58. Fragen

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Ich schlafe lange und tief, bis hinein in den nächsten Tag. Dafür bin ich bei meinem Aufwachen ausgeschlafen und fühle mich viel besser als noch vor ein paar Tagen. Naja, das ist kein Kunststück.
Vorsichtig setze ich mich hin und schlage die Decke zurück. Meinen Beinen und Füßen geht es gut und ich kann alles bewegen, also setze ich mich auf die Bettkante und stehe langsam auf. Etwas wacklig, aber aufrecht gehe ich an der Wand entlang zur Tür und öffne sie. Im Haus ist es hell und friedlich, die Türen zum Arbeits- und Jims Zimmer sind geschlossen, genauso wie damals als Jim mich geholt hat und er von meiner Vergangenheit erfahren hat. Dieses Mal allerdings bin ich diejenige die Antworten bekommt.
Da öffnet sich die rechte Tür und ein verschlafener Jim kommt heraus. Seine Haare sind wuschelig und er trägt eine dunkelblaue Jogginghose und ein graues T-shirt. Unwillkürlich muss ich schmunzeln als er sich mit beiden Händen über die Augen reibt, wie ein Fünfjähriger. Außerdem ist es auch genauso wie an dem Morgen, an dem ich plötzlich bei Jim im Gästebett aufgewacht bin.
"Guten Morgen", begrüße ich ihn und er gähnt.
"Dir auch", murmelt er und lächelt mir zu, dann scheint er zu bemerken dass ich stehe und hebt überrascht beide Augenbrauen.
"Geht es dir schon besser?"
"Ja, viel besser", antworte ich und er nickt langsam.
"Hast du Hunger?"
"Ja, und wie!"
Grinsend bedeutet er mir ihm zu folgen und wir gehen die Treppe hinunter in die Küche.
Das Frühstück war dringend nötig, und ich merke dass ich enormen Kohldampf hatte.
Als wir fertig sind räumt Jim ab und verbietet mir fast schon ihm zu helfen, sodass ich am Tisch sitze und ihm zuschaue.
"Also, was willst du wissen?", fragt Jim auf einmal und lehnt sich gegen die Ablage. Er meint meine Fragen zu ihm und dem was er ist.
"Was heißt das, dass du ein Psychopath bist genau?", stelle ich zögernd meine erste Frage und Jim legt nachdenklich den Kopf schief.
"Ich bin launischer, schwerer einzuschätzen. Mir wird schnell langweilig und ich brauche ständig etwas Neues um mich zu beschäftigen. Mein Verstand ist schneller als der von anderen und ich habe manchmal... Aggressionen. Allerdings habe ich gelernt mich ein wenig zu kontrollieren wenn es sein muss."
"Und... was machst du so für Sachen, bei deiner Arbeit?"
Da zögert Jim und senkt den Blick.
"Mir macht es Spaß Menschen zu verletzen, sie zu quälen und sie zu töten. Für mich ist das ein Spiel, und ich bin der Beste. Meine Firma... wir kümmern uns um verschiedene Klienten und ihre Wünsche. Consulting Criminal", antwortet er schließlich mit leiser, aber fester Stimme und schaut mich an.
"Das heißt... wenn jemand etwas Kriminelles tun will kommt er zu dir und deine Leute kümmern sich darum?"
Er nickt und beobachtet genau meine Reaktion. Ich atme tief durch, runzele kurz die Stirn und schlucke. Es macht mir nichts aus. Verdammt, ich sollte wirklich mal zum Psychologen gehen.
"Seit wann machst du das?"
"Pffff, lass mich überlegen... seit Carl Powers. Schon mal von ihn gehört?"
Ich wiege den Kopf unsicher hin und her.
"Ja, glaube schon. Katie hat mal von ihm erzählt, war das nicht der Junge der im Schwimmbecken ertrunken ist?"
Jim nickt.
"Genau der. Damals hat er mich immer geärgert, und bei einem Wettbewerb habe ich seine Salbe mit Botulinum versetzt. Das ist ein-"
"Nervengift, ich weiß", unterbreche ich ihn und er hebt eine Augenbraue.
"Aha. Naja, er starb und ich war ihn los. Die Polizei hat nichtmal bemerkt dass es Mord war, geschweige denn dass Carl's heißgeliebte Schuhe fehlten. Ich habe sie immernoch", sagt er mit einem verträumten Lächeln, besinnt sich dann aber wieder und räuspert sich nervös.
"Ähm, ja", macht er und kratzt sich am Hinterkopf.
"Man merkt es langsam", meine ich und er zuckt unsicher mit den Schultern.
"Offensichtlich. Ist das schlimm?"
"Ich weiß es ehrlich gesagt nicht, aber es ist irgendwie niedlich."
Ich lächle und Jim wirkt erleichtert.
"Okay, was hast du noch für Fragen?", erkundigt er sich und legt den Kopf schief.
"Viele, aber ich muss mich erstmal sortieren. Außerdem wollte ich mich duschen oder so", antworte ich und er nickt verständnisvoll.
"Klar, fühl dich wie Zuhause."
Schmunzelnd stehe ich auf und gehe ins Bad. Spontan entscheide ich mich zu baden und lasse heißes Wasser und einen schönen Badezusatz in die Wanne ein, dann beginne ich mich vorsichtig auszuziehen. Auf meinem Oberkörper sind einige blaue und rote Flecken zu sehen und ich streiche mit den Fingern über die verletzte Haut. Langsam wickele ich die Verbände von meinen Unterarmen und beiße die Zähne zusammen als die Wunden zum Vorschein kommen. Sie haben bereits begonnen zu verheilen, aber die Erinnerung an den Schmerz und die Grausamkeit ist schlimm. Unwillkürlich erinnere ich mich an Henrys Tod und muss schlucken. Er hat schlimmeres verhindert. 
Plötzlich höre ich die Tür zum Badezimmer aufgehen und schrecke auf.
"Keine Angst, ich wollte dir nur Klamotten bringen", sagt Jim beruhigend und kommt langsam auf mich zu.
"Okay."
Er legt die Sachen auf den Boden, aber bleibt hinter mir stehen.
"Er hat dich sehr verletzt, oder?"
Seine Stimme ist leise und er klingt gequält.
Ich nicke nur, meiner Stimme traue ich gerade nicht. Da berührt mich seine Hand am Schulterblatt und ich hole erschrocken Luft.
"Soll ich dir helfen?", erkundigt Jim sich bei mir und ich überlege. Es ist mir peinlich so ohne Klamotten vor ihm zu stehen, auch wenn er hinter mir steht, aber ich weiß dass ich Hilfe brauchen werde.
"Ich... ich weiß nicht", antworte ich und fühle wie sich Tränen in meinen Augen bilden.
"Hey, nicht weinen. Ich kenne dich doch, aber du musst nicht wenn du nicht willst", beruhigt Jim mich sanft und streicht mir über den Rücken.
Ich bekomme eine Gänsehaut und nicke langsam.
"Okay", flüstere ich und steige vorsichtig in die Wanne mit heißem Wasser. Durch den Badezusatz hat sich viel Schaum gebildet, wodurch ich mich gleich etwas besser fühle als ich mich zurücklehne. Jim kniet sich neben die Badewanne und taucht seine Hand ein wenig ins Wasser während er mich anschaut. Er stützt sein Kinn auf den Badewannenrand und ich lege den Kopf leicht schief.
"Was... was ist eigentlich mit den Männern?", frage ich leise und Jim setzt sich wieder gerade hin.
"Sie haben dir wehgetan. Das konnte ich nicht auf sich beruhen lassen, dafür bedeutest du mir zu viel."
Er senkt den Blick und zögert bevor er weiterspricht.
"Ich habe sie alle umgebracht", sagt er leise, doch ich höre die Genugtuung in seiner Stimme.
"Auch das Narbengesicht?"
"Vorallem das Narbengesicht."
Ich nicke und schlucke.
"Was hatte der eigentlich gegen dich?"
"Er war einmal einer meiner Leute, dann stellte er sich gegen mich. Naja, ich brachte seine gesamte Familie um und er kam unbeabsichtigt in ein brennendes Haus... seitdem hat er diese Narbe und hasst mich."
Bei seinen Worten zucke ich zusammen und Jim hört auf zu reden.
"Ist irgendwie verständlich", meine ich nach einer Weile und Jim nickt nachdenklich.
"Und... was ist mit Sebastian?"
"Er ist wirklich mein Bodyguard, aber gleichzeitig auch mein bester Scharfschütze und Freund. Wir kennen uns seit er von der Armee zurückkam und er hat sich stets als nützlich erwiesen", erzählt Jim und schaut mich vielsagend an. Also war Sebastian der andere Mann der mich aus dieser Zelle geholt hat.
"Wie habt ihr mich eigentlich gefunden?"
"Über das Video."
Jims Gesicht verzieht sich bei der Erinnerung daran und er schluckt hart. Ich meine Tränen in seinen Augen zu sehen, doch dann dreht er den Kopf und schaut auf die Wand.
"So etwas hat mich noch nie so wütend gemacht, also dieses Video. Ich fühlte mich... so hilflos", sagt er und dieses Mal klingt er erstickt, als müsse er gleich tatsächlich weinen.
Einen Moment lang schweigen wir und Jim fasst sich wieder, dann schaut er mich an.
"Naja, Seb hat das Signal zurückverfolgt und nach einigem Suchen haben wir das Gebäude in dem du warst gefunden. Danach ging alles recht schnell."
Er lächelt schwach, dann atmet er tief durch.
"Darf ich mal deine Arme sehen?"
Als Antwort setze ich mich auf und hebe einen meiner Arme aus dem Wasser. Auf meiner Haut zeichnen sich rot die Schnitte des Messers ab, aber zum Glück bluten sie nicht. Behutsam nimmt Jim meine Hand und streicht mit einem Finger über die Wunden.
"Ich glaube du wirst keine, oder nur sehr wenige Narben davontragen", meint er schließlich und lässt meinen Arm sanft wieder los. Dann steht er auf, holt den Duschkopf und beginnt mir sanft die Haare zu waschen. Ich habe ihn nicht mal danach gefragt, er macht es einfach und ich finde das sehr angenehm. Fast ist es so wie noch vor zwei Monaten, allerdings steht noch die ungeklärte Frage zwischen uns, wie es mit uns beiden weitergeht.
Als Jim fertig ist hilft er mir dabei aus der Wanne zu kommen und lässt mich dann alleine damit ich mich anziehen und fertig machen kann. Die Klamotten die er mir gegeben hat sind bequeme Sachen aus meiner Wohnung, aber das ist nicht verwunderlich, immerhin habe ich ihm doch einen Schlüssel dazu gegeben.
Schließlich bin ich fertig und gehe ins Wohnzimmer, wo Jim mittlerweile angezogen sitzt und nachdenklich zum Fenster starrt.
Als ich hereinkomme dreht er den Kopf und lächelt sanft.
"Du siehst schon viel besser aus", meint er und ich erwidere sein Lächeln, dann setze ich mich ebenfalls hin.
"Und weiter geht's", meint Jim mit einem verschmitzten Grinsen und fährt sich mit einer Hand durch die Haare.
"Jap, definitiv. Ich habe nachgedacht und ich frage mich ob alle Drohungen, die du seit ich dich kenne ausgesprochen hast, auch tatsächlich wahr geworden sind?"
"Die meisten schon. Den Mann am Flughafen habe ich nur ein bisschen eingeschüchtert, diesen Mike der dich bedroht hat habe ich töten lassen. Die Typen die uns bei unserem ersten Treffen belästigt haben sind... ruhig gestellt. Wenn die sich dir noch einmal nähern dann..."
Er macht eine eindeutige Handbewegung und ich überlege.
"Und was ist mit dem Pfarrer?"
Da hält er inne und wirkt plötzlich nervös.
"Ähm, was würdest du denn dazu sagen wenn ich es gewesen wäre?"
Ich lächle.
"Du weißt was ich gesagt habe über denjenigen der den Pfarrer umgebracht hat?"
"Dass... du ihm dankbar wärst?"
"Genau. Also warst du es?"
"Ja. Er hatte es mehr als verdient."
Jim lächelt und scheint sich zu erinnern.
"Was ist denn mit... diesen zwei Typen die versucht haben mich in meiner alten Wohnung zu töten?", frage ich weiter und er räuspert sich.
"Ruth hat sie angeheuert."
"Was?"
Zum ersten Mal heute bin ich richtig überrumpelt von dem was Jim sagt und er schaut mich schuldbewusst an.
"Ja. Genaugenommen waren alle auf dieser Feier Kriminelle."
Fassungslos starre ich ihn an.
"Du hast mich auf eine Feier voller Krimineller mitgenommen ohne dass ich davon wusste?"
Jetzt macht es auch Sinn dass ich Henry da getroffen habe. Henry.
Ich schlucke hart und meine Überraschung ist wie weggewischt. Jim bemerkt das und schaut mich besorgt an.
"Hast du zufällig eine Ahnung was mit... mit Henry war?", frage ich mit leiser Stimme und Jim schüttelt entschuldigend den Kopf.
"Aber ich kann alles über ihn herausfinden wenn du willst", bietet er mir an und ich nicke.
"Das wäre super. Ich will wissen warum Henry so geworden ist."
"Das verstehe ich. Du sagtest er sei tot als wir dich gerettet haben, stimmt das?"
"Ja. Narbengesicht hat ihn vor meinen Augen erschossen weil er verhindert hat dass er... dass ich vergewaltigt werde."
"Also... hat er es nicht getan?"
Hoffnungsvoll schaut Jim zu mir und ich erkenne dass er das nicht wusste. Und dass ihm der Gedanke wehgetan hat.
"Nein. Aber nur wegen Henry."
Ich schlucke und sehe auf meine Hände hinunter. Da fällt mir noch etwas anderes ein.
"Jedes Mal wenn du oben in deinem Arbeitszimmer warst, hast du da Sachen für deine Firma gemacht?"
Verblüfft über diesen Themenwechsel zieht Jim beide Augenbrauen hoch, nickt aber.
"Meistens Emails oder Vorbereitungen. Wenn ich sowas mache bin ich der Psychopath, deswegen habe ich dich immer weggeschickt. Ich wollte dich nicht verletzen."
Ein Lächeln huscht über meine Lippen und ich lege den Kopf leicht schief.
"Du bist ein seltsamer Mann, Jim."
"Ich weiß. Du solltest Sebastian mal fragen, der wird dir wahrscheinlich noch einiges mehr erzählen können. Meine Selbsteinschätzung ist vollkommen verzerrt, da ich nur die für mich positiven Seiten sehe."
"Vielleicht mache ich das sogar."
Eine Weile lang sage ich nichts, dann muss ich lachen.
"Jetzt verstehe ich endlich alles! Dass du kämpfen kannst, dich mit Wanzen und Computern auskennst und viele Menschen dich töten wollen! Oh Mann, jetzt macht alles Sinn!"
Mit großen Augen starrt Jim mich an und ich grinse ihm zu.
"Ich glaube ich bin auch nicht mehr ganz richtig im Kopf", füge ich lachend hinzu und er grinst.
"Dann passen wir ja gut zusammen. Vorausgesetzt du willst das."
Schlagartig schwindet mein Lachen und ich bin wieder ernst.
"Gib mir noch ein wenig Zeit, nur ein paar Stunden."
Er nickt, dann gehen wir in die Küche und essen etwas. Die ganze Zeit über denke ich an meine Entscheidung und reflektiere alles was Jim erzählt hat.
Ich muss komplett bekloppt sein.
"Ich habe mich entschieden", sage ich als wir vor den Türen zu den Schlafzimmern stehen und Jim schaut mich an.
Ich hole tief Luft und nehme ihn dann fest in den Arm.
"Ich bleibe."
Jims Freude ist kaum zu beschreiben, aber er äußert sie nicht in Worten. Stattdessen lehnt er seine Stirn gegen meine und schaut mir tief in die Augen.
"Danke."
Er neigt den Kopf und küsst mich sanft auf den Mund, was ich sofort erwidere. Diese Zärtlichkeit nach zwei Monaten wieder zu fühlen ist unbeschreiblich schön.

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Na endlich bekommt ihr mal ein paar Antworten, ne? :D
Und dieses Kapitel ist etwas ganz besonderes, denn es ist das Gegenstück zu "Vergangenheit", und hat genauso viele Wörter, natürlich ohne diese Nachricht. Nämlich 2273 *stolz grins*. Ich hoffe es gefällt euch :3

Moriarty In Love Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt