Kapitel 27 - Marny

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Nach dem innigen Kuss entfernte ich mich schüchtern von Zac, der mich zärtlich anlächelte und seine Hände noch immer auf meiner Hüfte hatte.

«Das-Das war überraschend,» gab ich zu, konnte jedoch ein Grinsen nicht zurückhalten.

Er hatte mich tatsächlich geküsst! Zac hatte mich geküsst, das Mädchen von Nebenan!

«Ich hoffe doch überraschend gut?» wollte er wissen, obwohl er meine Antwort schon kennen musste.

Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er das nicht gemerkt hatte. Er hatte doch mitbekommen müssen, wie schnell mein Herz schlug und wie zittrig meine Hände waren. Er musste doch wissen, wie viel ich nur schon bei diesem Kuss empfunden hatte.

Für Lydia, mit der ich gerade im Streit lag, war ich immer ein offenes Buch. Einfach zu lesen und leicht zu verstehen. Obwohl, in letzter Zeit hatte sich das etwas geändert...

«Überraschend fantastisch.» Ich küsste ihn nochmals, weil ich mich nicht zurückhalten konnte. Er erwiderte den Kuss auf der Stelle, nur lösten wir uns diesmal früher voneinander.

«Kommst du mit rüber?» fragte mich Zac und sah herunter zu meinen Füssen. Ich stand auf der Treppe der Veranda.

Ich stutze und verkrampfte mich: «Ich..Ich bin noch nicht weiter gekommen, a-als hier hin. Ich...könnten wir damit noch warten?»

Zac zeigte, glücklicherweise, Verständnis und nickte, um mir danach einen Kuss auf die Wange zu geben und mich zurück in mein Haus zu ziehen, wo er kurz meine Mutter begrüsste und mir danach in mein Zimmer folgte.

Den Weg kannte er mittlerweile ja schon sehr gut.

Und als wir dort angekommen waren, fühlte ich mich freier, als noch zuvor. Ich kam mir nicht mehr so vor, als wäre mein Zimmer mein Gefängnis, dass mich vor der Aussenwelt fernhielt.

Ich kam mir wieder so vor wie früher – und alles dank Zac.

«Zac,» sprach ich vorsichtig seinen Namen aus und wartete darauf, dass sein Blick den meinen traf, «ich muss dir jetzt was sagen.»

«Was denn? Ist es was Ernstes?» Er schien besorgt, was ich an seiner Haltung erkennen konnte.

Ich zuckte mit den Schultern und sah zu meiner Nähmaschine und zu Dog, die auf meinem Bett lag, mit allen Vieren ausgestreckt.

«Ich denke...schon ja. Ich möchte dir erzählen, warum ich mich nicht raus traue.»

Mein Nachbar war von den Socken und sein Mund öffnete sich leicht, als wüsste er nicht, was er erwidern sollte. Wie konnte er auch? Er war mit der Situation nicht vertraut.

Nicht mal ich war das wirklich. Ich war auch ständig damit überfordert.

«Du musste es mir nicht sagen, wenn du nicht willst. Nur weil ich dich geküsst habe, musst du dich nicht dazu verpflichtet fühlen.»

«Das tue ich nicht, keine Sorge.» Ich versuchte zu Lächeln, auch wenn es mir schwerfiel. Ich war nervös und angespannt, weil ich nicht wusste, wie er auf die Geschichte reagieren würde.

«Ich höre zu, aber nur, wenn du dir wirklich sicher bist und es auch willst.» Zac hielt meine Hand und strich beruhigend mit seinem Daumen über meinen Handrücken.

Wir setzen uns gemeinsam zu Dog und er wartete geduldig darauf, bis ich bereit war, mit meiner Geschichte zu starten.

«Ihr wart...Ihr wart doch letztens in diesem Club, im Paradise Fiction.»

«Ja, was ist damit?» wollte Zac wissen und ich wies ihn an, dass dieser Teil noch kommen würde.

«Ich war vor ein paar Monaten da, mit meiner Freundin Lilly. Wir waren von irgendeinem Typen auf die Party eingeladen worden und weil sie nicht alleine hindurfte, hat sie mich...naja, mitgeschleppt. Irgendwie fand ich die Idee ja auch lustig, weil ich vorher noch nie in nem Club war...»

