Schwarz & Weiß

Beginne am Anfang
                                    

Das wäre eigentlich eine gute Prämisse, um einen Roman aufzuziehen, allerdings ist das eine Thematik, die mit äußerst viel Feingefühl und vor allem Hintergrundwissen behandelt werden muss. Ich studiere den Kram und nehme trotzdem gezielt Abstand davon, da ich weiß, wie viel da schiefgehen kann, von absolut fehlendem Realitätsbezug bis hin zu vielen unfreiwillig komischen Momenten, wie ich sie hier vorfinden konnte.

Das ist aber nicht allein dem Inhalt geschuldet, sondern auch der sehr eigenwillig eingesetzten Sprache, die durchsetzt ist von absolut unmöglichen Formulierungen wie den zig Malen, wo Tränen ganze Kleidungsstücke triefend nass werden lassen und den Vielzahlen an missglückten Metaphern, wie die Tränen, die ab irgendeinem Moment völlig willkürlich als Perlen bezeichnet werden.

Rhetorische Mittel zu verwenden heißt nicht, dass man alles machen darf und vor allem muss man über ihre Bedeutung nachdenken. Man kann nicht einfach einen Begriff durch eine schwammige Pseudo-Metapher substituieren, die gar keinen Bezug zur Materie hat und sich nur vermeintlich schön anhört. Das ist keine sprachliche Raffinesse, sondern das Treten der selbigen mit Füßen.

Desweiteren missfällt es mir, dass Annika bei ihren späteren scheinphilosophischen Anwandlungen hochgestochene Wörter nutzt. Das beißt sich mit der ansonsten einfachen, wenn nicht sogar provokant kindlichen Sprache, zu der eine Überbenutzung des Wortes »doll«.

Außerdem besteht der Text fast ausschließlich aus Adjektiven und Adverbien. Ich konnte früher nie verstehen, wieso manche Menschen so sehr darauf pochen, diese sparsam einzusetzen, doch »Schwarz & Weiß«, dessen Tu-Wörter fast ausschließlich Hilfsverben sind, hat mir das bewiesen. Vor allem, da auch bei den beschreibenden Wörtern Redundanz herrschte und sie sich alle paar Absätze in beinahe derselben Reihenfolge wiederholten (kalt, warm, traurig etc., inkl. doll natürlich).

Und wo ich gerade schon bei der Sprache bin, man schreibt Nomen groß, Kommata darf man nicht wild in den Text setzen und der Gebrauch des Dativs ist nicht verboten, nur, wenn er den Genitiv ersetzen soll. Zudem treten Punkte nicht in Rudeln auf, sondern entweder allein oder manchmal auch zu dritt und ganz gewiss nicht am Ende der wörtlichen Rede, wenn danach noch ein Begleitsatz folgt. Die Verwendung von Absätzen beim Beenden eines Sinnabschnitts ist ebenfalls etwas, das ich mir wünschen würde, wenn es sich hierbei auch um eine Formalität handelt.

Und wie schlage ich jetzt den Bogen von Sprache zu den Charakteren? Ich tu's einfach. Denn neben dem Geschwafel in den Gedanken der Protagonistin ist die menschliche Interaktion der zweite Schwerpunkt des Buchs.

Wie in so vielen Geschichten, die man auf Wattpad findet, wurde bei den Charakterprofilen ordentlich geschludert, denn eine Persönlichkeit weist keine der Figuren auf, die Relevanz für den existierenden Hauch an Handlung haben. Se definieren sich einzig und allein durch ihre dramatische Hintergrundgeschichte und da das ja noch nicht genügt, auch noch durch ihre Krankheiten.

Für Annika habe ich das ja schon zur Genüge durchgekaut. Sie ist einsam, ein Mobbingopfer gewesen, wovon man als Leser nichts weiter mitgeteilt bekommen hat, keine Gefühle, kein gar nicht und hat eine latente sexuelle Anziehung zu ihren beiden Mitbewohnerinnen. Dann sind da natürlich noch ihre »Farbenblindheit« und ihre Selbstzweifel. Und obwohl man durch die Ich-Perspektive in ihrem Kopf steckt, bekommt man von Gedanken und Eindrücken so gut wie gar nichts mit, es sei denn, es geht mal wieder darum, die Farblosigkeit zu schildern oder, dass die Hand einer ihrer Freundinnen auf ihrem Bauch »klebt« oder ihr übers Haar gestreichelt wird (diese Affinität zu Bauch und Haaren ist mir äußerst suspekt).

Die beiden Anhängsel heißen wie schon erwähnt Kaede und Lara. Kaede wurde glaube ich missbraucht, soweit ich mich erinnere und Lara hat, ebenfalls bei einem Autounfall, ein Bein verloren. Sie erinnern mich alles in allem an zwei weitere Versionen von Annika.

Und kein Waisenhaus ohne Oberzicke, die da heißt Riku (spielt das Ganze jetzt in Japan oder Deutschland?) und sich ritzt, weil sie traurig ist, dass ihre Mutter tot ist. Tiefer wird ihr Charakter auch nicht beleuchtet. Während sie am Anfang noch kurzweilig als Antagonistin auftritt, wird sie durch das versehentliche preisgeben ihrer Verletzlichkeit Teil der Gruppe und man darf sich wohl am Ende des Buches auf Gruppensex anstatt eines Dreiers freuen oder so ähnlich.

Die gesamten vierzehn Kapitel über konnte ich nicht im Geringsten erkennen, was die Autorin mir mit ihrem Werk sagen will. Die beste Interpretation wäre noch, dass alles, was geschieht nicht real ist und Annika sich die anderen Figuren einfach nur herbeifantasiert, während sie so versucht, irgendwie mit den Geschehnissen fertig zu werden, die ihr widerfahren sind.

Allerdings wäre dann der titelgebende Aspekt ihrer Farbenfehlsichtigkeit völlig sinnlos, da er absolut irrelevant für ihre Charakterentwicklung wäre. Außerdem wäre der unsensible Umgang mit psychischen Krankheiten dann ein noch größeres Problem.

Alles in allem ist »Schwarz & Weiß« ein Buch, welches ich gar nicht als solches bezeichnen müsste, angefüllt mit Stilblüten und inhaltlich vollkommener Leere, die mit aufgebauschten Worthülsen zu kompensieren versucht wird, was allerdings nicht mal ansatzweise funktioniert und mich als Rezensentin in absoluter Verzweiflung zurückließ, die noch nicht ganz abgeklungen ist.

Buchbewertungen - Die Wahrheit, die ganze Wahrheit und nichts als die WahrheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt