Kapitel 4

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Ich hasste Montage! Dies war mein erster Gedanke, als mein Wecker klingelte. Der zweite war: ich brauchte Kaffee! Ich sollte mir besser eins merken; keinen Filmmarathon, wenn ich am nächsten Tag arbeiten musste. Ich quälte mich in Richtung Firma, da ich schon wieder spät dran war, wurde aus dem Date zwischen meinem Kaffee und mir nichts. Demnach traf ich schlecht gelaunt in der Firma ein. Ich lief an der Rezeption vorbei und wollte mir sofort einen Kaffee kochen. Leider sollte es nicht so weit kommen.
"Lynn. Würden sie heute beim Meeting bitte die Getränke servieren und ein paar Schnittchen machen? Der Catering-Service hat kurzfristig abgesagt." Dabei lächelte sie mich höhnisch an. Sie hatte ihre Worte zwar als Frage formuliert, allerdings sprachen ihre Augen eine ganz andere Sprache. Sie funkelten geradezu 'Wehe du widersprichst mir, dann kratz ich dir die Augen aus'.
Genervt verdrehte ich die Augen. Ich drehte mich um, murmelte ein "Ohne meinen Kaffee geh ich nirgendwohin" und wollte zur Küche marschieren. Allerdings lief das Umdrehen und Losgehen nicht ganz nach Plan, denn offenbar stand jemand hinter mir. Genauer gesagt trennte er meine Kaffeemaschine von mir und war somit mein Feind.
"Verdammt, können sie nicht aufpassen, sie Idiot!" Wütend funkelte ich das Hindernis an. Nicht schon wieder!
"Na da hat ja jemand gute Laune." Mein Chef guckte mich an und versuchte ein Grinsen zu unterdrücken.
"Oh. Ähmm. Entschuldigung." Tomate ich komme. Warum musste ich erst das Maul aufreißen und dann gucken, wen ich vor mir hatte. Ich hatte es also tatsächlich geschafft meinen Boss nicht nur als arrogant, herzlos und kalt zu bezeichnen, nein, die Bezeichnung Idiot konnte ich der Liste auch noch hinzufügen. Jason dachte bestimmt, ich sei ein schrecklicher Mensch. Warum zur Hölle interessierte es mich, was Jason dachte? Naja, es war trotzdem peinlich. Außerdem wollte ich meinen Job behalten. Ich wäre am liebsten im Erdboden versunken.
"Morgenmuffel?" Fragte Jason freundlich.
Ich motzte ihn an, aber er blieb der Gentleman in Person.
"Ja. Und ich hatte noch keine Kaffee. Kurz ich würde töten um zu dieser Kaffeemaschine zu kommen."
Ups, hatte ich das echt gerade gesagt. Mann Lynn, manchmal haust du aber echt unüberlegt deine Gedanken raus.
Jason sah mir verwundet in die Augen und oh mein Gott, dieses blau. Er wollte gerade den Mund öffnen, um zu antworten, da kam ihm Mandy zuvor.
"Sorry, Lynn, da wird wohl nix draus. Das Autorenehepaar kommt in einer Stunde und sie müssen auch noch den Konferenzraum vorbereiten." Es verschaffte ihr sichtlich eine Genugtuung mich leiden zu sehen.
Genervt verdrehte ich die Augen. Jason wollte gerade etwas sagen, als sein Handy klingelte. Schnell griff er in seine Anzugstasche und kramte sein Handy hervor. "Clark Verlag. Jason Clark am Apparat." Nahm er das Gespräch an. Mandy machte mit der Hand eine Geste, dass ich mich an die Arbeit machen sollte.
Wenn es überhaupt noch möglich war, machte ich mich mit noch schlechterer Laune auf den Weg zum Konferenzraum.
Ich hasste sie. Dieses Miststück konnte mich wirklich nur hin- und herjagen. Hoffentlich würde Püppchen eines Tages ihre gerechte Strafe bekommen.
Ich wischte über den Tisch, dekorierte ihn ein kleines bisschen, machte Schnittchen; saugte, da die Putzfrau ihre Arbeit wohl nicht ganz so ernst nahm und begann die Getränke auf den Wagen zu laden.
"Lynn?"
Erschrocken fuhr ich herum und ließ prompt die erste Flasche für diesen Tag fallen.
"Oh mein Gott."
"Ich mag in dieser Firma vielleicht viel Macht haben, aber Gott bin ich nun wirklich nicht." Ich musste lachen. Was Jason konnte Witze machen? War wohl doch nicht nur der knallharte Geschäftsmann.
Ach ja, die Flasche hatte eine riesen Sauerei hinterlassen.
"Oh. Herr Clark. Tut mir echt leid, ich mach das sofort sauber." Beschämt senkte ich den Blick.
"Nein. Es ist meine Schuld. Ich wollte sie nicht erschrecken, Entschuldigung."
Gerade wollte ich mich in Bewegung setzen und einen Lappen zum aufwischen und einen Handfeger für die Scherben holen, da hielt mich eine Hand am Handgelenk fest. Meine Haut begann wie elektrisiert zu kribbeln und ich stieß erschrocken die Luft aus. Ich drehte mich zu Jason um. Er stand direkt vor mir. Die Spannung in der Luft war zum Greifen nah. Er sah mich mit einem Blick an, den ich nicht zu deuten vermochte. Dann blinzelte er ein paar Mal und es stand die gewohnte Härte und Objektivität in seinen Augen. Er bemerkte wohl meinen verwirrten Gesichtsausdruck und lächelte mich an.
"Hier. Leider hat mich das Telefonat länger aufgehalten als beabsichtigt." Er hielt mir eine dampfende Tasse Kaffee entgegen. Wie konnte mir das nur entgangen sein. Normalerweise roch ich einen Kaffee auf 50 Meter Entfernung, aber dieser Mann brachte mich mit seinem Anblick dermaßen aus der Fassung, dass ich sogar schon den Kaffee übersah. Jammie, Kaffee; sagte meine innere Stimme.
"Danke. Das ist sehr freundlich von Ihnen." Seit wann brachte der Boss seinen Angestellten den Kaffee? Vor allem einer mit solch einem niedrigen Stellenwert.
"Ich konnte doch nicht zulassen, dass sie sich ohne Kaffee abrackern und bevor sie anfangen zu töten dachte ich, ich mach Ihnen eine kleine Freude." Ich lächelte ihn dankend und leicht aus dem Konzept gebracht an und nahm den Kaffee entgegen. Dabei streiften unsere Finger einander und es begann wieder zu kribbeln. Sanft strich Jason mit dem Daumen dabei über meinen Handrücken, was mir einen wohligen Schauer den Rücken herunterlaufen ließ.
"Setzen Sie sich einen Moment. Ich werde das hier schnell beseitigen." Er machte eine Geste in Richtung der zerbrochenen Flasche.
Oh. Das wäre doch meine Aufgabe gewesen. Wie konnte ich das nur vergessen und dieser Mann vor mir war nicht einfach der nette Junge von Nebenan, sondern mein Boss. Okay, mein verboten heißer Boss, aber dennoch nicht weniger autoritär.
"Ich mach das schon dafür wurde ich doch eingestellt."
"Nein! Jetzt machen sie doch einmal, was ich ihnen sage und setzen sich. Sie sehen müde aus."
Müde war die Untertreibung des Jahrhunderts. Ich würde mich am liebsten sofort auf dem Teppich zusammenrollen und schlafen.
Ehe ich etwas sagen konnte, zog Jason einen Stuhl zurück, drückte mich auf das Sitzpolster und eilte davon.
Irritiert sah ich ihm hinterher. Bei ihm traf das typische Chef-Klischee definitiv nicht zu. Sein Wesen faszinierte mich und ich hatte den Drang hinter seine Fassade zu blicken. Wie gerne würde ich wissen, was manchmal in seinem Kopf vorgeht.
Wo ich nun schon einmal hier saß, könnte ich ja auch gleich meinen Kaffee trinken. Mhmm lecker. Woher wusste er nur, dass ich ihm mit viel Zucker am liebsten trank?
Der Koffein putschte meinen Kreislauf wieder hoch und ich müsste doch langsam wach werden. Leider wurde ich durch das Nichtstun immer müder und Jason schien auch nicht wieder zu kommen. Nur fünf Minuten...
Ich legte die Arme auf den Tisch und bettete meinen Kopf darauf. Innerhalb von Sekunden war ich weggedriftet in das Land der Träume. Ich träumte von tiefblauen Augen, die mir schier bis in die Seele blickten. Sie erinnerten mich an das Meer, wo meine Eltern, Amy und ich unseren letzten Urlaub verbracht hatten. Wir waren alle so glücklich. Nie hätten wir gedacht, dass es unser letzter sein würde, dass wir uns nie wieder sehen würden, uns nie wieder umarmen, nie wieder gemeinsam lachen und zwei von uns nie wieder das Licht der Sonne erblicken würden. Niemand dachte an den mit dem Tod geliebter Menschen verbundenen Schmerz, der einem schier das Herz in der Brust zu zerreißen drohte, an die Tiefe leere im Bauch und die nicht enden wollenden Tränen. Meine Mutter hatte mir immer die Haare aus dem Gesicht gestrichen. Ihre Hände waren so weich, ihre Stimme voller Liebe.
"Lynn, wach auf."
"Mum?"
"Ich bin's Jason. Du musst aufstehen das Meeting beginnt gleich."
Ich öffnete die Augen und erblickte sein Gesicht keine zehn Zentimeter von meinem entfernt. Ruckartig richtete ich mich auf. Hatte ich ihn gerade 'Mum' genannt?!
"Entschuldigung."
"Ach Lynn. Entschuldigen Sie sich nicht immer." Er strich mir die Haare aus dem Gesicht. "Ich habe sie so lange wie möglich schlafen gelassen und es tut mir leid, sie wecken zu müssen."
Ich war nicht im Stande ihn anzusehen, deshalb richtete ich den Blick gen Boden. Er hatte die Scherben und das Wasser tatsächlich weggewischt. Ein Chef, der nicht immer seine Angestellten dirigierte, sonder auch selbst Mal wortwörtlich einen Lappen in die Hand nahm. Was sollte ich nur von diesem neuen Charakterzug halten?

Love the Boss or not Where stories live. Discover now