Kapitel 7

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Müde wachte ich ich mitten in der Nacht auf. Irritiert sah ich mich um. Ich war in meinen Schlafzimmer. Warum war ich in meinem Schlafzimmer? Ich war doch am Küchentisch eingeschlafen. Die einzige Möglichkeit war..... Nein. Jason hatte mich mit Sicherheit nicht ins Bett getragen. Allein bei dem Gedanken an seine Arme, die meinen Körper umschlangen, wurde mir schon ganz warm. Wahrscheinlich hatte ich nun auch noch begonnen, zu schlafwandeln. Das war momentan die einzig plausible Erklärung. Der Eisprinz hatte sicherlich besseres zu tun, als schlafende Frauen durch die Gegend zu tragen. Außerdem hätte er mich eh nicht tragen können, ich war viel zu schwer. Ich malte mir alle möglichen Szenarien aus, wie ich ins Bett gekommen war. Als ich bei - ich bin von Außerirdischen verschleppt und wieder hierhergebracht worden- ankam, gab ich es auf. Ich würde Jason einfach fragen. Müde schlief ich wieder ein und erwachte von dem lauten Klingeln meines verfluchten Weckers. Wenn das Ding für mich nicht überlebenswichtig wäre, hätte ich es schon vor Jahren gegen die Wand geworfen.
Noch leicht benommen tappte ich ins Badezimmer und zog mich an. Ausgerechnet an diesem Morgen fand ich meine Kontaktlinsen nicht. Ich suchte und suchte, bis ich merkte, dass ich sie gestern ja gar nicht ausgezogen hatte und meine Augen nicht wegen der Müdigkeit, sondern wegen der Linsen brannten. Also pellte ich mir meine Kontaktlinsen aus den Augen und zog meine Brille an. Ja, ich hatte eine Brille und sah nun aus, wie der typische Bücherwurm. Mandy würde mich bestimmt auslachen, was meinem Ego mal wieder einen Knick verpassen würde.

Zehn Minuten später saß ich im Bus und fuhr durch die Straßen. Von dieser Kurverei wurde mir total übel. Vielleicht hätte ich doch besser etwas frühstücken sollen. Mit leerem Magen vertrug ich längere Fahrten noch schlechter. Bleich wie ein Gespenst stieg ich also an der Bushaltestelle wenige Meter von Clark-Verlag entfernt aus. Ich schleppte mich die letzten paar Meter zur Firma und wartete darauf, dass sich die Aufzugstüren öffneten. Ein Klingeln ertönte und die Türen öffneten sich. Ich stieg in den Aufzug und sah in den dort angebrachten Spiegel. Wahrscheinlich hing er extra für Püppchen da, damit sie sich noch mehr Lippenstift ins Gesicht klatschen konnte.
Ich hätte allerdings besser nicht in den Spiegel geschaut, denn ich sah wirklich schrecklich aus. Mein Gesicht hatte jegliche Farbe verloren, meine Augen waren gerötet und meine dunkelblaue Brille stach einem sofort ins Auge. Kurz ich sah aus wie eine Vogelscheuche. Also los, irgendwelche Angebote, auf welches Maisfeld ich mich stellen sollte?
"Lynn. Ist Ihnen nicht gut?"
Ich erschrak. Wo kam der denn auf einmal her?
"Ich könnte Ihnen vielleicht helfen, damit sie sich besser fühlen." Sagte er anzüglich. Charles rückte mir immer weiter auf die Pelle. Er stand direkt neben mir. Was zur Hölle! Grabschte der alte Sack mir gerade tatsächlich an den Hintern?
"Das können Sie vergessen. Ich steh nicht so auf Opas! Suchen Sie sich ein anderes Spielzeug!" Genau in diesem Moment öffnete sich die Kabine. Und wer stand da? Richtig! Dort stand niemand anderes als Jason Clark. Mein verboten heißer, kalter, charmanter, unfreundlicher Chef.
Er trat ein und funkelte seinen Onkel wütend an.
"Charles! Lass Sie endlich in Ruhe. Merkst du nicht, dass Sie nichts von dir will?!? Sie hat dir gerade doch wohl klar und deutlich einen Korb gegeben. "
Verteidigte Jason mich gerade etwa?
"Ach Jason. Du musst noch so viel über Frauen lernen."
Na von ihm bestimmt nicht. Ich könnte mal wieder meine Zunge nicht im Zaum halten.
"Ach, was soll er denn von Ihnen lernen? Wie man ordinäre Sprüche klopft? Wie man von einer charakterlosen Bitch zur anderen springt, obwohl diese sich einfach nur hochschlafen wollen? Oder wie man am besten selbst ein charakterloses Arschloch wird?"
Ups. Das charakterlose Arschloch war ebenso mein Boss wie Jason.
Die beiden Herren starrten mich sprachlos an. Ohoh, Fettnäpfchen. Ich hatte gerade jemanden beleidigt, den ich, wenn ich in dieser Firma überleben wollte, nicht hätte beleidigen sollen.
Von jetzt auf gleich begann das Ekelpaket zu lachen. Als er ausstieg, gab er mir einen Klaps auf den Hintern und sagte:
"Ich mag vorlaute Frauen. Das macht das ganze viel unterhaltsamer."
Die Türen schlossen sich und nun war ich mit Jason alleine. Er sah mich nicht an. Er ballte lediglich seine Hände zu Fäusten und knirschte mit den Zähnen.
Als die Aufzugstüren sich öffneten, nahm er meine Hand und zog mich bis wir in seinem Büro waren hinter sich her. Dort angekommen ließ er mich los.
"Das war ziemlich dumm und verdammt mutig!"
Ich wollte ihm sagen, dass es mir Leid tat, doch dies entsprach nicht der Wahrheit, also ließ ich es bleiben.
Jason sah mich auf einmal mit Stolz in den Augen an.
"Das habe ich noch nie erlebt. Niemand sagt Charles, was er wirklich von ihm hält und niemand nennt ihn einfach so, ohne mit der Wimper zu zucken ein charakterloses Arschloch. Und bis jetzt gab es noch keine, die nicht mit ihm geschlafen hat, wegen der Chance aufzusteigen. Sie sind was besonderes, Lynn. Sie haben Charakter. Und sie überraschen mich jedesmal aufs Neue."
Er sah mich mit einem Blick an, den ich nicht deuten konnte, der mir jedoch einen Schauer über den Rücken laufen ließ.
"Tja. Das war wohl so ziemlich das dümmste, was ich tun konnte, oder?"
"Mein Onkel ist viel zu besessen von Ihnen, als dass er Ihre Worte ernst nehmen würde. Er denkt Sie beide würden ein Spiel spielen und sie würden am Ende eh auf seinem Schreibtisch landen."
Die Abscheu in Jasons Stimme war zum Greifen nah. Ich erinnerte mich an unser Gespräch vom gesterigen Abend im Auto. Ich erinnerte mich daran, dass ich ihn fragen wollte, wie ich in mein Bett gekommen war. Und mir wurde klar, dass Jason ein Mann mit Charakter war, der sich nicht für andere verstellte. Das machte ihn bewundernswert. Ich kannte wenige solcher Menschen. Die meisten beugten sich dem Massenzwang und liefen mit Scheuklappen durch die Gegend, nicht ihn der Lage, sich ihres eigenen Verstandes zu bedienen.
"Entschuldigung, dass ich gestern einfach eingeschlafen bin."
"Kein Problem. Sie sind überarbeitet. Ich hoffe, es war nicht schlimm, dass ich Sie in Ihr Schlafzimmer gebracht habe?"
"Sie waren das also tatsächlich?"
Mit vor Schreck geweiteten Augen sah ich ihn an. Ich hatte mich schon mit der Erklärung, dass ich schlafwandelte, angefreundet.
"Ja." Er räusperte sich. "Ich konnte es nicht über mich bringen, Sie einfach so dort sitzen zu lassen. Bei der Haltung hätten sie heute sicherlich einen steifen Rücken gehabt. Also habe ich Sie ins Bett getragen. "
Meine Wangen färbten sich rot. Bilder tauchten in meinem Kopf aus. Bilder an Jason, der mich in den Armen trug. Bilder an Jason mit nacktem Oberkörper, der mich trug. Bilder von Jason, der mich trug und küsste.
Scheiße! Was dachte ich da! Es musste aufhören. Ich schüttelte den Kopf.
"Danke. Ich muss dann mal meinen Job erledigen, bevor sie mich noch feuern, was ich, nach meiner Vorstellung von eben, mit Sicherheit verdient hätte." Ich drehte mich um und wollte gehen.
"Ich würde sie nie feuern. Lassen sie sich nicht unterkriegen, Lynn. Sie sind mehr Wert, als all diese Tussen zusammen." Er lächelte mich freundlich an. Das Eis in seiner Mimik war geschmolzen.
"Danke." Sagte ich verunsichert und ging. Kurz bevor ich den Raum verließ sagte er.
"Ach übrigens... Schicke Brille."
Oh. Meine Brille hatte ich ganz vergessen. Mit rosigen Wangen machte ich mich, ohne eine Antwort zu geben, auf den Weg.
Charles würde ich die nächsten Tage wohl besser aus dem Weg gehen.
In meinem Kopf schwirrten tausende Fragen, auf die ich keine Antwort wusste.
Meinte Jason wirklich, dass ich etwas wert war oder wollte er mich nur aufheitern? Würde Charles mich jemals in Ruhe lassen? Und wie würde die Geschäftsreise wohl verlaufen? Würde ich dort auch in ein Fettnäpfchen treten?

Love the Boss or not Where stories live. Discover now