuhr Thélmo weiter. »Und das ist Raise aus Distrikt 3.« Er deutete auf eine blonde, junge Frau mit einer Brille auf der Nase, welche mich nett anlächelte. Thélmo schob mich weiter zu meinem Platz: »Da sitzt du und neben dir sitzt Alice aus Distrikt 5.« Alice hatte kurze, schwarze Haare und schmale Augen. Sie sah etwas verängstigt aus, aber sonst ziemlich nett. Neben Alice sass Ivano aus Distrikt 6 und neben ihm Lenja aus Distrikt 7. Thélmo stellte mir alle Mentoren vor, was ist sehr nett von ihm fand und ich fühlte mich sofort etwas wohler.

Mit hochgezogenen Augenbrauen betrachtete ich die zwei Tribute. »Ihr seht scheusslich aus«, sagte ich schliesslich. Es war ehrlich gemeint. Anna und Elvion waren als Fische verkleidet. Als sehr, sehr hässliche Fische. »Danke aber auch«, schnaubte Anna gereizt und verdrehte die Augen. »Wenigstens ist sie ehrlich«, antwortete Elvion und sah Anna schulterzuckend an. »Klappe«, konterte diese genervt und hievte sich auf den Paradewagen. Dieser war dieses Jahr silbern angemalt und die Pferde, welche angespannt waren, waren Schimmel. Etwas verdattert sah ich Anna hinterher. Ich wusste nicht, was ihr Problem war. Immer war sie genervt und gab unfreundliche Antworten. »Nimm sie nicht so Ernst«, hörte ich Elvion hinter mir sagen. Wahrscheinlich hatte er meinen Blick bemerkt. »Sie war schon immer so.« »Ihr kennt euch also doch?«, fragte ich interessiert. Er sah betroffen zu Boden: »Ja, eigentlich ziemlich gut…« Gerade wollte ich weiter darauf herumhacken, doch da kamen Friedenswächter und gaben das Zeichen, das die Tribute nun sofort auf die Paradewagen müssen. Ich lächelte Elvion kurz an und scheuchte ihn auf den Paradenwagen. »Und nicht vergessen – Lächeln!«, rief ich ihnen zu. Elvion hob den Daumen hoch. »Ich meinte ja eher Anna«, meinte ich grinsend, doch Anna ging nicht darauf ein. Im nächsten Moment trabten die Pferde los.

Revenge ~ Der Tod kommt immer Näher [#2] ON HOLDWhere stories live. Discover now