» Ich, die Mentorin «

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 21. September, Tag der Ernte der 24. Hungerspiele

Der letzte Ton der Hymne des Kapitols verklang und Phoebe kicherte ins Mikrofon. »Ein wunderbarer Film, nicht wahr?« Ich verdrehte die Augen. Dieser Film war alles andere als wunderbar. Er war grausam und hässlich. Am liebsten hätte ich diese Wörter laut gesagt, so dass sie jeder hören konnte, doch ich biss mir auf die Unterlippe, um mich zurückzuhalten. Mit misstrauischem Blick, musterte ich Phoebe und ihre Kleidung. Ihre dunkelroten Haaren, fielen gelockt über ihre zierlichen Schultern und auf ihrem Kopf lag ein pink, weisser Hut. Passend zum Hut, trug sie ein pinkes Kleid, welches ihr bis unter die Knien reichte. Ihre Beine waren in rote Strumpfhosen gekleidet und ihre Füsse schmückten ein paar pinke High Heels mit einem Mostermässigen Absatz. Ihre Hände waren bis zum Ellbogen in weisse Handschuhe gepackt. Ihr Gesicht war bleich, wie immer, wenn nicht sogar ein wenig bleicher. Ihre prallen Lippen hatte sie feuerrot geschminkt und ihre Wimpern hatten einen leichten, pinken Schimmer. Mit einem seufzen bestimmte ich, dass ich um einiges besser aussah. Meine dunklen Haare waren zu einem Dutt hochgesteckt und mit zwei schwarzen Stäbchen befestigt. Natürlich trug ich das blaue Rüschchenkleid von Marciella und ein paar dunkelblaue Ballerinas mit einem leichten Absatz. Eigentlich wollte ich mich nicht schminken, doch ich wusste dass die Menschen aus dem Kapitol wieder motzen würden. Aber ich beliess es bei einem hellen Lipgloss und ein wenig Wimperntusche. Phoebe drehte ihren Kopf zu mir, als hätte sie gehört, was ich gedacht hätte. Jedoch schenkte sie mir ein schwaches Lächeln und formte mit dem Mund: »Jetzt geht es los!«

»Und auf den Wunsch von Felicia, welche die letzten Hungerspiele gewonnen hat, beginne ich ausnahmsweise mit den Jungs«, säuselte Phoebe und machte einen Schritt auf die Kugel mit den Jungsnamen. Mein Blick wanderte durch die Menschenmenge, welche vor der Bühne stand und Phoebe ängstlich oder gleichgültig musterten. Phoebe sah noch einmal zu mir, ehe sie entschlossen zur Kugel stolzierte. Es war tatsächlich mein Wunsch, dass als erstes ein Junge gezogen wurde. Ich mochte es nicht, wenn es immer »Ladies First« hiess. Phoebe liess ihre Hand langsam in die Glaskugel gleiten und wühlte die weissen Zettel noch einmal durch, bevor sie einfach nach einem griff. Sie hob den Zettel in die Höhe, als wäre es ein wertvoller Preis und drehte in der Hand herum. Ihre feuerroten Lippen verzogen sich zu einem Lächeln und sie stöckelte zum Mikrofon zurück. »Also«, kicherte sie aufgeregt und faltete den Zettel vorsichtig auf, welches mit ihren vornehmen Handschuhen fast nicht gelang. Nach langem hantieren öffnete sich den Zettel und sie starrte aufgeregt darauf. Sie räusperte sich, schenkte den Kindern in der ersten Reihe ein Lächeln und holte tief Luft. »Unser männliche Tribut dieses Jahr ist«, sie sah wieder auf den Zettel. »Jesse Ford!«

Ein Junge, etwa dreizehn Jahre jung, trat vorsichtig die Treppen hinauf. Er hatte kurze, schwarze Haare und ein ängstlichen Ausdruck auf dem Gesicht. »Na, komm schon Jesse!«, sagte Phoebe sanft und streckte die Hand nach ihm raus. Er schreckte etwas zurück, streckte aber dann doch auch die Hand aus, um Phoebes zu ergreifen. Doch bevor sich ihre Hände berührten, hallte eine laute, feste Stimme über den Platz und liess die beiden hochschrecken. »Ich melde mich freiwillig als Tribut!« Sofort suchten meine Augen nach der Person, zu der diese feste Stimme gehörte. Da joggte schon ein grosser, muskulöser junge Mann, etwa achtzehn Jahre alt, die Treppenstufen hinauf. Er packte Jesse an der Schulter und schob ihn leicht zurück. Erst als er Phoebes Gesichtsausdruck sah, wiederholte er die Worte: »Ich melde mich freiwillig als Tribut!« »Achso!«, entfuhr es ihr, ehe sie lächelte. »Natürlich! Jesse, du kannst dann gehen!« Sie schenkte Jesse ein Lächeln. Jesse starrte den unbekannten Jungen traurig an, bevor er von der Bühne stürmte. Mit zusammen gekniffenen Augen musterte ich den noch unbekannten Jungen. »Wie heisst du?«, fragte Phoebe und sah zu dem Jungen herauf. Er war bestimmt einen Kopf grösser als Phoebe, auch wenn sie hohe Schuhe trug. »Elvion Hanress«, antwortete er knapp. Phoebe nickte etwas ehrfürchtig, sah dann aber wieder schnell zum Publikum. »Gut, dann geht es weiter mit dem Mädchen!«

»Katarina Lewis!«, verkündete Phoebe laut und liess den Zettel wieder sinken. Ich atmete erleichtert auf. Dies war kein Name, den ich kannte. Doch als ich das junge Mädchen mit den roten Zöpfen sah, zog sich meine Brust automatisch zusammen. Sie war bestimmt erst zwölf Jahre alt! Tränen rollten ihren zarten, blassen Wangen hinab und sie presste ihre Lippen zu einer schmalen Linie zusammen. Sie trug ein langes, rotes Kleid, welches perfekt mit ihren roten Haaren harmonierte. Sie sah wunderschön aus, aber auch so zerbrechlich und ängstlich. Ich spannte meinen Unterkiefer an. Das Mädchen würde die Hungerspiele auf keinen Fall gewinnen. Elvion hatte dagegen noch ziemlich grosse Chancen mit seinem Körperbau und mit seinem Aussehen, dies würde bestimmt einige Sponsoren bringen. »Ich melde mich freiwillig!« Ich horchte auf. Noch jemand der sich freiwillig meldete? Katarina sah sich schnell um, ehe sie sich einige Schritte von Phoebe entfernte. Ihr Gesicht zeigte, wie erleichtert sie war. Ein Mädchen, ebenfalls etwa achtzehn, stürmte auf die Bühne. »Danke!«, hörte ich Katarina kleinlaut sagen. Doch das andere Mädchen ignorierte sie einfach und stolzierte ohne Worte an ihr vorbei. Phoebe schickte Katarina weg und wand sich an das Mädchen. Es hatte hüftlange, blonde Haare und sie war gross und athletisch. Sie war ebenfalls grösser als Phoebe. »Wie lautet dein Name?«, fragte Phoebe interessiert. »Anna Paike«, erwiderte das Mädchen mit einem gelangweilten Ton. Phoebe nickte seufzend und trat einige Schritte zurück. »Unsere Tribute dieses Jahr! Elvion Hanress und Anna Paike!« ­Sie machte ein Zeichen, das sich die beiden die Hand schütteln sollen. Dies taten sie auch und ich beobachtete, wie Anna Elvion etwas zuraunte. Ich verstand diese Worte so klar und deutlich, als hätte ich das Gehör einer Fledermaus. »Ich mach dich fertig, Hanress!« Elvion sah einen Moment überrascht aus, grinste sie dann aber herausfordernd an: »Das werden wir noch sehen, Paike.« Ihre Hände lösten sich aus dem Händedruck und Phoebe gab mir das Zeichen zum aufstehen, ehe die zwei Tribute von Friedenswächter ins Gebäude gebracht wurden.

Revenge ~ Der Tod kommt immer Näher [#2] ON HOLDWo Geschichten leben. Entdecke jetzt