3. Nächtliches Gespräch

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Mitten in der Nacht schrecke ich plötzlich aus einem Albtraum hoch. Es war der selbe wie immer und der Schreck sitzt mir noch in den Gliedern. Mein keuchender Atem ist das einzige, was man im Raum hört und mein wilder Herzschlag dröhnt mir in den Ohren. Ich zittere am ganzen Körper und habe die Augen weit aufgerissen, doch es ist zu dunkel um etwas erkennen zu können.
Ich verdränge die Erinnerungen gewaltsam aus meinem Kopf, falle zurück auf das Kissen und beginne leise zu weinen.
Der Albtraum verfolgt mich nun schon mein ganzes Leben lang, aber seit ich Katie kennengelernt habe, hat der Traum mich nicht mehr belästigt. Doch nun, gerade als Katie nicht mehr da ist, kommt er wieder, mit mehr Intensität und heftiger als je zuvor. Das Schlimmste ist aber, dass es Erinnerungen sind und dass sich fast alles aus meinem Albtraum genau so ereignet hat.
Irgendwann beruhige ich mich wieder so weit, dass ich mich hinsetze und auf den Wecker schaue. In zweieinhalb Stunden wird er klingeln und ich muss aufstehen. Eigentlich könnte ich jetzt noch etwas schlafen, doch jedes Mal wenn ich die Augen schließe, kommen die Erinnerungen hoch und mit ihnen auch die Angst. Also schwinge ich die Beine über die Bettkante und gehe mit T-shirt und meiner Schlafhose in die Küche.
Es ist kühl in der Wohnung, wahrscheinlich ist die Heizung wieder ausgefallen, doch ich beachte dies gar nicht. Mittlerweile bin ich das gewöhnt. Das Wasser im Wasserkocher ist kalt, dennoch mache ich den Herd an und hole meine Tasse aus meinem Zimmer, zusammen mit meinem Handy.
Ich lehne mich in der Küche gegen die Arbeitsfläche und schalte es an. Trotz des Albtraums bin ich relativ ausgeschlafen und meine Finger fliegen über die Tastatur als ich meinen Pin eingebe.
Beinahe sofort bekomme ich eine Nachricht und öffne sie auch sogleich.

J. Moriarty: Hallo, ich hoffe ich störe Sie nicht. Mir ist nur aufgefallen, dass Sie mir ihren Namen noch nicht verraten haben.

Die Nachricht wurde vor einer halben Stunde abgeschickt, aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass er noch wach ist. Zögernd verharren meine Finger über der Tastatur und ich beiße mir auf die Unterlippe. Soll ich wirklich...? Doch meine Finger nehmen mir quasi die Entscheidung ab.

Me: Nein, das tun Sie nicht, keine Sorge. Mein Name ist Melody Grand. Was machen Sie gerade so?

Ich weiß nicht genau, warum ich ihn das frage, aber nun ist es zu spät um die Nachricht zurückzuhalten. Seufzend lege ich das Handy, auf stumm geschaltet, auf die Arbeitsfläche. Fröstelnd schlinge ich mir die Arme um den Oberkörper und warte darauf, dass das Wasser kocht. Da kommt eine neue SMS an.

J. Moriarty: Ein wirklich schöner Name. Außergewöhnlich. Ich sitze gerade im Zug nach Cardiff, wegen eines Klienten. Und Sie?

Me: Sie haben ja nur Zeit für ihre Klienten. Machen Sie auch etwas anderes? Naja, ich bin wach und kann nicht mehr schlafen.

J. Moriarty: Brauchen Sie jemanden zum reden?

Erst antworte ich nicht sondern starre nur perplex auf den Bildschirm meines Handys. Da kommt plötzlich ein Anruf an und ich schrecke zurück. Es ist James Moriarty. Panisch starre ich das Ding in meiner Hand an und überlege fieberhaft was ich tun soll, doch dann reiße ich mich zusammen.
Zögernd drücke ich auf den grünen Hörer und hebe das Handy ans Ohr.
"Hallo?", frage ich mit leicht zittriger Stimme und schlucke.
"Guten Morgen", kommt es fröhlich vom anderen Ende und ich erkenne die Stimme des Mannes vom Flughafen. Im Hintergrund höre ich das Rattern von Zugrädern auf Schienen.
"Sind... sind Sie James Moriarty?", frage ich nach und bemerke erst danach wie dumm diese Frage ist.
"Oh, entschuldigen Sie, das ist natürlich klar. Wer sonst würde mich anrufen, mit Ihrer Nummer. Es ist früh, und mein Kopf ist noch nicht richtig wach", sprudeln die Sätze aus meinem Mund hervor.
"Das ist doch nicht schlimm. Wie geht es Ihnen?"
"Naja, ehrlich gesagt nicht so gut. Aber ich möchte darüber nicht sprechen."
"Oh, okay", er scheint erstaunt zu sein, doch ich lasse ihm keine Möglichkeit Fragen zu stellen.
"Warum rufen Sie an?"
"Ähm, ich hatte das Gefühl Sie bräuchten jemanden zum reden. Und mir ist langweilig. Sie sahen gestern ziemlich fertig aus. Haben Sie eine Trennung hinter sich?"
"Ich habe zwar keine Ahnung was Sie das angeht, aber so ganz grob ist es richtig. Meine beste Freundin ist gestern weggegangen."
"Oh, tut mir leid."
Die Bestürzung in seiner Stimme hört sich echt an und so ringe ich mich dazu durch weiter mit ihm zu sprechen. Wenn ich nicht daran denke dass er ein Mann ist geht es sogar.
"Und wie geht es Ihnen?"
"Soweit ganz gut. Ich könnte nur mal eine Pause gebrauchen, aber mein Terminplan ist leider voll."
Ein leises Lachen ist von ihm zu hören und ich schmunzele unwillkürlich.
"Oje. Das ist wahrscheinlich ziemlich anstrengend."
"Es geht. Mir macht meine Arbeit aber Spaß, deswegen macht es mir nicht ganz so viel aus häufig unterwegs zu sein. Was machen Sie so beruflich?"
"Bis jetzt noch nichts, aber in-"
Ich schaue auf die Küchenuhr.
"- etwas weniger als zweieinhalb Stunden müsste ich aufstehen und zu meinem neuen Job gehen. Es ist aber nur ein Nebenjob, nichts großes."
"Solange man sie richtig macht kann jede Tätigkeit etwas bewirken."
"Sie scheinen ein weiser Mann zu sein, Mister Moriarty", sage ich lächelnd und er lacht.
"Naja, ich kenne einige die das in Frage stellen würden, aber sonst stimme ich Ihnen zu. Sie können mich übrigens James nennen, nur wenn Sie wollen."
"Finde ich gut... James."
Einen Mann mit seinem Vornamen anzusprechen fühlt sich seltsam falsch für mich an und ich verfluche mich für meine Blödheit, einfach Dinge zu sagen, egal ob ich sie will oder nicht. Nach kurzem, nachdenklichen Zögern füge ich hinzu:
"Sie können mich dann natürlich auch Melody nennen."
"Das mache ich mit Freuden, Melody."
Ich lache leise, da beginnt mein Wasserkocher zu pfeifen und ich erschrecke.
"Entschuldigen Sie kurz, James. Mein Tee ist fast fertig, einen Moment."
Damit lege ich das Handy auf die Arbeitsfläche und gieße mir das heiße Wasser in die Tasse mit dem bereits gebrauchten Teebeutel. Bevor ich das Handy wieder in die Hand nehme, starre ich auf die Wand mir gegenüber, die ich im fahlen Licht einer Straßenlaterne von unten sehen kann. Was mache ich da gerade?
"So, da bin ich wieder", melde ich mich als ich das Handy wieder ans Ohr halte.
"Einen Tee könnte ich jetzt auch vertragen", bemerkt James und ich grinse.
Das ist seltsam, normalerweise brauche ich länger um mit einem anderen Menschen so umgehen zu können. Aber Katie würde etwas anderes behaupten.
"Holen Sie sich doch einen. In Ihrem Zug gibt es doch bestimmt einen Speisewagen oder etwas ähnliches."
"Nein leider nicht. Außerdem schmeckt der Tee dort nach Spülwasser."
Ich höre den Ekel aus seiner Stimme heraus.
"Hm, diese Aussage kann ich nicht beurteilen."
"Sind Sie noch nie mit dem Zug gefahren?"
"Nein, noch nie."
"Wo kommen Sie eigentlich her? Ihr Nachname Grand lässt auf französische Herkunft schließen, aber Sie sprechen wie eine gebürtige Londonerin."
"Bin ich auch. Nur mein Großvater mütterlicherseits wurde als kleiner Junge von einer französischen Familie, die in England lebte, adoptiert. Er behielt den Nachnamen bei, auch als er seine wahre Herkunft erfuhr. Und Sie, sind Sie aus Irland? Ihr Akzent lässt darauf schließen."
"Sie haben recht, ich wurde in Dublin geboren. Interessant. Sagen Sie mal, Melody, wie geht es Ihrer Hand?"
Überrascht schaue ich meine rechte Hand an und bewege die Finger. Sie schmerzt nicht mehr und ich habe den Vorfall von gestern fast schon vergessen. Aber wie kommt er denn jetzt darauf?
"Der geht's prima. Sie hatten recht, es geht schon alles wieder", antworte ich zögernd.
"Sehr schön. Hören Sie Melody, ich muss jetzt leider aufhören, aber wie wäre es, wenn wir heute Abend nochmal telefonieren? Natürlich nur wenn Sie wollen."
Ich lächle.
"Ich würde mich... freuen, glaube ich. Sofern ich Sie nicht langweile."
"Nein, ganz und gar nicht. Ich rede gerne mit Ihnen."
"Das kann ich nur zurückgeben", meine ich und erschrecke noch im selben Moment. Was zur Hölle sage ich da? Zu oft mit Katie gesprochen. Am anderen Ende lacht James kurz, dann verabschiedet er sich.
"Viel Spaß bei Ihrem neuen Job. Bis heute Abend."
"Danke, ihnen auch. Tschüß."
Mit diesen Worten lege ich auf und starre eine Weile lang vor mich hin. Ich habe soeben - für meine Verhältnisse - relativ locker und freundlich mit einem Mann geredet und ihm sogar erlaubt, mich Melody zu nennen. Überrascht über mich selbst nippe ich an meinem viel zu starken und mittlerweile auch kalten Tee.
Ich kann mir sehr gut vorstellen was Katie dazu sagen würde. Sie würde erstmal total ausflippen vor Freude und mich dann über alle Einzelheiten ausfragen.
Schmunzelnd kippe ich den Tee weg, schließe mein Handy ans Ladekabel an und gehe zurück in mein Zimmer. Ich lege mich nochmal ins Bett und merkwürdigerweise schlafe ich bereits nach kurzer Zeit ein, ohne irgendwelche Albträume.

Moriarty In Love Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt