Kapitel 20

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In dieser Nacht fand ich keinen erholsamen Schlaf.
Ich wälzte mich von einer Seite auf die andere und fühlte mich einfach nur schäbig.
Ich hatte mich nie von jemandem derart abhängig machen wollen. Doch nun war genau das eingetreten, was ich seit meiner Trennung hatte vermeiden wollen.
Ich, Lynn Hoover, war von einem Menschen abhängig, den ich dazu auch noch hasste.
Ich war abhängig von Charles Clark: Dem CEO des Clark-Verlags.
Dem persersen Onkel des Mannes, dem ich unwiederruflich und vollkommen hoffnungslos verfallen war.
Kurz: dem Ekelpaket!
Ich saß ganz schön tief in der Scheiße und kam hier nicht heraus, ohne meinen Ruf zu zerstören, meinen Job und meine Bleibe zu verlieren und am schlimmesten ohne Jasons Ruf mit durch den Dreck zu ziehen.
Dabei war es doch lediglich ein Show-Kuss gewesen.
Aber was war mit dem zweiten Kuss auf der Toilette gewesen?
Bestimmt hatte er zu viel getrunken. Das musste es sein.
Oder er wollte sich nur bedanken.
Klar, Lynn, er schüttelt den Leuten zum Dank nicht die Hand sondern knutscht sie gleich ab.
Ich fragte mich, wie weit er wohl gegangen wäre, wenn es nicht plötzlich an der Tür geklopft hättte.
Hätten wir mit einander geschlafen? Wie wäre es gewesen, Jason auf diese Weise nahe zu sein? Und hätte er es bereut?
Fragen über Fragen und meine Gedanken wollten einfach nicht schweigen.

Als mein Wecker klingelte, hatte ich gerade einmal eine halbe Stunde geschlafen. Ich kam gar nicht aus den Federn, sodass ich gerade so den Bus bekam.
Mein Äußers hatte auch ziemlich glitten:
Ich trug eine einfache, schwarze Röhrenjeans, eine hellbaue Bluse und meine Brille. Zusammenfassend ähnelte ich einem Nerd, der es am Abend vorher richtig hatte krachen lassen und nun mit Dutt und Augenringen durch die Gegend lief.

Der Bus hielt an und ich stieg aus. Anscheinend sah ich noch schlimmer aus als ich gedacht hatte.
Einige lachten sogar.
Wie ein Roboter ging ich die wenigen Meter bis zum Verlag und stieg in den Aufzug. Ein 'Bling' erklang und die Aufzugstüren öffneten sich. Ich trat in den Flur und ausnahmsweise überfiel mich nicht schon wieder eine aufgetaktelte Mandy.
An dem Empfangstresen entdeckte ich einen kleinen Zettel mit der Aufschrift: 'Habe Urlaub. Übernimm den Telefondienst.'    
Gut. Heute hätte ich Püppchens gespielte Höflichkeit sicherlich nicht ertragen können.
Also machte ich mich zuerst einmal auf den Weg zur Küche, um meinem Boss, wie jeden Morgen, seinen Kaffee zu bringen.
Während die Tasse sich füllte, musste ich mich mächtig anstrengen, um nicht an Ort und Stelle einzuschlafen.
Mit einer dampfenden Tasse Kaffe machte ich mich müde auf zum Büro. Mich selbst hatten meine zwei morgendlichen Tassen Kaffee auch nicht retten können.
Ich klopfte an und wurde mit einem genervten "Herein" empfangen. Unsicher trat ich an Jasons Schreibtisch, in der Hoffnung, die Tasse nicht noch auf den letzten paar Metern zu verschütten.
Jason sah auf und er begann zu lachen.
"Was?"
Ich wusste selber, dass ich heute nicht gerade toll aussah, aber mich deshalb gleich auszulachen, fand ich nicht ganz und gar nicht nett.
Mein Chef bekam sich gar nicht mehr ein und ihm traten Tränen in die Augen.
Langsam wurde ich wütend.
"Jetzt hör doch endlich auf, mich auszulachen! Ich weiß selber, dass ich heute scheiße aussehe!"
Ups. Jetzt hatte ich meinen Boss wieder einmal angefahren, weil ich vergessen hatte, wen ich vor mir hatte. Super, ein weiteres Fettnäpfchen in meiner großen Sammlung. 'Erst reden, dann denken'; war mein großes Motto.
"Ähm, Lynn, ich wollte Dich nicht auslachen, aber deine Schuhe."
Ich sah an mir herab und da waren sie, meine wundervollen Schuhe.
Meine neonpinken Filzpantoffeln leuchteten mir entgegen.
Im Eifer des  Gefechts hatte ich ganz vergessen, meine Schuhe zu wechseln. Kein Wunder, dass mich alle so komisch angesehehen hatten.
Ich gab ein Stöhnen von mir. Das war echt nicht mein Tag und das alles nur, weil wir so leichtsinnig gewesen waren, Charles mich erpresste und ich mich nicht wehrte, um den vor mir stehenden Mann zu beschützen.
"Lynn, geht es Dir nicht gut?"
Ich schlang die Arme um mich und antwortete: "Ich habe diese Nacht kein Auge zugemacht."
"Warum konntest du nicht schlafen?" Er sah mir in die Augen, doch ich musste wegsegen, bevor meine Augen mich verrieten.
Wie aus heiterem Himmel ergriff Jason meine Hand und verschränkte seine warmen Finger mit meinen Kalten. Ich zuckte zusammen. Damit hatte ich nicht gerechnet.
"Komm. Ich fahr' dich wieder nach Hause. So kannst du nicht arbeiten."
"Aber Mandy ist auch nicht da, dann geht niemand ans Telefon." widersprach ich.
"Dann müssen die Leute eben warten oder bei Charles anrufen."
Allein bei der Erwähnung von Charles Namen zog sich mein Magen zusammen.
Jedoch wurde mir bei Jasons nächsten Worten wieder warm ums Herz.
"Du bist jetzt wichtiger."
Jason hielt immer noch meine Hand, als wir den Flur betraten.
"Jason, die Leute." Flüsterte ich.
Er sah mich fragend an und ich deutete auf unsere in einander verschlungenen Finger.
"Sollen Sie doch denken, was Sie wollen. Ich bin doch ein arroganter, herzloser und kalter Mensch, hat mir mal jemand ganz besoderes gesagt," zog er mich auf und ich musste unwillkürlich schmunzeln.

Wir fuhren mit dem Aufzug in die Tiefgarage und alle, denen wir auf dem Weg mit dem Aufzug begegneten, starrten uns an.
Als wir an Jasons Auto ankamen, grinste er und sagte: "Ich bin einmal gespannt, was morgen für Gerüchte den Umgang machen."
Er hielt mir die Tür eines schwarzen Audi R8s auf und ich nahm Platz.
Mein Boss stieg ebenfalls ein und drehte den Schlüssel im Zündschloss herum, woraufhin der Motor laut aufheulte.
Ich liebte den Sound von schnellen Autos, auch wenn ich mir niemals eins würde leisten können. 

Die Straßen waren gefüllt mit allerlei Meschen, die sich hecktisch durch die Menge quetschten.
Egal, ob jung oder alt, alles war vertreten, aber keiner trug Pantoffeln, egal, wie müde sie auch aussahen.
"Was will Charles von dir?" Durchbrach Jason das Schweigen. Konnte er das Thema nicht einfach auf sich beruhen lassen?
"Nichts."
"Das sah gestern aber nicht nach nichts aus."
"Ich will nicht drüber reden."
Er drehte den Kopf in meine Richtung und sah mir so tief in die Augen, dass ich Angst bekam, er würde in den Graben fahren.
"Was hat er nur gegen dich in der Hand?"
Wie kam er darauf? Konnte er Gedanken lesen?
"Da ist nichts."
"Lynn. Ich sehe doch, dass Dich etwas bedrückt, also raus mit der Sprache."
Ich konnte es ihm nicht sagen, er hing da genau so drin, wie ich.
"Da ist wirklich nichts."
Jason verzog missmutig seine Mundwinkel nach unten.
"Wenn er dich belästigt, bring' ich ihn um."
Ich sah ihn geschockt an, doch das Gespräch war augenscheinlich beendet.
Als wir ankamen, begleitete er mich ohne ein weiteres Wort zur Tür.
Ich schloss meine kleine Wohnung auf und er machte sich mit einem "Tschüss" von dannen.
Was für ein merkwürdiger Mann...

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Danke für phänomenale 2,41 tsd Reads❤️

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