Kapitel 27

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Unsicher stand ich am späten Nachmittag vor meinem Spiegel. Kurzes oder langes Kleid?
Süß oder schick?
Unauffällig oder Eyecatcher?
Ich war so nervös wie noch nie.
Wie Jasons Familie wohl war?
Ich kannte bis jetzt nur Charles und Amanda, zwei Menschen, die unterschiedlicher nicht hätten sein können.
Außerdem hatte ich Angst Charles gegenüberzuztreten.
Er wusste noch nichts von Jasons und meiner Berziehung.
Ich hatte Angst, er würde mich wieder belästigen.
Dass nach den Feiertagen die ganze Firma durch Charles Affären von uns wissen würde, war ein ungeschriebenes Gesetz.
Doch wir hatten uns lange genug versteckt und ich wollte wenigstens einmal in meinen Leben glücklich sein.

Ich entschied mich für ein dunkelrotes, knielanges Kleid, das bis zur Taille eng anlag und dann locker hinabfiel.
Einige Spitzenapplikationen verliehen dem Stück etwas elegantes und zusammen mit meinen schwarzen Keilabsatzschuhen fühlte ich mich wenigstens halbwegs bereit.

Jason musste wegen einem Notfall heute schon früh in die Firma; - ja, er musste tatsächlich an Weihnachten arbeiten - ; und so sollte ich von einem Fahrer abgeholt werden.

Um sechs Uhr am Abend begab ich mich nach draußen und erblickte schon eine kleine, weiße Limo.
Und nein, ich ritt nicht auf einer Flasche Fanta zu Amanda, es war eine waschechte Limousine.
Der Fahrerer hielt mir die Tür auf und ich ließ mich auf den braunen Ledersitzen nieder.
Jason überraschte mich immer wieder aufs Neue und ich fragte mich, was er noch für unbekannte Charakterzüge hatte...

Die Häuser zogen vor meinem Fenster vorbei und wurden irgendwann von Feldern abgelöst, die bei erhöhter Geschwindigkeit auf der Autobahn verschwommen.
Nach einer Dreiviertel-Stunde waren wir endlich da.
Der Fahrer hielt vor einem schmiedeeisernen Tor und kündigte uns durch die Freisprechanlage an. Was zu Hölle war das für ein Palast? Das Tor öffnete sich und wir fuhren in den geräumigen Innenhof, der von Bugsbaumfiguren verziert wurde.
Es war ein altes Herrenhaus wie aus einem der Rosamunde Pilcher Filme, die meine Großmutter immer guckte. Nun hielten wir endgültig und der Fahrer öffnete mir wieder die Tür.
Ich kam mir vor wie ein kleines Kind, das die Tür wegen der Kindersicherung nicht aufbekam.

Kaum war ich ausgestiegen, eilte schon Amanda auf mich zu.
Sie umarmte mich.
"Schön, dass Sie gekommen sind, Lynn.
Endlich mal jemand mit Humor.
Die da drinnen sitzen rum als hätten Sie einen Stock verschluckt."

Ich musste kichern.
Obwohl ich dieser Frau erst zweimal begegnet war, mochte ich sie gerne. Aber Moment, wenn die da drinnen einen Stock im Arsch hatten, was war dann mit Jason?
"Ist Jason denn noch nicht da?"
Amanda sah mich mitleidig an.
"Leider nicht, er wurde aufgehalten, aber er wird sicherlich gleich kommen. Ich bin ja auch da und Sie werden natürlich neben mir sitzen."
Ich lächelte Amanda dankbar an.
Na das konnte ja heiter werden.
Die ältere Dame hakte sich bei mir unter und führte mich zum Haus.
"Sie haben es wirklich sehr schön hier."
Ich kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus.
"Oh, ja, das Haus ist schon seit Generationen in der Familie.
Und nenn mich doch bitte Amanda, du gehörst ja jetzt zur Familie."
"Okay, Amanda."
Sie führte mich durch den langen, mit Teppichen ausgelegten Flur geradewegs in einen riesigen Raum. Die Wände waren unglaublich hoch und ein funkelder Kronleuchter verbreitete Licht.
Ein Tisch erstreckte sich über die gesamte Länge des Saals und einige mir unbekannte Menschen beäugten mich neugierig.
"Das hier ist Lynn Hoover, Jasons neue Freundin.
Seid nett zu ihr!"
Unsicher stand ich nun dort, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und brachte ein "Guten Abend" heraus.
"Komm, setz dich."
Amanda zog mich zum Tisch und ich nahm neben ihr Platz.
Verdammt.
Waren das tatsächlich Tischkärtchen und hingen dort wirklich Porträs von Jasons Ahnen an der Wand?
Das war selbst für den Eisprinzen ein wenig gruselig, aber auch nur ein wenig.

"Darf ich ihnen Jasons Mutter, Agnes, vorstellen," begann Amanda das Gespräch von Neuem.
Das war also Jasons Mutter.
Sie hatte die selben Augen wie er, jedoch vollkommen andere Haare, sie waren kastanienbraun.
Ich setzte mein Lächeln auf, unsicher, was sie von mir hielt und sagte:
"Nett Sie kennenzulernen und hielt ihr meine Hand zur Begrüßung entgegen, doch anstatt sie zu ergreifen, stand sie einfach auf.
Was hatte ich denn nun falsch gemacht?
"Ich bin Agnes und jetzt lass dich mal drücken," sie war viel freundlicher als ich erwartet hatte.
"Ich bin so froh, dass Jason endlich wieder jemanden an sich heranlässt. Seit dem Vorfall hat
er sich komplett abgeschottet und nun bist Du in sein Leben getreten.
Danke!"
"Was für ein Vorfall?" Agnes zuckte zusammen und wandte sich lächelnd ab.
"Entschuldigung, ich dachte...."
Was sollte das für ein Vorfall gewesen sein?
Ich hatte nie erfahren, warum Jason zu allen anderen so kalt gewesen war und Agnes hatte meinen Drang es herauszufinden verstärkt.
Trotzdem wollte ich nicht weiter nachbohren und nahm mir vor, Jason einfach in einer ruhigen Minute zu fragen.

Wir unterhielten uns noch weiter, bis Jason erschien.
Er sah sich im Raum um und kam, nachdem er mich ausfindig gemacht hatte, auf mich zu.
Leider erschien hinter ihm auch Charles.
Mein ganzer Körper versteifte sich.
Agnes ergriff unter dem Tisch meine Hand.
"Lynn. Er kann dir hier nichts tun."
Ich sah sie geschockt an.
"Sie wissen..."
"Wir wissen es beide," antwortete Amanda.
"Er ist ein charakterloses Ekel, aber ihm ist wirklich alles zuzutrauen!
Kurz nach dem Tod von Jasons Vater, wollte er mir einen Antrag machen, dabei wollte er sich nur die ganze Firma unter den Nagel reißen.
Jason war noch nicht volljährig und so musste ich seine Hälfte verwalten."
Ehe ich antworten konnte, umarmte mich Jason von hinten, da ich noch auf dem Stuhl saß und gab mir einen Kuss auf meinen Haaransatz.
"Hey. Entschuldigung, dass ich zu spät bin."
"Nicht schlimm."

Während des Essens spürte ich Charles Blicke auf mir und klammerte mich an Jasons Hand fest.
Er war es, der mich aufrecht hielt und er war es, der mir die Ruhe gab, die ich den ganzen Tag über vergeblich gesucht hatte.
Irgendwann musste ich auf Toilette und begegnete auf dem Rückweg durch den langen Flur dem Mann meiner Alpträume.
"Lynn," er lächelte mich ekelhaft an.
"Lass mich in Ruhe oder ich schreie!"
Er hob beschwichtigend die Hände.
"Ganz ruhig."
Er trat einen Schritt näher.
Anscheinend hatte er noch nicht genug Prügel von Jason bezogen.
"Und wie lebt es sich so zusammen mit einem Monster?
Wenn du genug von deinem Leben als Flamme des Mörders hast, mein Angebot steht immer noch."
Mit diesen Worten verschwand er und ließ mich mit meinen Fragen einfach stehen.

Was sollte das heißen?
Jason, ein Mörder?
Das war das absurdeste, das ich jemals gehört hatte!
Dennoch ging mir diese Frage den Rest des Abends nicht mehr aus dem Kopf. Ich konnte und wollte es einfach nicht glauben!
Auch Jason merkte, dass ich mit den Gedanken woanders war.
Ich schob es auf die Müdigkeit und wir verabschiedeten.
Vor meinem Haus fragte er:
"Soll ich dich noch nach oben bringen?"
"Nein, danke.
Ich will einfach nur schlafen."
Ich gab ihm einen Abschiedskuss und ging ins Bett.
Schlaf fand ich leider keinen.
Jason ein Mörder?
Wen sollte er getötet haben?
Er war doch kein Psychopath!
Was, wenn doch?
Nein, Lynn, wie kannst du so etwas nur denken!
Ich wälzte mich hin und her und focht meinen innerern Kampf aus, - alleine.

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Einen schönen zweiten Weihnachtstag wünsche ich euch.🎄
Danke für 5k Reads.
Wenn ihr nichts zu tun habt, dann schaut doch auch mal bei meiner anderen Geschichte "Life of a broken Girl- Teach me To Love" vorbei.🙃
Und denkt ihr, dass Jason ein Mörder ist?
Was haltet ihr von dieser Wendung?

Liebe Grüße
Eure nessy199

Love the Boss or not Where stories live. Discover now