63. Schusstraining

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Es ist am nächsten Tag als Jim mir wieder Schusstraining aufzwingt. Ich habe die Pistole sicher in beiden Händen und halte sie genauso wie Jim es mir gezeigt hat, dann schieße ich auf die Zielscheibe zehn Meter vor mir.
"Ach Mist", murre ich als ich nachschauen gehe ob ich getroffen habe und sehe dass nur eine Kugel ihr Ziel gefunden hat. Das Ziel besteht aus einem Papier mit einem aufgedruckten Menschen, dessen 'sensible Zonen', wie Jim sie immer nennt, eingezeichnet sind.
"Wenigstens eine", tröstet Jim mich, doch ich zerknülle missmutig das Papier.
"Haha, dafür sind die anderen fünf vorbeigegangen", schnaube ich und stapfe wieder zurück zu meiner Ausgangsposition um die Waffe neu zu laden. Ich habe keinen Bock darauf, aber Jim besteht darauf dass ich das Schießen lerne. Was für eine beknackte Idee. Als ob ich jemals mit einer Waffe herumrenne und Leute erschieße die mir zu nahe kommen.
"Hey, sieh's positiv: du triffst besser als all meine vorherigen Freundinnen."
"Hör auf mich ständig mit deinen Ex-Freundinnen zu vergleichen!", fauche ich gereizt und Jim hebt beschwichtigend die Hände.
"Das mache ich doch nichtmal, keinen Grund hier gleich auszurasten! Was ist mit dir los? Hast du etwa deine Tage?"
"Ja, stell dir vor!"
"Ah."
Einen Moment lang sagt er gar nichts und ich glaube schon dass er mich in Ruhe lässt, da fängt er wieder an.
"Die weibliche Menstruation ist äußerst interessant, denn sie ist quasi die einzige Wunde, die der Körper sich willentlich und selbst zufügt", überlegt er und ich verdrehe die Augen. Jetzt gerade regt es mich auf wenn er den Besserwisser raushängen lässt.
"Danke Wikipedia."
Danach kommt nichts mehr, aber ich höre wie Jim sich auf mich zu bewegt. Gerade habe ich die Pistole fertig geladen, da legt Jim urplötzlich seinen Arm um meinen Hals und drückt zu, sodass ich überrascht die Waffe fallenlasse.
So etwas hat er noch nie gemacht, er achtet sonst immer darauf mich nicht zu verletzen und ich erkenne panisch dass er auch nicht lockerlässt.
"Jim!", keuche ich und greife nach seinem Arm um ihn wegzuziehen, aber sein Griff ist zu fest.
"Ich verstehe es immernoch nicht", knurrt er mir ins Ohr und packt mit seiner freien Hand meinen einen Arm um ihn festzuhalten.
"Warum liebe ich dich?"
So langsam bekomme ich keine Luft mehr und versuche mich loszureißen, was mir anfangs aber misslingt. Da reiße ich mit einem Ruck meinen Ellenbogen nach hinten und treffe Jims Bauch, woraufhin er mich mit einem Keuchen loslässt. Hustend wanke ich von ihm weg und drehe mich dann erst zu ihm herum. Zu spüren wie wieder Luft in meine Lungen strömt fühlt sich gut an, und langsam legt sich mein Husten wieder.
Jim steht zwei Meter von mir entfernt und bewegt sich kaum, nur sein Atem geht schwer und seine Augen scheinen Löcher in mich bohren zu wollen. Ich wünschte es würde eine Art Vorwarnung geben.
"Das hättest du mich auch fragen können ohne mich anzugreifen", beschwere ich mich halbherzig und er grinst ein wenig.
"Wo bliebe denn da der Spaß?"
Seine Stimme klingt anders als sonst, verspielt und doch gefährlich, aber er steckt mich unwillkürlich an und ich lächle kurz.
"Ach, das macht dir Spaß?"
Sofort verstärkt sich sein Grinsen und er legt den Kopf schief.
"Ja."
"Okay", antworte ich und mache einen Schritt auf ihn zu. Nun schaut er mich mit leichter Überraschung an, doch dann lacht er laut auf.
"Willst du ernsthaft versuchen gegen mich anzukommen? Ich könnte dich mit einem einzigen Griff töten."
"Das glaube ich nicht", widerspreche ich und er zuckt mit den Schultern.
"Wir werden sehen was du heute Abend sagst."
Da schnellt er vor und will mich einfach zu Boden werfen, doch ich weiche erschrocken aus und er dreht sich wieder zu mir. Er greift mich an und ich wehre seine ersten Schläge ab, doch Jim ist natürlich viel erfahrener und stärker als ich und sieht meine Abwehr voraus. Schließlich lande ich mit einem dumpfen Stöhnen auf den Matten und Jim hockt fast schon auf mir. Er hält meine Arme fest und auch sonst kann ich mich nicht bewegen.
"Okay!", keuche ich und gebe meine Versuche mich zu befreien auf.
"Du hast gewonnen, du kannst mich jetzt loslassen."
Grinsend beugt Jim sich noch weiter über mich und lässt mich trotzdem nicht los.
"Genau", wispert er triumphierend ganz nah an meinem Gesicht und ich kann seine dunkelbraunen Augen eingehend betrachten. So dunkle Augen habe ich noch nie gesehen.
"Bitte Jim", flüstere ich, da verschwindet sein Grinsen plötzlich und er lässt mich abrupt los. Unruhig geht er um mich herum während ich mich aufrappele und tief durchatme. Fast schon vorwurfsvoll schaut Jim mich an, aber ich ignoriere seinen Blick und räume stattdessen die Pistole weg.