Zacs Körper spannte sich an, als wüsste er genau, in welche Richtung die Geschichte nun verlaufen würde.

Obwohl ich mir nicht vorstellen konnte, dass er sich das Grauen bereits erahnte. Das konnte niemand. Nicht einmal ich, wäre ich nicht dabei gewesen.

Ich atmete tief durch, bevor ich weiterfuhr: «Zuerst war es ziemlich lustig und wir haben auch was getrunken, nachdem sie uns mit falschen Ausweisen reingelassen hatten. Um halb eins oder so ist Lilly dann plötzlich verschwunden und ich konnte sie nicht finden. Ein Typ hat mir dann gesagt er hätte sie draussen gesehen und ich bin ihm gefolgt, um sie zu suchen...»

Ich stoppte erneut, denn diesen Teil der Geschichte hatte ich noch nicht mal meiner Therapeutin genauer erläutert. Auch nicht Lydia, der ich sonst alles erzählte.

Zac war blass geworden und atmete leise, als wolle er meine Stimme auf keinen Fall übertönen.

«Der Typ...der ist dann im Hinterhof mit seinen Kumpels auf mich losgegangen und hat mir...ein Messer an die Kehle gehalten. Er- Er hat all mein Geld gestohlen.» Jetzt weinte ich, weil ich alle diese Bilder wieder vor Augen hatte.

Und, was noch schlimmer war, ich fühlte die Angst. Ich fühlte die Panik, die in mir hochstieg.

«Und dann...Dann haben sie angefangen, an meinen Kleidern rumzuzerren. Meinen Rock nach oben zu ziehen...Sie-Sie haben mich angefasst.»

Die erste Träne fiel bereits, bevor ich den Satz beendet hatte und Zac drückte meine Hand.

«Ich versuchte zu schreien, aber es half nichts, ich brachte keinen Ton raus. Mein Mund war wie zugeschnürt...Ich war ein hilfloses, kleines Mädchen. Ich hab versucht mich zu wehren, war aber zu schwach.»

«W-Wurdest du...Ich meine- die Typen, haben die...» Mein Nachbar wusste nicht, wie er die Frage stellen sollte, doch ich wusste, was es für eine war.

Die erste Frage, die sonst auch alle wissen wollten.

«Nein, so weit ist es nicht gekommen, weil Lilly um die Ecke kam...zusammen mit einem der Security Typen. Ich bin dann am nächsten Morgen im Krankenhaus aufgewacht, wie ich dorthin gekommen bin, habe ich wegen dem Schock vergessen...»

Ich schluchzte und legte meine Arme fest um mich, wobei ich Zacs Hand losliess.

Er war noch immer kreideblass und fühlte sich, ganz offensichtlich, nicht mehr wohl in seiner Haut. Es hatte ihm die Sprache verschlagen und auch seine Gesten waren sehr untypisch.

Er konnte mir nicht mal mehr richtig in die Augen sehen, wie so viele meiner früheren Freunde auch. Sie waren überfordert mit der Situation gewesen und hatten sich von mir distanziert.

Genauso wie es mein Nachbar wohl auch machen würde, seiner Reaktion nach zu urteilen.

«S-Siehst du mich jetzt anders?» fragte ich flüsternd und voller Angst.

«Nein, ganz sicher nicht,» schwor Zac, doch ich spürte, dass es nicht ganz ernst gemeint war, «in meinen Augen bist und bleibst du dieselbe Marny, die ich wirklich, wirklich sehr gern hab.»

Mir fiel ein Stein vom Herzen, auch wenn ich wusste, dass ihn etwas bedrückte, was es war, wusste ich nicht genau.

«Gut....» meinte ich und wollte dann die Stimmung auflockern, «schauen wir uns noch nen Film an? Ich hätte ein paar Komödien da.»

Zac lächelte, aber das Strahlen erreichte nie seine Augen, als er antwortete: «Ich würde sehr gerne, aber ich muss dringend noch was erledigen.»

«Noch heute Abend?» Etwas verwirrt war ich deswegen schon. Er hatte doch heute keinen Dienst.

«Ja, unbedingt. Es muss sein...Tut mir leid, ein anderes Mal bleib ich länger.» Er stand auf, lächelte mich an, nickte und verschwand aus der Zimmertür.

Ohne einen Abschiedskuss. 

The Griffin TwinsWhere stories live. Discover now