49. Geschäftsreise

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Allwissender Erzähler:

"Du hast was?"
Die beiden Männer stehen sich gegenüber und der Blonde schaut den Schwarzhaarigen fassungslos, fast wütend an.
"Du hast schon richtig gehört Seb", murmelt dieser und Sebastian schüttelt den Kopf, während er sich eine Zigarette anzündet. Die Beiden stehen auf der Terrasse eines großen Hauses, im Dämmerlicht der anbrechenden Nacht. Obwohl es kalt ist, trägt keiner von ihnen eine Jacke.
"Jim, dir ist bewusst was das heißt, oder?"
Sebastian schaut seinen Freund prüfend an und zieht an seiner Zigarette. Der rot glühende Punkt erhellt sein Gesicht ein wenig und er sieht besorgt aus.
"Ja", sagt Jim leise und starrt in den Garten.
"Du musst es ihr sagen, sonst wird sie daran zerbrechen wenn sie es irgendwann erfährt. Das weißt du ganz genau. Sag ihr die Wahrheit!", redet Sebastian auf ihn ein und Jim funkelt ihn wütend an.
"Das ist mir klar, Sebastian!", faucht er und atmet tief durch.
"Und ich werde es auch tun, mach dir darüber mal keine Sorgen. Hast du etwas herausgefunden?"
"Er könnte es sein, allerdings konnte ich ihn bis jetzt nicht finden", antwortet Sebastian und bläst den Rauch in die kalte Luft.
"Seb, wegen meiner Reise. Du musst hierbleiben und auf Melody aufpassen, okay?", fragt Jim und sein Bodyguard zieht ein missmutiges Gesicht. Es gefällt ihm nicht seinen Boss alleine wegfahren zu lassen, ohne dass er ihn im Auge behalten kann.
"Meinetwegen", knurrt er nach einer Weile und tritt seine Zigarette aus.
"Bleibt dann Charles bei dir?"
Jim nickt.
"Ja, wahrscheinlich."
Kurz schweigt er und denkt nach, dann fällt ihm noch etwas ein:
"Ach ja, wegen der anderen Sache... wir müssen zusehen dass er ihr nicht nochmal über den Weg läuft. Er ist zu gefährlich."
Sebastian nickt zustimmend und streckt sich einmal.
"Wird gemacht Boss. Wenn du erlaubst, ich gehe jetzt ins Bett."
Allerdings wartet er nicht auf die Erlaubnis seines Freundes, sondern geht einfach ins Haus zurück, während Jim weiter in der Kälte stehenbleibt. Vollkommen regungslos verharrt er auf der Terrasse und nur die weißen Atemwolken vor ihm verraten dass er noch lebt. In seinem Inneren aber herrscht ein Kampf zweier Seiten und er muss sich entscheiden was er als nächstes tun wird. Er weiß dass Melody die Wahrheit erfahren muss, dass sie es verdient hat, aber ein kleiner Teil von ihm hat Angst dass er sie dadurch verlieren wird. Andererseits will er es ihr nicht sagen, sondern lieber weiterhin so tun als sei er ein ganz normaler Mensch.
Ein leises Seufzen kommt ihm über die Lippen und er legt den Kopf in den Nacken. Nein, normal ist er nicht, nicht mehr, und es wäre falsch ihr etwas vorzuspielen. Aber auch so leicht... Allerdings ist Melody nicht dumm, sie merkt jetzt schon dass etwas nicht stimmt und beginnt die richtigen Fragen zu stellen. Wenn sie wüsste was sie mit ihm macht...
Ohne einen Entschluss gefasst zu haben geht Jim wieder ins Haus und schließt die Tür zur Terrasse. Egal was er tut, es muss bald passieren. Ansonsten ist es zu spät.

~×~×~×

Melody:

Jims Geschäftsreise kommt leider schneller als gedacht und nun muss ich eine Woche oder länger ohne ihn auskommen.
Mit einer letzten Umarmung verabschiede ich ihn am Bahnhof und er lächelt mir aufmunternd zu, dann verschwindet er mit einem Bodyguard in der Menge. Sebastian bleibt neben mir stehen und raucht eine Zigarette während er seinem Freund hinterherschaut.
"Komm, lass uns gehen", sagt er und dreht sich um. Gerade will ich ihm folgen, da gleitet meine Hand in meine Manteltasche und ich fühle einen kleinen Zettel. Verwundert hole ich ihn hervor und schaue ihn an. Es ist der Zettel mit Henrys Nummer.
Schnell stecke ich den wieder ein und gehe Sebastian hinterher, der mittlerweile schon fast wieder am Auto ist.
"Da bist du ja, dachte schon ich hätte dich verloren", sagt er schmunzelnd und ich lache.
"Ach, das schaffst du nicht, dafür bist du zu aufmerksam."
Er neigt den Kopf und zuckt dann mit den Schultern.
"Ich bring dich nach Hause."
Mit diesen Worten steigen wir ein und Sebastian lässt den Wagen an, dann fahren wir weg vom Bahnhof. Sebs Fahrstil ist anders als der von Jim, was wohl daran liegt dass Seb irgendwie 'cooler' wirkt. Er hat eine lockere Art zu fahren, nur mit einer Hand und den anderen Arm am Fenster. Das macht mich immer ein wenig nervös, denn es könnte immer mal passieren dass ein Ernstfall eintritt wo man schnell sein muss. Und dann nur eine Hand frei zu haben...
Doch es passiert nichts und wir kommen heil bei mir zu Hause an.
"So, dann viel Spaß noch", meint Seb als ich aussteige und lächelt.
"Dir auch", antworte ich lachend und winke, dann gehe ich ins Haus und Sebastian fährt weg.
Oben in meiner Wohnung ziehe ich meinen Mantel aus, hole den Zettel aus der Tasche und verkrümele mich mit einem Handy ins Wohnzimmer. Ich speichere Henrys Nummer ein und überlege dann ob ich ihn anrufen soll. Er klang damals auf der Eisfläche ehrlich besorgt und irgendwie bin ich auch neugierig warum er mich treffen will.
Es tutet dreimal bevor er abnimmt.
"Hallo?"
"Hey Henry, ich bins, Melody."
"Melody!"
Seine Stimme klingt sofort erfreut und ich kann mir fast vorstellen wie er grinst.
"Ich habe schon gedacht, du würdest gar nicht anrufen."
"Naja, anfangs habe ich das auch gedacht, aber du weißt dass ich Telefonnummern nicht widerstehen kann."
Ich lache und höre wie Henry am anderen Ende einfällt.
"Auch egal. Du wolltest unbedingt dass ich dich anrufe, und jetzt bin ich neugierig. Warum?"
"Ich möchte dir helfen."
"Und wobei?"
"Nicht am Telefon. Kannst du dich mit mir treffen?"
Ich zögere unsicher. Soll ich mich mit ihm treffen, einem Mann den ich vor einem halben Jahr erst wiedergetroffen habe? Andererseits, das ist Henry und nicht irgendein Fremder.
"Theoretisch schon. Wo denn?"
"Bei mir zu Hause. Eine Frage, ist Jim gerade bei dir?"
"Nein, ist er nicht", antworte ich mit gerunzelter Stirn. Ich erzähle ihm aus irgendeinem Grund nicht dass Jim auf Geschäftsreise ist, da ich das Gefühl habe, dass das keine gute Idee wäre.
"Okay."
Aus seiner Stimme lässt sich unmöglich raushören ob er das gut oder schlecht findet. Er nennt mir eine Adresse und wir machen einen Zeitpunkt aus zu dem wir uns treffen wollen und reden noch ein bisschen.
"Ich muss jetzt aufhören, tut mir leid."
"Kein Problem. Tschüß Henry."
"Tschüß Melody. Danke dass du dich mit mir triffst."
Bevor ich etwas erwidern kann, legt er auch schon auf und ich höre nur noch Tuten in der Leitung. Ein kleines bisschen verwirrt lege ich mein Handy weg und strecke mich auf meinem Sessel. Das Treffen wird bestimmt interessant, wenn nicht auch seltsam. Außer Jim und Seb kümmert sich kein Mann um meine Sicherheit, was kein Nachteil oder so ist. Meine Kollegen auf der Arbeit sind freundlich zu mir, aber ich habe mit ihnen keinen Kontakt außerhalb der Arbeit. Auch mit meinen Kolleginnen treffe ich mich nie woanders als auf der Arbeit. Dieses typische Kollegen-Treffen kenne ich gar nicht.
Nach einer Weile mache ich den Fernseher an und mache es mir auf meinem Sessel gemütlich während auf dem Bildschirm eine Folge Big Bang Theory zu sehen ist.
Heute Abend habe ich keine Lust zu kochen, deswegen bestelle ich mir etwas beim Pizza-Lieferanten. Ist doch praktisch dass es solche Geschäfte gibt.
Den restlichen Abend verbringe ich mit Pizza im Wohnzimmer vor dem Fernseher und sehe mir die Serien an, die gerade laufen.
Früher haben Katie und ich das öfters genacht, manchmal haben wir dann sogar gewartet bis die Alterwarnung kam und die Horrorfilme anfingen. Allerdings haben wir meistens sehr schnell gemerkt warum eine Warnung vor dem Film kam, wenn es sehr gruselig, eklig oder auch sexuell wurde.
Bei dem Gedanken daran, wie wir einmal schreiend vor dem Fernseher saßen und uns hinter unseren Kissen versteckt haben, bis Katies Vater hereinkam und den Fernseher ausgeschaltet hat, muss ich lachen. Das war lustig.
Irgendwann kommt nichts mehr was mich interessiert und ich schalte den Fernseher aus, dann räume ich auf und gehe ins Bett. Gähnend schalte ich das Licht im Flur aus und verkrieche mich unter meiner weichen Decke, doch schlafen kann ich noch nicht. Unwillkürlich muss ich daran denken ob Jim auch gerade in einem Bett liegt und an mich denkt, doch schnell verwerfe ich den Gedanken wieder. Es ist nicht so dass Jim mich nicht lieben würde, aber wenn es um seine Arbeit geht denkt er an nichts anderes. Das hat er mir zumindest einmal erzählt. Muss ein verdammt cooler Job sein, oder er nimmt einfach die gesamte Aufmerksamkeit eines Menschen in Anspruch. So wie ich Jim kenne ist es beides.
Über diese Gedanken schlafe ich dann doch ein und träume unter anderem von Katie, Hamish und Henry, aber auch von Jim. 'Seltsamerweise' können Jim und Henry sich in meinem Traum nicht leiden. Naja, gar nicht so seltsam, immerhin behaupten beide auf irgendeine Weise dass der andere gefährlich oder kein guter Umgang für mich sei. Jim hat das zwar nie gesagt, aber seine Reaktion in Bezug auf Henry macht dies äußert deutlich. Hoffentlich hat keiner von beiden recht...

***

Moriarty In Love Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt