» Ankunft in Distrikt 12 «

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»Du siehst umwerfend aus, glaube mir.« Marciella schenkte mir ein nettes Lächeln und schob mich sanft Richtung Türe. »Das ist nicht das Problem«, zischte ich leise und versuchte mich von ihr zu lösen. »Wie soll ich auf die Familien der Gefallenen reagieren? Die hassen mich bestimmt.« Marciella schnalzte mit der Zunge und schüttelte den Kopf: »Du hast die zwei doch nicht umgebracht, richtig«" Ich senkte meinen Kopf und schüttelte den Kopf. Den männlichen Tribute hatte Crystal umgebracht, aber wer das Mädchen umgebracht hatte, wusste ich nicht. »Na also«, stöhnte Marciella entnervt. »Dann ist alles super. Nun sollten wir uns aber beeilen, Distrikt 12 wartet schon.« Sie umgriff mit ihren langen, karamellfarbenden Fingern den Messingknauf und drehte ihn mit einem schnellen Ruck auf. Die Türe des Zuges ging mit einem hörbaren zischen auf und Marciella drückte mich nach vorne. Meine Augen wanderten über die Menschenmenge. Viele magere Kinder standen in der vordersten Reihe und klatschten laut. Hinter ihnen waren die grösseren, alle ebenso mager und arm gekleidet. Ich musste mir ein aufkreischen verkneifen. Meine Geschichtslehrerin in Distrikt 4 hatte also immer Recht, die Menschen hier in Distrikt 12 waren alle arm und mager. Ich hasste mich innerlich dafür, das ich sie immer runtergemacht hatte und sie ausgelacht hatte, als sie sagte das wir einer der reichsten Distrikten wären. Die kleinen Kinder warfen mir Blumen zu und kreischten laut meinen Namen: »Felicia, Felicia!« Benommen hob ich die Hand und winkte, bevor mich Marciella aus dem Zug stiess, so das ich fast auf den Betonboden gefallen wäre. »Hallo, Miss Miller. Ich bin Cole Powston, der Präsident von Distrikt 12.« Ein Mann, etwa vierzig, machte einen Schritt auf mich zu und musterte mich durch seine Brillengläser nett. »Guten Tag, Mister Powsten. Es ist mir eine Ehre hier zu sein«, nuschelte ich kaum hörbar. Cole lachte auf und richtete seine Brille: »Sie müssen nicht nervös sein. Folgen sie mir bitte ins Justizgebäude.« Ohne ein weiteres Wort fuhr er herum und lief mit erhobenem Kopf durch die Menge. Zögernd blickte ich ihm nach und folgte ihm erst, als Marciella mich sanft anstubste.

Nervös knetete ich meine Finger und lief hin und her. »Nervös?« Schnell fuhr ich herum und erblickte die strahlend grünen Augen von Thélmo. Nun wusste ich, wieso sich Flake und Thélmo doch unterschieden - die Augenfarbe. Flake hatte diese wunderschönen eisblauen Augen, wo man fast schmelzen konnte. Dagegen hatte Thélmo diese strahlend grünen Augen, welche ihm einen gefährlichen und frechen Touch verleiten, übrigens sah das echt sexy aus. Thélmos Lippen verzogen sich zu einem breiten Grinsen: »Danke.« Verwirrt zog ich die Augenbrauen zusammen: »Was?« »Ich finde mich übrigens auch ganz schön sexy.« Mein Unterkiefer klappte nach unten und ich machte schnell einen Schritt zurück. »Habe ich das gerade laut gesagt?« Thélmo hob die Schultern und lachte: »Vielleicht.« Ich verschränkte die Arme vor der Brust und kniff die Augen zusammen. Er hob unschuldig die Hände. »Werde ich jetzt für meine Schönheit bestraft?« Ich presste meine Lippen auf einander und blickte zur Holztüre des Justizgebäude. »Was soll ich über Justus und Pauline sagen? Ich kannte sie ja kaum.« »Sag einfach irgendwas«, schnaubte Thélmo. »Das ist das einfachste.« Ich blickte Thélmo gereizt an: »Stimmt. Über meinen Bruder hast du ja auch nichts gesagt, das fällt mir gerade so ein.« »Können wir das Thema nicht einfach vergessen?« »Was?«, fragte ich empört. »Hier geht es um meinen Bruder! BRUDER, verstehst du das? Er war ein Familienmitglied - der wichtigste Mensch in meinem Leben!« Ich zog scharf die Luft ein und murmelte: »Und du hast ihn aus meinem Leben gerissen.« Thélmo schüttelte den Kopf: »Mein Bruder ist auch tot.« Ich knirschte mit den Zähnen. Gerade wollte ich was erwidern, doch da war Thélmo auch schon verschwunden. Dankeschön!

»Und hiermit begrüssen wir die Gewinnerin der 23. Hungerspiele - Felicia Miller aus Distrikt 4!« Die schweren Holztüren des Justizgebäudes wurden von Friedenswächter geöffnet und ich hob mein Kinn an. Der Marktplatz, worauf sich die Bühne befand, war voll mit Menschen. Ich ballte meine Hände zu Fäusten und trat auf die Holzbühne. Hinter den Menschenmenge befanden sich zwei Tribünen, dahinter Bilder von den jeweiligen Tribute aufgemacht. Auf der linken Seite befand sich das Bild von einem blonden Jungen - Justus. Davor stand ein älteres Ehepaar und ein kleines Mädchen - etwa sechs Jahre alt - mit ebenso blonden Haaren wie Justus. Auf der anderen Seite war das Bild von Pauline, einem zierlichen, braunhaarigen Mädchen. Zu meiner Überraschung stand auf der Tribüne nur ein etwa sechzehn Jähriges Mädchen und ein etwa vier Jähriges. Beide ebenfalls braune Haare. Beide musterten mich eindringlich. Ich öffnete meinen Mund, um etwas zu sagen, doch da fiel ich in eine Art Trance.

»Hier ist der Gewinner der 22. Hungerspiele - Thélmo Daroon!« Es wurde applaudiert und gejubelt, währenddessen ich mit zusammen gekniffenen Augen auf die Bühne starrte. Die grossen Holztüren des Justizgebäudes wurden von zwei Friedenswächter geöffnet und da trat er hinaus. Der Mörder meines Bruder. Seine blonden Haaren waren zwar nicht mehr so lang, wie in der Arena, doch er sah noch sonst genau gleich aus. Natürlich ohne Dreck und Abschürfungen im Gesicht. Sein arroganter Blick ging durch die Menge und hielt direkt bei mir an. Ich zog scharf die Luft an und musste mich zusammen reissen, das ich ihn nicht anschrie. Ich drückte die Hand meiner kleinen Schwester Delphia etwas fester, als Thélmo den Mund öffnete, um etwas zu sagen. »Hallo Distrikt 4, es freut mich sehr, das ich heute hier sein darf. Auch wenn leider zwei von euren Menschen von uns gehen mussten. Sie waren sehr mutig und sie hätten nicht in diesem jungen Alter von uns gehen müssen.« Mein Kiefer spannte sich an. Schliesslich hatte er meinen Bruder getötet! ER GANZ PERSÖNLICH! Sein Blick schweifte wieder zu mir und etwas spiegelte sich in seinen Augen wieder, doch ich senkte meinen Blick. »Ich danke euch sehr. Panem heute, Panem morgen, Panem für immer!« Wer hatte sich diesen behämmerten Spruch bloss ausgedacht? Man hörte, wie der Markplatz verlassen wurde. Er hatte Finnley nicht mal bei seinem Namen genannt. Ich ballte meine Hände zu Fäusten. Das würde er büssen.

Erst als verwirrtes Gemurmel durch die Menge ging, kam ich wieder zu mir. Ich merkte wie meine Augen brannten und wie sich einige Tränen durch meine Augen kämpften und über meine Wangen liefen. Ich räusperte mich. »Hallo Distrikt 12, ich werde jetzt ehrlich sein und euch sagen, das ich nicht froh bin, das ich hier bin, so wie es alle anderen Sieger vor mir getan hatten«, begann ich. »Hier zu stehen bedeutet für mich nur, das zwei unschuldige Kinder von uns gehen mussten! Ohne Grund. Denn wir Kinder konnten nichts gegen die Rebellion tun, warum wurden dann wir gestraft? Aber das ist egal. Das wichtigste ist, das nun zwei Kinder tot sind. Und dank dem lebe ich noch, doch ich glaube nicht, das ich froh darüber bin. Ich weiss, wie es ist wenn jemand stirbt denn man über alles liebt.« Ich schnappte nach Luft. »Finnley, mein Bruder und Flake«, murmelte ich. »Ein sehr enger Freund von mir. Ich habe beide sehr geliebt und nun wurden sie mir aus dem Leben gerissen, ohne das ich was tun konnte. Und es tut mir unendlich Leid, das euch Familien auch jemand entrissen wurde, der euch total wichtig war.« Ich machte einen Schritt nach vorne und umklammerte das Mikrofon: »Danke, und es tut mir leid.. Wirklich.« Einen Moment wurde es still, doch dann begannen die Leute zu klatschen und zu jubeln. Sie wollten gar nicht mit dem klatschen und jubeln aufhören. Vorsichtig machte ich einen Schritt zurück, ehe ich mich richtig umdrehte und von der Bühne stürmte.

Ich klammerte mich am Treppengeländer fest und schluchzte laut auf. Das war mir einfach zu viel. »Felicia, alles in Ordnung?«, Kellie berührte mich kurz am Arm. »Ja, alles gut«, meinte ich mit zittriger Stimme ehe ich mir die Tränen aus dem Gesicht wischte. »Können wir bitte noch heute abfahren?« Kellie sah mich verwirrt an: »Aber eigentlich sollte es noch eine Party geben.« Ich stiess mich von dem Treppengeländer ab. »Ich habe ehrlich gesagt keine Lust auf eine Party.« »Natürlich, ich werde es Mister Powston mitteilen.« Kellie wand sich von mir ab, ehe sie sich doch nochmal zu mir drehte: »Marciella und Phoebe gehen mit dir in den Zug.« Ich nickte leicht.

»Bist du sicher, das du nichts mehr essen willst?«, Phoebe schob mir einen Teller mit Suppe hin. »Nein, ich gehe lieber schlafen«, murrte ich und schob das Teller zurück, ehe ich mich vom Tisch erhob. »Na dann, schlaf gut«, erwiderte Kellie. »Danke«, mit schnellen Schritten verliess ich den Abteil. Ich lief so schnell ich konnte, zu meinem Zimmer, ehe jemand auf die Idee kam, mir zu folgen. Doch als ich bei meinem Zimmer ankam, stand schon Thélmo davor und musterte mich interessiert: »Schon müde?« »Verschwinde«, fuhr ich ihn grob an und zwängte mich neben ihm vorbei in mein Zimmer. »Felicia, ich..« »NEIN! Verschwinde!«, mit einem lauten Knall schlug ich ihm die Türe vor der Nase zu. Noch im schwarzen Spitzenkleid warf ich mich ins Bett und schon bald war ich eingeschlafen.

»Du hast mich umgebracht, ich dachte echt, wir wären Freunde.« Schnell sah ich mich um, doch ich war in komplette Dunkelheit eingehüllt. »Wer ist da?« »Ach, Felicia. Crystal, hast du mich etwa schon vergessen? Eine echte Enttäuschung.« Und mit einem Mal stand Crystal vor mir und sie hatte ihre Arme vor der Brust verschränkt. »Was? Träume ich?«, meinte ich leise. »Was denkst du denn?«, Crystal verdrehte die Augen. »Ich träume nur, ich werde gleich aufwachen.«  Crystal machte eine schnelle Handbewegung und plötzlich hatte sie einen Bogen in der Hand. »Weisst du, als ich starb tat das gar nicht so weh«, knurrte sie und spannte einen Pfeil in die Sehen. »Aber ich will das du leidest.« Und im nächsten Moment spürte ich einen stechenden Schmerz in meiner linken Hand und dann gleich noch in meiner rechten Schulter. Ich schrie auf und krümmte mich. »Tuts weh? Gut so.« Crystal schoss einen weiteres Pfeil in mein rechtes Bein und ich verlor den Halt und kippte um.

Revenge ~ Der Tod kommt immer Näher [#2] ON HOLDWhere stories live. Discover now