» Ein Jahr älter «

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Einige Monate später

16. September, noch fünf Tage bis zur Ernte der 24. Hungerspiele.

»Alles Gute zum Geburtstag, Felicia!« Vorsichtig öffnete ich meine Augen und erblickte sogleich Delphia vor mir. Ihre engelsblonden Haare hatte sie zu einem Zopf geflochten und sie trug ein knielanges, azurblaues Kleid. Meine Mundwinkel zuckten leicht nach oben und ich richtete mich langsam in meinem bequemen Bett auf. »Alles Gute dir, Delphi!«, erwiderte ich sanft, ehe meine kleine Schwester zu mir aufs Bett hüpfte. Na ja, eigentlich war sie doch gar nicht mehr so klein. Um genau zu sein, war sie nun vierzehn Jahre alt. Wie schnell sie doch älter wurde. »Du klingst ja wie eine Oma«, kicherte sie und stupste mir leicht in die Seite. »Oh, habe ich das gerade Laut gesagt?«, ich zog eine braue in die Höhe und legte meinen Arm um den zierlichen Körper meiner Schwester. Ihre blaugrauen Augen musterten mich und sie grinste mich an: »Ja, langsam wirst du zur kompletten Spinnerin.« Ich lachte los und schubste sie sanft von meinem Bett herunter, so das ich ebenfalls aufstehen konnte. Ich scheuchte sie aus dem Zimmer, so dass ich mich bereit machen konnte. Ja, es war tatsächlich so, das Delphia und ich am selben Tag Geburtstag hatten. Am 16. September, fünf Tage vor der Ernte. Ich hob die Schultern und lehnte mich gegen meinen Kleiderschrank. Noch fünf Tage, ehe ich wieder ins Kapitol reisen musste. Noch fünf Tage, bis ich das erste Mal Mentorin war. Ich strich mir eine dunkle Locke aus dem Gesicht und öffnete den Kleiderschrank. Ich entschied mich schlussendlich für ein ebenfalls azurblaues Kleid, welches mir bis unter die Knie reichte. Ich verschwand im Badezimmer, wo ich mich zu erst duschte und dann meine Haare perfekt durchkämmte. Nun fielen sie mir leicht über die Schultern und ich betrachtete mich im Spiegel. Meine Haare waren seit dem letzten Jahr länger geworden. Meine Augen strahlten etwas heller als sonst. Aber eigentlich hatte sich nichts verändert. Ausser das ich nun siebzehn Jahre alt war und die Siegerin der Hungerspiele war. Ich zog mir mein azurblaues Kleid an und liess ausnahmsweise meine Haare offen. Da ich nicht im Kapitol oder sonst wo war, schminkte ich mich nicht. Auch wenn mir Marciella, nach dem Besuch in Distrikt 1, einen ganzen Koffer mit Schminke geschenkt hatte. Distrikt 1. Ich nahm tief Luft. Der Auftritt war schrecklich. Auch wenn ich mir vorgenommen hatte, nicht loszuheulen, weinte ich wie ein Wasserfall. Langsam wurde mir das peinlich. Alle Sieger waren so glücklich, dass sie noch lebten und ich heulte wie eine Bekloppte. Ich schüttelte kurz den Kopf. Ich musste jetzt nicht daran denken, schliesslich hatte ich heute Geburtstag und das sollte ich geniessen.

»Oh, Gott!«, stiess ich überrascht hervor, als ich den Kuchen auf dem Tisch erblickte. »Der ist ja riesig!« Ich blickte lächelnd zu meiner Schwester, welche aus dem staunen kaum heraus kam. »Wer hat den gebacken?«, fragte sie schnell, während sie alle Anwesenden musterten. »Dyleen«, meinte Kellie grinsend. »Dyleen? Der hasst uns doch, der Kuchen ist bestimmt vergiftet«, instinktiv machte ich einen Schritt zurück. »Nein, ist er nicht.« Ich fuhr herum und blickte direkt in die grauen Augen von dem Mann, welcher vor mir stand. »Dyleen!«, sagte erschrocken. Verwirrtheit schwang in meiner Stimme mit. »Ich hoffe, es ist nicht schlimm, dass ich ihn auch eingeladen habe«, sagte Mom nervös, welche nun neben mir stand. »Aber ich dachte, das wäre doch eine tolle Gelegenheit, euch mal besser kennen zu lernen.« »Aha«, schnaubte ich und reichte Dyleen zögerlich die Hand. »Felicia Miller, Gewinnerin der letzten Hungerspiele. Ich glaube mehr gibt es da nicht zu wissen.« Dyleen lachte heiser. »Dyleen Parker, Gewinner der dritten Hungerspiele«, er schüttelte kurz meine Hand. Ich schenkte ihm ein misstrauisches Lächeln, ehe ich mich wieder an meine Gäste wand. Alle bestehenden Sieger waren eingeladen. Mags, Kellie, Eric und eben Dyleen. Dazu hatte Delphia noch ihre zwei beste Freundinnen Tamara und Louise eingeladen. Auch unser Hausmädchen Joelina war eingeladen. Natürlich hatte ich auch Phoebe, Marciella, Jodo und Ellza eingeladen, doch im Kapitol lief alles auf Hochtouren, da ja bald wieder die Hungerspiele anfingen. Auch eine Einladung an Thélmo hatte ich geschickt, aber ich wusste nicht, ob er erscheinen würde. Schliesslich hatte ich ihn seit meinem Auftritt in Distrikt zwei nicht mehr gesehen. Kellie sagte mir, das er dort geblieben wäre. „Also, alle mal her hören!“, rief Mom laut. „Wir beginnen jetzt mit den Geschenken!“ Sofort verstummten alle und sahen mich und Delphi erwartungsvoll an.

»Oh, Kellie! Das ist wunderschön«, lächelnd betrachtete ich das silberne Armband an meinem Handgelenk. Ein kleinen Kleeblatt Anhänger baumelte daran und schimmerte im Licht. Kellie schenkte mir ein nettes Lächeln, ehe sie wieder an ihrem Glas nippte. Ich blickte auf den Tisch vor mir. Ich bekam wundervolle Geschenke. Von Mags, welche bei ihren Hungerspielen die Angel hacken als Waffe hatte, schenkte mir eine Kette, an dem ein Angelhacken befestigt war. Eric schenkte mir einen riesigen Vorrat an Schokolade.  Ich war ihnen unendlich dankbar, es war so süss von ihnen. Schliesslich mussten sie mir nichts schenken. »Feli, Liebling. Hier, das hat der Postbote gerade gebracht«, meine Mutter stellte mir eine Kiste auf den Tisch. Es war mit pinkem Papier eingepackt. »Oh«, stiess ich verblüfft heraus. »Von wem das wohl ist?« Vorsichtig riss ich das Papier weg und sofort erblickte ich ein dunkelblaues Kleid. Ich zog es in die Höhe, so dass man es besser erkennen konnte. Das Kleid ging mir wahrscheinlich bis unter die Knie und es hatte unendlich viele Rüschen. An der Taille befand sich eine schwarze Schleife. »Wow!«, sagte ich begeistert und griff nach der Karte, welche neben dem Kleid lag.

Hallo herzallerliebste Felicia,

Es tut mir so leid, dass ich heute nicht bei dir sein kann.

Hoffentlich gefällt dir mein Geburtstags Geschenk.

Ich denke, du hast seit letztes Mal nicht zugenommen?

Küsschen,

Marciella.

Ich kicherte und verdrehte die Augen. Wie süss von ihr. »Wunderschön«, sagte meine Mutter sanft und strich über den dunkelblauen Stoff. »Die Farbe passt perfekt zu dir.« Sie schenkte mir ein liebevolles Lächeln. »Ich danke euch allen für eure wundervollen Geschenke, sie sind umwerfend!«, ich erhob mich und blickte zu den Gästen. Alle klatschten oder winkten ab. »Hey, du hast meines vergessen.« Ich fuhr verwirrt herum. Die Stimme kam mir nur allzu bekannt vor. »Thélmo?« Der blondhaarige trat aus der Menge und hielt mir eine lange, schwarze Schachtel entgegen. »Überrascht? Schliesslich hast du mich eingeladen«, er lachte. »Ich hätte nicht gerechnet, dass du wirklich kommst!«, murmelte ich und fiel ihm um den Hals. Das war gar nicht so einfach, da er um einiges grösser als ich war. Als ich mich von ihm löste, nahm ich zögerlich die Schachtel. »Du müsstest mir echt nichts schenken«, sagte ich ruhig und öffnete die Schachtel. »Ach, was!«, rief er. »Du hast schliesslich nur einmal im Jahr Geburtstag.« »Oh, Toll!«, stiess ich lächelnd hervor und zog das Geschenk aus der Schachtel. Es blitzte gefährlich im Licht auf. Ein Wurfmesser!

Revenge ~ Der Tod kommt immer Näher [#2] ON HOLDWhere stories live. Discover now