"Ich mag es nicht wenn du mich ignorierst", sagt er mit einem beleidigten Unterton und ich drehe mich zu ihm herum, eine Augenbraue hochgezogen.
"Tatsächlich? Ich mag es nicht wenn man mich angreift."
"Spielverderberin."
Ein Lachen entweicht mir und Jim grinst. Und das obwohl er noch immer der Psychopath ist.
"Und, hast du eine Antwort gefunden?", erkundige ich mich nachdem ich mich wieder beruhigt habe, doch er schüttelt den Kopf und kommt langsam auf mich zu.
"Nein, aber ich habe eine Ahnung. Es ist auf jeden Fall nicht nur dein Körper."
Kurz vor mir bleibt er stehen und schaut mir tief in die Augen.
"Obwohl das auch ein Grund ist", murmelt er leiser, da küsst er mich plötzlich auf den Mund und seine Hände legen sich an meine Taille. Sein Kuss ist anders als sonst, nicht so vorsichtig und sanft, sondern rau und fordernd, aber ich erwidere ihn trotzdem. Es gefällt mir auch, irgendwie.
Da lässt er mich urplötzlich los und geht aus dem Raum, dann kann ich seine Schritte hören, die die schmale Treppe nach oben zurück ins Haus nehmen. Mit einem leichten Grinsen folge ich ihm langsam. Dass er launisch ist, habe ich bemerkt.
Jim befindet sich in der Küche als ich oben ankomme, und es hört sich so an als würde er etwas trinken. Ich selbst gehe ins Bad um mich zu duschen, denn der Kampf mit meinem Freund hat mich ins Schwitzen gebracht.
Danach mache ich mir in der Küche ebenfalls etwas zu trinken und esse eine Kleinigkeit, aber um jetzt noch nach Hause zu gehen ist es zu spät. Kurzerhand beschließe ich, die Nacht hier zu verbringen und mache mich auf die Suche nach Jim, der sich irgendwo hingesetzt hat.
Ich finde ihn in seinem Arbeitszimmer, wo er am Laptop sitzt und zu arbeiten scheint. Doch als er mich sieht hellt sich sein Gesicht auf und er steht von seinem Stuhl auf um zu mir zu kommen.
"Hey Mel."
Seine Stimme und sein Lächeln zeigen mir dass er wieder mein Jim ist und ich nehme ihn erleichtert in den Arm.
"Jim", seufze ich und er streicht mir über den Rücken.
"Ja Honey", antwortet er lachend und ich spüre die Vibrationen seiner Stimme durch meinen Körper dringen. Vorsichtig löst er meine Umarmung und schaut mich liebevoll an.
"Ich war ehrlichgesagt sehr überrascht darüber dass du mit mir kämpfen wolltest. Und auch über deine Methode mit mir umzugehen... allerdings war das auch sehr riskant. Ich hatte zweimal die Gelegenheit dich zu töten."
Zum Schluss wird sein Ton ernst und er zieht leicht die Augenbrauen nach oben.
"Ich weiß. Aber ich wusste dass du es nicht tun würdest", antworte ich und gebe ihm einen Kuss auf den Mund.
"Mag sein, aber trotzdem...", murmelt er an meinen Lippen und ich muss unwillkürlich grinsen.
"Ich dachte es könnte dir gefallen wenn ich auch... so ein bisschen verrückt bin. Was ich ja wirklich bin, mal ohne Witz."
"Tut es ja auch, sogar sehr, aber ich fürchte... dass du so werden könntest wie ich."
Da schüttele ich vehement den Kopf.
"Ich mag vieles geworden sein, viele Veränderungen durchgemacht haben, aber ich werde niemals, niemals aufgeben ich selbst zu sein. Denn auch wenn ich vieles verloren habe, mich selbst will ich nicht verlieren, und das werde ich nicht."
Mit einem sanften Lächeln hört Jim mir zu und legt den Kopf schief.
"Deswegen liebe ich dich so sehr", sagt er leise und mir wird sofort warm.
"Und ich liebe dich auch, sogar dass du ein Psychopath bist liebe ich auf eine gewisse Weise. Die Dunkelheit ist faszinierend."
"Hm, Badboy und Goodgirl", meint er leise lachend und ich grinse.
"So ungefähr. Mit dem Unterschied dass ich nicht so brav und unschuldig bin wie ein Goodgirl und du nicht mit jeder Frau schläfst wie ein Badboy. Außerdem bist du nicht gemein zu mir."
Er räuspert sich unsicher.
"Naja, ich widerspreche mal nicht."
Dann küsst er mich sanft und zieht mich an meiner Taille enger zu sich, doch dieses Mal ist er liebevoll und zärtlich.
"Ich muss allerdings zugeben dass du mir jetzt besser gefällst", meine ich leise und er grinst, dann lässt er mich los, hält aber noch meine Hand fest.
"Komm, ich bin müde, und ich wette du auch."
Ich folge ihm in sein Schlafzimmer und wir legen uns zum Schlafen ins Bett, wobei ich mich erschöpft an Jim kuschele. Das Training ist anstrengend und meine Muskeln sehnen sich nach der wohlverdienten Pause, die die Nacht mit sich bringt. Zufrieden registriere ich mit geschlossenen Augen wie Jim mir über den Kopf streicht.
"Du bist wundervoll Melody", wispert er und ich lächle.
"Du auch Jim."
Ich schmiege mich an ihn und mein Atem wird ruhiger, bis ich eingeschlafen bin.

***

Moriarty In Love Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt