fifteen

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Im ersten Moment bin ich überfordert, weiß nicht was ich tun soll. Es ist kein alltägliches Geschehen, dass man in einer fremden Wohnung ist und der Chef weinend am Küchentisch sitzt. Harry wischt sich mit dem Handrücken über seine Wangen, bevor er sich durch seine Haare fährt und mich ansieht. "Ist...Ist alles okay?", frage ich vorsichtig. Wow Tammy, super gemacht. Natürlich wird nicht alles okay sein wenn er weint, spricht mein inneres Ich zu mir.

Noch immer sieht er mich an, schüttelt dann nickend seinen Kopf und deutet mir an, mich ebenfalls zu setzen. Ohne meinem Blick von ihm zu nehmen, setze ich mich auf den schwarzen Stuhl neben ihm, warte darauf, dass er irgendetwas tut oder sagt. "Ich habe nichts zu essen hier, ich schlage vor wir bestellen etwas. Worauf hast du Lust?", beginnt er dann, wischt sich dabei nocheinmal übers Gesicht und zwingt sich ein Lächeln auf.

"Ist wirklich alles in Ordnung?", ich ignoriere seine Frage und binde meine Haare zu einem Zopf. "Wie ich schon sagte, ja.", er weicht mir aus und zu gerne würde ich wissen wieso er geweint hat und wieso er so abweisend auf das Thema reagiert. "Letzte Chance.", grinst er dann wieder, "Chinesisch oder Griechisch?", das Lächeln erreicht zwar nicht seine Augen, aber was erwarte ich? Dass er sich hinsetzt und mir seine gesamte Lebensgeschichte erzählt? Wir kennen und kaum, er ist mein Chef und ich würde auch nicht einer fremden Person alle meine Geheimnisse anvertrauen.

"Chinesisch.", antworte ich deshalb, woraufhin Harry einen Art Speisekarte aus dem Regal über der Spüle zieht und sich damit wieder neben mich setzt. Schlussendlich entscheiden wir uns für Sushi, Frühlingsrollen und gebratene Nudeln mit Gemüse und Ente. Ich frage mich, wer das alles Essen soll, doch Harry meinte nur, dass das schon geht und wir sonst morgen ein Mittagessen hätten.

Nachdem Harry mit dem Restaurant telefoniert hat und gefühlt zehn Mal wiederholen musste, was er denn jetzt wollte, sitzen wir im Wohnzimmer auf dem Sofa und warten auf unser Essen. Es ist noch immer ein merkwürdiges Gefühl hier zu sein und so privat mit Harry zusammen zu sein und ich weiß jetzt schon, dass mein Vater mir einen Stundenlangen Vortrag halten wird, dass das nicht in Ordnung ist und ich nicht mit meinem Chef privat zu tun haben sollte. Aber er muss es ja nicht wissen, doch wie ich ihn kenne, weiß er es eh schon. Mein Vater kennt zu viele Leute von überall und es war schon immer so, dass egal was ich tue oder wo ich bin, irgendjemand mit meinem Vater darüber redet.

"Wie gefällt dir das Studium eigentlich?", Harry reisst mich mit seiner Frage aus meinen Gedanken. "Es ist gut.", antworte ich knapp. Ja, es ist gut. "Wieso nur gut? Macht es dir keine Spaß?", hakt er nach und am liebsten würde ich einfach das Thema wechseln. "Doch, denke schon.", wie immer wenn mir etwas unangenehm ist oder ich über etwas nicht reden will, pule ich an meinen Fingernägeln um mich abzulenken. "Was wolltest du denn eigentlich machen, bevor dich jemand dazu gebracht hat, Betriebswissenschaften zu studieren?", sein Ton ist ernst, aber auch interessiert und sein Blick sagt das gleiche aus. "Kunst und Musik.", murmele ich dann, "Und das dann in einer Grundschule irgendwann einmal unterrichten.", erzähle ich weiter und Harry fängt leicht an zu lächeln.

"Und wieso hast du das dann nicht gemacht?", fragt er ein weiteres Mal, bevor ich allerdings antworten kann, klingelt es an der Tür und Harry steht auf. "Eine Lane hat keinen solch eine Job, eine Lane macht Karriere. Der Beruf ist alles was zählt.", murmele ich die Phrase, die mir mein Dad immer wieder vorpredigt, vor mich hin. "Wie viel bekommst du?", frage ich und suche nach meiner Tasche um mein Geld zu holen. "Passt schon.", winkt Harry ab, "Sieh es als Geschäftessen." Ich grinse leicht, ziehe eine Augenbraue nach oben. "Ein Geschäftessen, bei meinem Chef zu Hause auf dem Sofa mit Lieferessen.", jetzt grinst auch Harry und fängt an die erste Box aus der Schachtel zu holen.

Im Schneidersitz sitzt er neben mir zwischen den Kissen, in der Hand die To Go Box mit den Nudeln. Belustigt beobachte ich ihn, wie er immer wieder daran scheitert die Nudeln mit seinen Stäbchen hochzunehmen.  Irgendwann scheint es ihm dann zu blöd zu werden und er benutzt die Stäbchen als Löffel. "Lach nicht.", sagt er dann mit halbvollem Mund, kann sich allerdings ein schmunzeln nicht verkneifen. "Ich brauche mehr Soße.", stelle ich fest als die Schale mit der Sojasoße leer ist. "Du hast mein Fischchen auch schon leer gemacht, ich denke du hast jetzt Pech gehabt.", Harry stellt seine Box auf den Tisch um sich eine Sushirolle aus meiner Box zu klauen. "Spaß, ich glaube ich habe noch so eine hier.", bevor er aufsteht, nimmt er sich allerdings noch eine Rolle und grinst mich an als er geht.

Als er zurückkommt, hat er mindestens zehn solcher Fische in der Hand und ich schaue ihn ungläubig an. "Ich mag keine Sojasoße aber die sind ja immer dabei.", erklärt er, während in schon das erste Fischchen geleert habe. "Wie bitte ist du dann dein Sushi? Das ist doch das beste daran.", entsetzt sehe ich ihn an, doch er schüttelt nur mit dem Kopf. "Mit der Soße schmeckt man doch dann gar nichts mehr, dann kann ich gleich nur Reis mit Soße essen.", redet er dagegen und nimmt sich eine weitere Rolle. Ungläubig schüttele ich meinen Kopf, tauche eine der Sushirollen in die Soße und halte sie ihm mit den Stäbchen vors Gesicht. "Iss.", sage ich in einem gespielt ernstem Ton. Harry schüttelt den Kopf, zieht den Kopf zurück und sieht mich lachend an. "Iss."; sage ich erneut und als er dieses Mal meinen ernsten Blick sieht, streckt er seine Zunge heraus und isst das Sushi. Die Art wie er isst, bringt mich zum lachen und an seinem Blick erkenne ich, wie eklig er Sojasoße wohl wirklich findet.

"Nie wieder.", grinst er und öffnet die Tüte mit den Frühlingsrollen.


Memories | H.S.Tahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon