2. Eine Nummer

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"Hier bitte halten", bitte ich den Taxifahrer als wir in die Straße einbiegen, in der meine winzige Wohnung liegt. Dieser nickt, fährt an den Bürgersteig und ich teile ihm mit, dass er die Rechnung an James Moriarty schicken lassen soll, obwohl ich dabei ein mieses Gefühl habe. Und ein seltsames. Immerhin lasse ich hier gerade einen vollkommen fremden Mann meine Taxirechnung bezahlen. Okay, ganz so fremd ist er doch nicht, immerhin kenne ich seinen Namen. James Moriarty. Aber ausgerechnet ein Mann bezahlt mir meine Taxirechnung?
Ich bedanke mich bei dem Fahrer, steige aus und gehe die Straße entlang zu meiner Mini-Wohnung. Ich bin froh aus dem Taxi raus zu sein, denn der Fahrer hat mich auch so komisch angestarrt und ich konnte mich keine Sekunde lang entspannen. Mit einem Mann alleine zu sein ist noch immer schwer für mich.
Das Stadtviertel hier ist heruntergekommen und in manchen der alten Gebäude kann man - das weiß ich leider aus Erfahrung - regelmäßig auf Drogenjunkies treffen.
Ich biege in den Hauseingang eines alten Häuserblocks ein, der definitiv schonmal bessere Tage gesehen hat, und schließe die Haustür auf. Schnell laufe ich die Treppen nach oben und ignoriere die Briefe in meinem Briefkasten. Wahrscheinlich eh nur Rechnungen oder Aufrufe zum Widerstand auf arabisch.
Nach drei Stockwerken komme ich endlich in meinen Flur und laufe zielstrebig zu meiner Wohnung. Der Hausflur ist schlicht und weiß, allerdings sehr schmutzig an manchen Stellen. Irgendwo im Untergeschoss findet man sogar ein Graffiti an der Wand neben einer Wohnungstür.
Katie war nicht oft hier, da wir es vorzogen zu ihr zu gehen. Aus gutem Grund. Für mich ist die Wohnung gut genug um zu leben, aber eigentlich ist sie unter aller Sau. Manchmal funktionieren Strom und Heizung nicht, oder ich höre die Nachbarn überdeutlich. Ausserdem wäre es keine gute Idee für Katie, als eine reiche junge Frau sich hier in diesem Viertel zu oft und zu lange aufzuhalten. Und das man sie ausraubt wäre ja nur das geringste Übel.
Schon oft hat Katie versucht mich zu überzeugen in eine andere Wohnung in einem besseren Viertel zu ziehen, doch das hätte bedeutet, dass sie die auch noch bezahlt hätte. Und das hätte ich nicht ausgehalten. Katie weiß um meine finanzielle Situation und meine daraus resultierende Bescheidenheit.
Ich betrete den kleinen Flur meiner drei-Zimmer Wohnung und schließe sofort die Tür hinter mir. Die vertraute Wohnung begrüßt mich wie immer mit ihren gelblichen Wänden, an denen die Tapete schon manchmal abblättert, und dem billigen Laminatboden.
Meine Schuhe stelle ich unter die Garderobe, meinen schwarzen Mantel hänge ich an den Haken. Auf Socken gehe ich in die winzige, schmutzige Küche, in der aber glücklicherweise - meistens - noch alles funktioniert, und fülle Wasser in meinen Wasserkocher. Dabei benutze ich meine linke Hand, da die andere immernoch wehtut.
Der Wasserkocher ist ein altes Modell, so eins was man auf den Herd stellen muss und was pfeift wenn das Wasser heiß ist, aber ich mag ihn.
Ich stelle ihn auf den alten Herd, stelle den an und hole eine Tasse aus dem spärlich befüllten Küchenschrank. Das meiste habe ich auf Trödelmärkten gefunden oder von Katie bekommen. Wie so vieles in meinem Leben.
Beim Griff nach den Teebeuteln bemerke ich, dass die Packung bereits fast leer ist. Dennoch mache ich mir jetzt einen Tee, es bringt ja nichts den Tee zu sparen.
Ich gehe gerade aus der Küche heraus, da bemerke ich ein weißes Kärtchen zwischen meinen Schuhen. Es muss aus meiner Manteltasche gefallen sein. Ich hebe es auf und schaue es mir an.
James Moriarty
Darunter steht eine Handynummer und mit einem Füller geschrieben:
Melden sie sich mal ;)
Perplex starre ich auf das Kärtchen. Wann bitteschön hat er das geschrieben und mir in die Manteltasche gesteckt? Macht er das öfter?
Aber ich hole mein Handy, welches mir Katie geschenkt hat, aus meiner Manteltasche und gebe die Nummer unter J. Moriarty ein. Das Handy ist ein recht altes Modell, mit zahlreichen Macken und Kratzern sowie einem Riss im Display, aber ich kann WhatsApp haben und es funktioniert auch noch.
Es ist eine Art Tick von mir, jede Telefonnummer irgendwo abzuspeichern, schon als junges Mädchen.
Gerade überlege ich, ob ich ihm etwas schreiben soll, da pfeift der Wasserkocher und ich lege das Handy auf die Ablage. Mit einer Hand fülle ich das heiße Wasser in die Tasse mit dem Teebeutel und stelle ihn dann wieder auf den Herd. Ich schaue auf die Uhr, merke mir die Zeit und nehme mein Handy in die linke Hand. Die einzigen Kontakte die ich habe sind irgendwelche Dienstleistungsfirmen, deren Nummern ich eingespeichert habe, ohne sie zu brauchen, die Nummer von Katie und nun die Nummer des Fremden James Moriarty. Irgendwie armselig.
Plötzlich bekomme ich eine SMS.

Katie: Vergiss nicht, dass du ab morgen einen Job hast! Ich wünsche dir viel Glück ;)

Ich stecke das Handy weg und hole den Teebeutel aus der Tasse. Ich schmeiße ihn jedoch nicht weg, denn damit kann ich noch einige Male Tee kochen. Mit der Tasse heißen Tee gehe ich in mein Zimmer, um den fehlenden Schlaf nachzuholen, damit ich morgen früh zur Arbeit gehen kann. Katie hat mir geholfen einen Job in einem Schnell-Restaurant zu bekommen und nun will ich sie nicht enttäuschen. Auch wenn dieser Job mich wahrscheinlich total aufregen wird und er eigentlich gar nichts für mich ist. Katie meint es nur gut.
Müde setze ich mich auf mein gemachtes Bett und trinke von dem Tee. Dann hole ich mein Handy heraus und rufe meine Kontakte auf. Ich wähle J. Moriarty aus und klicke auf den kleinen Briefumschlag. Sofort öffnet sich mein SMS Programm ich überlege was ich schreiben soll. Ob ich ihm überhaupt etwas schreiben soll. Ich will ihm nichts schreiben. Aber danken sollte ich ihn auf jeden Fall.

Me: Hallo

Nachdem die Nachricht abgeschickt wurde lege ich das Handy neben mich aufs Bett und trinke wieder von meinem Tee.
Nur kurze Zeit später verrät ein Klingeln mir, dass ich eine Nachricht bekommen habe. Ich stelle die Tasse wieder hin und entsperre mein Handy.

J. Moriarty: Hallo. Sind Sie schon zu Hause?

Me: Woher wollen Sie wissen wer ich bin?

Gespannt warte ich auf seine Antwort, denn die würde mich echt mal interessieren. Da klingelt das Handy wieder.

J. Moriarty: Sie sind die einzige, der ich bisher diese Nummer gegeben habe.

Me: Und warum haben Sie dann schon Visitenkarten mit dieser Nummer?

J. Moriarty: Ich muss mich verbessern, Sie sind die Erste, der ich diese Nummer gegeben habe.

Me: Und wer bekommt diese Nummer noch?

J. Moriarty: Das sind ganz schön viele Fragen. Können Sie mir vielleicht erstmal meine beantworten, damit ich weiß ob sie das Taxi auch richtig abgesetzt hat?

Me: Ja, ich bin zu Hause.

J. Moriarty: Sehr gut. Nun zu ihrer letzten Frage: Ansonsten nur Klienten. Wieso, eifersüchtig? ;)

Me: Nein. Ich weiß dann nur, dass Sie so etwas nicht öfter machen.

J. Moriarty: So etwas?

Me: Frauen helfen, ihnen ihre Nummer geben und warten bis sie sich melden. Ach ja, danke übrigens für das Taxi.

Darauf antwortet er erstmal nicht und ich trinke weiter meinen Tee, der mittlerweile schon nur noch lauwarm ist, in einem Zug weg. Dann stehe ich auf, schließe die Tür, ziehe die Vorhänge zu und ziehe mich um. Da klingelt das Handy und ich lese seine Nachricht.

J. Moriarty: Ach das meinen Sie. Nein, so etwas mache ich eigentlich nicht. Und gern geschehen. Tut mir leid, aber ich muss mich jetzt verabschieden, ein weiterer Klient wartet.

Me: Alles klar. Bis nächstes Mal.

Mist, das wollte ich doch gar nicht schreiben. Aber jetzt ist es zu spät. Zu blöd dass ich sonst immer nur mit Katie schreibe und gerade nicht bedacht habe dass das hier ein Fremder ist.

J. Moriarty: Das hoffe ich doch.

Ein winziges Lächeln huscht über mein Gesicht, dann schalte ich das Handy aus, stelle meinen Wecker auf halb Sieben und lege mich ins Bett.
Diese SMS Konversation mit James Moriarty hat mich überrascht, denn normalerweise bin ich nicht so zu neuen Männern, geschweige denn dass sich je welche für mich interessiert hätten. Oder vielleicht doch, aber meine Art hat sie abgeschreckt oder ich habe es schlichtweg nicht bemerkt. Allerdings hat dieser James einen Eindruck auf mich gemacht, ob ein guter oder ein schlechter weiß ich nicht.
Es ist aber irgendwie angenehm mit diesem Mann zu schreiben und er scheint ganz nett zu sein. Jedenfalls bringt er mich dazu Dinge zu schreiben, die ich eigentlich gar nicht schreiben will.
Mit solchen Gedanken schlafe ich schließlich ein und gleite hinüber in das Reich der Träume.

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Moriarty In Love Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt